Ohne Steine und Zement

Grachtenhaus kommt aus 3D-Drucker

von:

Annette Birschel

Bauchemie
Die Computergrafik zeigt ein Haus an einer Gracht in Amsterdam. Das Haus soll nach den Plänen vollständig aus Teilen gebaut werden, die ein 3D-Drucker produziert. Illustration: 3D Print Canal House/dpa

AMSTERDAM/NIEDERLANDE. - Langsam dreht die gigantische Nadel ihre Runde. Sie spritzt Millimeter dünn eine Kunststoff-Masse auf den Boden – wie endlos lange Spaghetti. "Das wird eine Säule", sagt Nathalie Swords. Die 25-jährige deutsche Architekturstudentin sitzt auf einem Campinghocker und tippt ab und zu etwas in ihren Laptop. "1,60 m wird sie hoch. Das dauert acht Stunden."

Nathalie absolviert ein Praktikum auf einer der wohl spannendsten Baustellen der Welt. Im Amsterdamer Stadtteil Noord entsteht ein Grachtenhaus. Vier Stockwerke, 13 Zimmer, charakteristischer Treppengiebel. Doch es wird nicht gemauert, sondern gedruckt.

Mit einer herkömmlichen Baustelle hat dies nichts zu tun. Auf dem Gelände gleich hinter dem futuristischen Amsterdamer Filmmuseum stehen weder Krane noch Planierwalzen. Statt lärmender Betonmischer hört man die Möwen kreischen und den Drucker leise surren. Das 3D-Grachtenhaus ist ein Forschungsprojekt: Unternehmen, Universitäten, Städteplaner und auch Amsterdamer Bürger arbeiten und denken mit. "Uns geht es ja nicht darum, ein Produkt auf den Markt zu bringen", sagt Hedwig Heinsman. Die 34-Jährige gehört zu dem Trio des jungen Architektenbüros Dus, das das Haus entwarf: Schmal, hoch und mit reich verziertem Giebel wie seine mehr als 400 Jahre alten Vorbilder. Doch eben nicht aus roten und weißen Backsteinen.

Herzstück des Projekts ist ein umgebauter alter Seecontainer, den die drei jungen niederländischen Architekten zu einem 3D-Drucker umbauten – den "Kamer-Maker" – übersetzt heißt das Zimmer-Macher. 3 m ist er hoch, er steht auf einer Grundfläche von 2 x 2 m. Was er produzieren kann, liegt aufgereiht draußen. Ein Stück Treppe, Wände, Teile der Fassade. Bei manchen Bauteilen ist die Oberfläche glatt, andere haben eine Struktur wie eineHonigwabe. Alles ist fix und fertig zum Zusammenbauen. Einen Maurer braucht man dafür nicht. "Das ist wie Lego nur für Große", sagt Heinsman lachend. Der Kamer-Maker wird mit Bio-Kunststoff gefüttert. Das sind kleine weiße Kügelchen. "Zu 80 % aus Pflanzenöl", erklärt die Architektin. Die werden erhitzt, durch die Kanüle geleitet und wie die Tinte in einem herkömmlichen Drucker auf die Grundfläche gespritzt. Sobald eineSchicht fest ist, kommt die folgende. Millimeter für Millimeter. Das deutsche Unternehmen Henkel ist einer der Partner des 3D-Grachtenhauses und entwickelt den Baustoff, z. B. aus Bio-Leinsaat. "Ab und zu kriegen wir wieder einen neuen Sack mit Kügelchen zum Ausprobieren", erzählt die junge Architektin.

Die relativ leichten Wände und Dächer müssen natürlich auch dem kräftigen Amsterdamer Wind standhalten können. Der niederländische Bauunternehmer Heijmans entwickelt die Konstruktionsmethoden. Die Hohlräume der einzelnen Bauteile kann man etwa mit Bio-Beton füllen.

"Durch die 3D-Technik wird der gesamte Bau revolutioniert", sagt die Architektin Heinsman selbstbewusst voraus. Und das ist auch der Kern des Amsterdamer Projekts: Was kann die neue Technik für die Architektur, den Bau und die Städteplanung bedeuten?Eine Vision der Initiatoren ist: Jeder kann sein eigener Architekt werden und selbst per Computer Fassaden oder die Aufteilung der Räume gestalten. "Wir entwerfen nur die DNA des Gebäudes", sagt sie.

Das Haus aus dem Drucker könnte auch eineHilfe für Katastrophengebiete sein, finden die Dus-Architekten. Statt Baumaterialien und teure Grundstoffe aufwendig dorthin zu transportieren, müsste man nach ihrer Ansicht nur ein paar Mega-Drucker aufstellen und aus den am Ort verfügbaren Materialien Unterkünfte drucken.

Eine Villa aus alten Pet-Flaschen oder eine Schule aus Kartoffelschalen? Fast alles scheint möglich. In der Baubaracke zeigt eine Ausstellung die Baustoffe der Zukunft. Aus Kartoffelschalen etwa wurde ein hippes Tee-Service gedruckt. Da blieb sogar US-Präsident Barack Obama die Spucke weg, erinnert sich Heinsman. Als er bei seiner Stippvisite im vergangen Sommer die Baustelle des 3D-Grachtenhauses besuchte, sagte er "Wow".

Die Amsterdamer Dus-Architekten sind Pioniere, auch wenn sie das Wettrennen um das erste gedruckte Haus der Welt verloren haben. In China sollen bereits zehn Bungalows pro Tag aus dem Drucker kommen.

Ob das Grachtenhaus 2.0 jemals serienmäßig hergestellt wird, ist offen. Denkbar ist allerdings, dass flexible Wände für Hotels oder Büros gedruckt werden. Das hängt vor allem von den Kosten ab. Dazu wollen die Dus-Architekten sich noch nicht äußern. Ihr Projekt wird aus Subventionen und Spenden finanziert.

Die Produktion des Grachtenhauses 2.0 geht zügig voran. Mittlerweile wurde ein zweiter Zimmer-Macher aufgestellt, der Bauteile bis 5 m Länge drucken kann. Bald sollen die ersten Teile zusammen gesetzt werden, am Ufer des Ij-Gewässers. Genau gegenüber den großen alten Vorbildern an den Grachten von Amsterdam.

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