Sanktionierung von Vergabemängeln

Das Nachprüfungsverfahren im Oberschwellenbereich von Bauleistungen

von:

Rechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger

Recht und Normen
Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger: "Für den einzelnen Unternehmer ist ein Gang zum EuGH wegen eines Vergaberechtsverstoßes regelmäßig ausgeschlossen." Foto: Privat

Wiesbaden. - Seit dem 18. April gilt in Deutschland das neue nationale Vergaberecht. Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Unternehmen sind groß. Die ABZ veröffentlicht jetzt den sechsten Beitrag einer 14-tägig erscheinenden siebenteiligen Reihe von Fachartikeln. Der nachfolgende Beitrag ist von Prof. Dr. Ulrich Rommelfanger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Medizinrecht, sowie Partner der RJ Anwälte Jochem PartGmbH aus Wiesbaden. Der nächste und letzte Beitrag dieser Reihe erscheint am 1. Juli zum Thema "Rechtsschutz im Unter-schwellenbereich von Bauleistungen".

A Vorbemerkung: Rechtsschutz in Vergaberecht (Allgemein). – Rechtsschutz in Vergaberechtssachen ist unterschiedlich gestaltet und wird auf verschiedenen Wegen geltend gemacht, je nachdem, ob Oberschwellen- oder Unterschwellenvergaben vorliegen bzw. ob Primär – oder Sekundärrechtsschutz beantragt ist

  • I. Die typischen Fragestellungen lauten deshalb:
  • (1) Handelt es sich um eine Oberschwellen- oder Unterschwellenvergabe?
  • (2) Kann um Rechtsschutz vor nationalen Gerichten (Regelfall) oder in bestimmten Fällen - unmittelbar vor dem Europäischen Gerichtshof/Kommission nachgesucht werden?
  • (3) Im Bereich der Oberschwellenvergaben geht es regelmäßig um den sogenannten Primärrechtsschutz (Beseitigung einer bestehenden Rechtsverletzung, bevor diese sich erhärtet). Demgegenüber steht im Unterschwellenbereich meist die Prüfung eines Anspruchs im Rahmen des sogenannten Sekundärrechtschutzes im Vordergrund (im Sinne einer Schadensregelung).
  • II. Für den einzelnen Unternehmer ist ein Gang zum EuGH wegen eines Vergaberechtsverstoßes regelmäßig ausgeschlossen.
  • Einen großen Raum der vergaberechtlichen Verfahren vor dem EuGH nehmen demgegenüber zum einen die von der Kommission oder Mitgliedstaaten initiierten Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258 ff AEUV)¹ bzw. zum anderen die von einem nationalem Recht vorgelegten Vorabentscheidungsverfahren gem. Art. 267 AEUV ein.
  • Zwar nicht zum EuGH, aber zur Europäischen Kommission kann sich ein benachteiligt fühlender Bieter mit einer formlosen Beschwerde wenden. Er muss dafür (nur) vortragen, es werde in einem ihn betreffenden Vergabeverfahren gegen vergaberechtliche Vorschriften des EU-Rechts verstoßen, weshalb er die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 258 ff. AEUV anregt.
  • Für die Europäische Kommission besteht keine Rechtspflicht, dieser Beschwerde nachzugehen. In der Praxis geht sie aber den Beschwerden nach. Die Beschwerdeführer werden jeweils registriert und regelmäßig über den weiteren Gang ihrer Recherche informiert.
  • B. Primärrechtsschutz für Bauvergaben im Oberschwellenbereich nach der GWB-Novelle
  • I Oberschwellenvergaben (Vergabe von Bauaufträgen ab 5,225 Mio. Euro)²
  • 1. Im Rahmen des Primärrechtsschutzes haben sich durch die Vergaberechtsnovelle 2016 kaum Änderungen im Hinblick auf die Nachprüfungs- und Beschwerdeverfahren ergeben.
  • Die Änderungen im Nachprüfungsverfahren aufgrund der GWB-Novelle belaufen sich im Wesentlichen auf:
  • - die Unverzüglichkeit der Rüge entfällt zugunsten einer Regelung, die eine 10-Tages-Frist bei erkannten Verstößen einräumt, § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB
  • - konkurriert diese Frist mit der Vorabinformation nach § 134 Abs. 2 GWB, so geht letztere vor.

2. Im Übrigen verbleibt es beim überkommenen System der Rügeobliegenheiten und des (gerichtlichen) Nachprüfungsverfahrens gem. § 160 ff. GWB, das nachfolgend auf den Bieterschutz fokussiert und nur in den Grundzügen der 1. Instanz dargestellt werden soll.³

II. Das Verfahren in 1. Instanz vor der Vergabekammer

1. Das Nachprüfungsverfahren setzt voraus, dass der Zuschlag noch nicht erteilt bzw. die erforderliche Durchführung eines Vergabeverfahrens begonnen wurde.

Das Nachprüfungsverfahren beginnt zwar formal erst mit der Antragstellung. Vor der Antragstellung muss der Vergaberechtsverstoß aber grundsätzlich gerügt worden sein (siehe unten 2 a, ccc)

2. Erste Instanz vor der zuständigen Vergabekammer.

a) Nach Antragstellung durch den übergangenen Bieter erfolgt die Prüfung dessen Antragsbefugnis (dazu aa, bb), der Fristgemäßheit des Antrags sowie des Vorliegens der Vergabeabsicht eines öffentlichen Auftrags und des Nichtvorliegens eines Ausnahmetatbestands gemäß §§ 116, 117 GWB.

aa) Geltendmachung einer Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften und Darlegung, dass dem Unternehmen dadurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

bb) Darlegung des unmittelbaren Interesses am Auftrag und einer Verletzung in eigenen Rechten, d.h. solchen (Rechten), die einen bieterschützenden Charakter haben (z. B. Beachtung der Grundsätze von Wettbewerb, Transparenz und Gleichbehandlung; Durchführung eines geregelten förmlichen Vergabeverfahrens).

cc) Der Nachprüfungsantrag muss 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, bei der Vergabekammer eingegangen sein, § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB.

Ist der Nachprüfungsantrag rechtzeitig innerhalb der "Wartefrist des Auftraggebers" nach § 134 GWB (15 Tage nach postalischer Versendung bzw. zehn Tage nach elektronischer – oder Faxversendung der Information über die beabsichtigte Zuschlagserteilung) an die Vergabekammer übermittelt worden, wird diese den Antrag auf seine offensichtliche Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit prüfen und noch vor Ablauf der o. g. Frist an den Auftraggeber übermitteln.

Damit tritt vorerst ein Zuschlagsgebot gemäß § 196 Abs. 1 GWB ein.

Entsprechend dem Grundsatz des Artikel 19 Abs. 4 GG hat u. a. die Vergabestelle für diesen Fall eines ihr auferlegten Zuschlagsverbots die Möglichkeit, nach § 169 Abs. 2 Satz 1 GWB einen Antrag auf Gestattung der vorzeitigen, d. h. vor Ablauf des Nachprüfungsverfahrens zu erfolgenden, Zuschlagserteilung zu stellen. Die daraufhin ergehende Entscheidung ist ihrerseits wieder anfechtbar (Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 169 Abs. 2 Satz 5, 6 und 8 GWB).

b) Vorläufige Maßnahmen

Zugunsten des Bieters können durch die Vergabekammer weitere vorläufige Maßnahmen unter den Voraussetzungen des § 169 Abs. 3 GWB ergriffen werden. Neben z.B. der vollständigen Suspension des Vergabeverfahrens besteht die Möglichkeit zum Erlass einstweiliger Anordnungen (z. B. Untersagung gegenüber unwirksam beauftragten Konkurrenten, weitere Bauarbeiten durchzuführen), §§ 169 Abs. 3, 156 Abs. 2 GWB oder sogenannte Zwischenverfügungen, § 169 Abs. 3 Satz 1 GWB analog.

2. Geht das Verfahren vor der Vergabekammer für den Bieter positiv, das heißt erfolgreich aus, kann die unterlegende Vergabestelle mit der sofortigen Beschwerde den Gang zum Beschwerdegericht, d. h. einem Oberlandesgericht, in Erwägung ziehen, §§ 171 ff. GWB.

Kanzlei: RJ Anwälte Jochem Partnerschaftsgesellschaft mbH, Wiesbaden

1) Zu formellen EU-Pilot-Verfahren, s. Mitteilung der Kommission vom 12.09.2007, KOM (2007) 502 endg. Sie dienen dem Ziel, einer schnellen und einvernehmlichen Lösung der Kommission vorgetragener Probleme.

2) Für Liefer- und Dienstleistungsaufträge: 209.000,00 Euro (im Bereich der Sektoren: 418.000,00 Euro und für Konzessionen 5,225 Mio. Euro)

3) Wenngleich vor der Vergabekammer kein Anwaltszwang besteht ist die Zuziehung anwaltlichen Rates zu empfehlen. Das Rechtschutzverfahren ist sehr komplex.

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