Baunormen und Baustandards

Fluch oder Segen für die Baubranche?

von: Daniel Schmidt
Berlin. – Schaut man auf das zurückliegende Jahr 2024, so wurden die Pläne für den Geschosswohnungsbau in Deutschland wie auch in den Jahren zuvor nicht erreicht. Statt der von der Ampel-Koalition angestrebten 400.000 Wohnungen wurden deutlich weniger realisiert. Als Ursache wird oft auf die Vielzahl von Normen und Standards des DIN Deutsches Institut für Normung verwiesen – doch ist das gerechtfertigt?
DIN Bauverordnungen
Daniel Schmidt ist Mitglied des Vorstandes von DIN Deutsches Institut für Normung. Foto: DIN

Normen sind im Bauwesen von unschätzbarem Wert. Sie schaffen klare Vorgaben, fördern Effizienz und sind unverzichtbar für die Einhaltung von Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Dies belegt auch eine aktuelle repräsentative Umfrage, bei der 300 Fachleute aus der Bauwirtschaft vom Meinungsforschungsinstitut Civey im Auftrag von DIN befragt wurden. In der Umfrage wurde deutlich, wie wichtig DIN-Normen in der Praxis sind und welches Vertrauen die Bauwirtschaft in die Institution DIN setzt.

So halten 69 Prozent der Befragten DIN-Normen beim Bauen für unverzichtbar, 72 Prozent betonen die Planungssicherheit, die DIN-Normen bieten, und 63 Prozent sehen in Normen die Garantie für hohe Bauqualität.

Die wahren Treiber der Baukosten

Ein zentraler Punkt der Umfrage waren die gestiegenen Baukosten, besonders im Geschosswohnungsbau. Dabei waren die Antworten eindeutig: Mehr als die Hälfte der Befragten, nämlich 54,9 Prozent, bezeichneten die Materialkosten als den größten Kostentreiber. An zweiter Stelle mit 41 Prozent wurden die Bauzinsen genannt. Kosten-steigerung aufgrund von Normanforderungen lagen in der Umfrage mit 40,6 Prozent der Befragten erst an dritter Stelle.

Auch wenn damit deutlich wird, dass andere Gründe maßgeblicher sind für die Kostensteigerungen, so nimmt DIN dieses Ergebnis ernst. Denn es zeigt, dass eine breite Diskussion erforderlich ist, um Anforderungen so zu gestalten, dass Sicherheit, Qualität, Klimaschutz und gesellschaftliche Anforderungen an attraktiven Wohnraum mit der Wirtschaftlichkeit beim Bauen in Einklang stehen. Normen sind dynamisch und passen sich an aktuelle Herausforderungen an, um stets relevant zu bleiben. DIN übernimmt an dieser Stelle eine Moderatorenrolle zwischen gesellschaftlichen An-sprüchen, den Vorgaben der Politik und den praktischen Umsetzungsmöglichkeiten der Baubranche.

Gebäudetyp E

Bauen in Deutschland muss einfacher, schneller und günstiger werden. Deshalb gibt es seitens der Bundesregierung eine Vielzahl von Maßnahmen, um kostengünstigeres Bauen zu ermöglichen. Eine dieser Maßnahmen ist der Gebäude-typ E, der auf eine Initiative der Architektenschaft zurückgeht.

DIN unterstützt die Bestrebungen des Gebäudetyp-E-Gesetzes, da das Gesetz den gesellschaftlichen Diskurs fördert, wo Maß und Mitte liegen sollen. Der auch bisher im Rahmen privatwirtschaftlicher Verträge mögliche und nunmehr gesetzlich kodifizierte Ansatz, von den anerkannten Regeln der Technik abweichen zu können, kann Flexibilität und Innovationskraft fördern.

DIN-Umfrage zeigt Skepsis der Bauindustrie

Seitens der Bauwirtschaft wird über die Umfrage jedoch die Skepsis gegenüber dem Gebäudetyp E deutlich: Weniger als ein Drittel der Befragten glaubt an die Vorteile dieses Ansatzes. Stattdessen wird eher die föderale Struktur des Bauordnungsrechts vom Großteil der Befragten als hinderlich wahrgenommen. Rund 65 Prozent sind der Ansicht, dass ein bundesweit einheitliches Bauordnungsrecht zu effizienteren und kostengünstigeren Bauprozessen beitragen würde. Dies entspricht auch der Forderung der Wirtschaftsweisen in ihrem aktuellen Jahresgutachten.

Auch die Richter des 7. Zivilsenats des BGH widersprechen der Kernaussage des Gesetzes zum Gebäudetyp E. Sie betonen vielmehr, dass auch durch die bereits bestehende zivilrechtliche Gesetzeslage der Ausschluss von Normen möglich war und ist und zudem unter Berücksichtigung von Normen und Standards auch Innovationen bezüglich einfacherem und günstigerem Bauen möglich waren und sind.

Wichtig war und ist jedoch schon immer, dass sich die Baubeteiligten mittels zivilrechtlicher Verträge über neue Bauweisen oder die Verwendung neuer Baustoffe eindeutig verständigen. Die durch den Gesetzentwurf zum Gebäudetyp E möglichen Schnellverfahren ohne fachkundige Begleitung und die damit verbundenen tiefgreifenden Änderungen des Bauvertragsrechts lehnen die Richter ab.

Normen: Motor für Innovation

Normen spielen eine zentrale Rolle bei der Senkung der Baukosten und der Erleichterung des Wohnungsbaus. Sie bieten standardisierte Lösungen und klare Richtlinien, die Planungs- und Bauprozesse optimieren und kostengünstigere sowie qualitativ hochwertige Bauweisen ermöglichen. Änderungen in der Normung können direkt zu den angestrebten Einsparungen beitragen, wenn sie in einem offenen und transparenten Dialog entstehen.

Denn Normen spiegeln die Anforderungen und Bedarfe unserer Gesellschaft wider und stellen den aktuellen Stand der Technik dar. Es ist daher ein weit verbreiteter Irrtum, dass Normen per se anerkannte Regeln der Technik sind und Innovationen behindern würden. Normen bieten vielmehr standardisierte Lösungen und klare Richtlinien, die Planungs- und Bauprozesse optimieren und Innovationspotenziale erschließen können. Sie bilden die Grundlage für Fortschritt.

Die Folgekostenabschätzung kommt

Ab Januar dieses Jahres führt DIN eine Folgekostenabschätzung für Baunormen ein. Dies ist das Ergebnis einer gemeinsamen Initiative zwischen dem Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) und DIN, um die Baukosten im Wohnungsbau zu senken. Mit diesem neuen Prozess unterstützt DIN die Bestrebungen von Bund und Ländern, die Folgekosten von Normen im Geschosswohnungsbau zu begrenzen und so bezahlbaren Wohnraum zu fördern. Neben unantastbaren Sicherheitsnormen soll die Folgekostenabschätzung dabei helfen, klar zu zeigen: Brauche ich das oder brauche ich das nicht? Durch die Folgekostenabschätzung stellen wir sicher, dass mögliche Kostenfolgen bereits während der Normerstellung transparent und ausgewogen berücksichtigt werden. Unvorhergesehene Kostenbelastungen lassen sich so vermeiden und gleichzeitig positive Effekte identifizieren, die Baukosten über den Lebenszyklus eines Gebäudes senken können.

Bereits heute werden auf Grundlage vertraglicher Vereinbarungen die rund 700 bau-aufsichtlichen Normen – d.h. die Normen, auf die der Gesetzgeber direkt verweist – so erstellt, dass Mindestanforderungen deutlich von weitergehenden Anforderungen getrennt sind. Ziel ist ein einfaches und kostengünstigeres Bauen und gleichzeitig durch die Ausweisung weitergehender Anforderungen die Beschreibung des Stands der Technik.

Und apropos Transparenz

Eine breite Beteiligung aller interessierten Stakeholder ist einer der Grundsätze der Normungsarbeit bei DIN und ein wesentlicher Grund für das hohe Vertrauen in DIN-Normen. In den Ausschüssen bei DIN arbeiten die inte-ressierten Kreise aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlicher Hand sowie Verbraucher- und Arbeitsschutz gemeinsam an den Inhalten von Normen. DIN steuert den Nor-mungsprozess als privatwirtschaftlich organisierter Projektmanager nach öffentlich abgestimmten und transparenten Verfahren.

Um den Wunsch verschiedener Stakeholder nach noch mehr Transparenz bezüglich der Zusammensetzung der Gremien und Ausschüsse nachzukommen und die Akzep-tanz der Normung weiter zu stärken, wird DIN die Darstellung der Ausschüsse zukünf-tig nachvollziehbarer gestalten, zunächst durch die Nennung der Zusammensetzung der Ausschüsse nach Branchen.

Zusammenfassung

Normen und Standards leisten einen wich-tigen Beitrag für die Sicherheit und Qualität beim Bauen.

Doch sie sind kein starres Regelwerk. Denn schon heute kann über zivilrechtliche Verträge von Normen und Standards abgewichen werden, um individuelle Lösungen für kostengünstigeres Bauen zu entwickeln. Wichtig ist jedoch, dass die Mindeststan-dards für Sicherheit und Qualität erhalten bleiben. Darüber hinaus können Normen und Standards sogar den Grundstein legen für kostengünstigeres Bauen.

Ja, Normen sind ein Segen und bleiben daher unverzichtbar für sicheres Bauen und verlässliche Qualität.

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Der Autor ist Mitglied des Vorstandes von DIN Deutsches Institut für Normung e. V. (CFO). Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Chemnitz war er für viele Jahre als Steuerberater für PriceWaterhouseCoopers AG tätig. Ab 2006 trug er die Verantwortung in verschiedenen Führungspositionen im Finanz- und Rechnungswesen bei der Überlandwerk Fulda AG in Fulda. Als Wirtschaftsprüfer leitete er anschließend wechselnde Teams bei der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft in Berlin. 2010 wechselte er zunächst als Führungskraft im Rechnungswesen zu DIN. Im Januar 2014 berief ihn der Vorstand zum Mitglied der Geschäftsleitung Finanzen und Controlling. Seit September 2020 ist er Mitglied des Vorstandes.

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