Bauvertragsrecht in Zeiten der Corona-Pandemie

Ist ein Virus höhere Gewalt?

von: Sonja Weiße
Corona Aktuell Recht und Normen
Wegen des Coronavirus können sich Bauarbeiten verzögern. Unter Umständen gilt dies als „höhere Gewalt“ im Sinne des § 6 VOB. Foto: InstagramFOTOGRAFIN/Pixabay

Berlin. - In Deutschland stehen die Baustellen wegen der Ausbreitung des Coronavirus zwar nicht still wie in Österreich. Aber auch hier gibt es Fälle, in denen sich Bauleistungen deswegen verzögern - sei es, weil Baustoffe nicht oder zu spät geliefert werden, weil Mitarbeiter des Bauunternehmens erkranken oder der Betrieb unter Quarantäne gestellt wurde. Was müssen Bauunternehmen beachten, wenn sie die Bauleistung aus einem solchen Grund nicht fristgerecht beenden können? Müssen sie dann Vertragsstrafen oder Schadensersatz befürchten?

Bei einem Vertrag nach der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB, Teil B) verlängern sich die Ausführungsfristen, wenn höhere Gewalt oder andere unabwendbare Umstände die Ausführung der Bauleistung behindern. Auch wenn ein Umstand aus dem Risikobereich des Auftraggebers die Ausführung behindert, hat ein Bauunternehmer nach § 6 Absatz 2 VOB Teil B mehr Zeit für die Bauleistung.

In beiden Fällen ist es wichtig, dass der Bauunternehmer dem Auftraggeber diese Behinderung unverzüglich schriftlich anzeigt.

Ist denn nun die Ausbreitung des Coronavirus als „höhere Gewalt“ anzusehen? Wie so oft erhält man von Juristen auf diese Frage die Antwort: „Das kommt darauf an.“

Grundsätzlich sind Lieferengpässe aufgrund der Pandemie zum Beispiel kein „unabwendbarer Umstand“ der nach § 6 Absatz 2 VOB Teil B die Frist verlängert. Das erläutert der Hauptverband der deutschen Bauindustrie in einer Informationssammlung mit dem Titel „SARS-COV-2-Situation: Hinweise für einen besonnenen Umgang“, die auf der Homepage des Verbandes heruntergeladen werden kann. Das Bauunternehmen müsse auf eigene Kosten auf andere – gegebenenfalls auch teurere – Lieferanten ausweichen. Anders ist es nur, wenn das Bauunternehmen das Material auch zu einem teureren Preis nicht bekommen konnte, und wenn der Preis extrem steigt. Denn dann können Bauunternehmen laut Rechtsanwalt Martin Freitag vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie einen „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ geltend machen.

Auch wenn einzelne Beschäftigte eines Bauunternehmens an dem Virus erkranken, verlängern sich die Fristen nicht. Das erläutert Dr. Philipp Mesenburg, Leiter der Rechtsabteilung beim Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB). Denn dass ein Arbeiter krank werde, sei ein Risiko des Bauunternehmers - genau wie sonst auch. Ein Unternehmer müsse ja beispielsweise auch damit rechnen, dass es eine Grippewelle geben könnte.

Stehe jedoch die ganze Belegschaft unter Quarantäne, sei dies ein Fall von höherer Gewalt und die Ausführungsfristen verlängern sich. Der Bauunternehmer muss dies dem Auftraggeber unmittelbar anzeigen.

Wenn eine Baustelle in einem Quarantäne-Gebiet liegt, ist dies ein Umstand aus dem Risikobereich des Auftraggebers, erläutert Dr. Mesenburg. Die Fristen der Ausführung verlängern sich also. Ebenso sei es zu beurteilen, wenn der Auftraggeber fixe Termine wegen einer potentiellen Ansteckung absagt. Das Bauunternehmen sollte dem Auftraggeber dann nicht nur die Behinderung anzeigen. In der Mitteilung sollte es sich auch vorsorglich vorbehalten, Mehrkosten und Entschädigungsansprüche geltend zu machen.

Es gibt aber auch Fälle, die bislang nicht ganz klar sind. Was zum Beispiel passiert, wenn mehrere Mitarbeiter unter Quarantäne gestellt werden, aber nicht alle? Oder wenn deutlich mehr Mitarbeiter erkranken als sonst? Nach Einschätzung von Juristen ist dies wohl eher dem Risikobereich des Bauunternehmers zuzuordnen, so dass er sich nicht auf höhere Gewalt berufen könnte. Da es aber wegen der ganz neuen Situation noch keine Rechtsprechung dazu gibt, raten die Verbände, vorsorglich trotzdem eine Behinderung beim Auftraggeber anzumelden.

Bei der Anzeige einer solchen Behinderung müssen Unternehmer unbedingt ganz konkret aufschreiben, wann, an welcher Stelle und auf welche Art und Weise der Bauablauf durch das Corona-Virus gestört wird. Die bloße Notiz „gestört durch Corona“ reicht nicht aus, warnt der Hauptverband der Bauindustrie in der Informationssammlung zu dem Thema.

Bauunternehmen sollten außerdem unbedingt alle Dokumente – wie behördliche Anordnungen und Krankschreibungen – aufbewahren, rät der ZDB. Auch in anderen Zweifelsfällen sollte der Bauunternehmer vorsorglich eher dem Bauherrn eine Störung des Bauablaufs mitteilen und sich die Geltendmachung von Mehrkosten vorbehalten. Denn dann könne noch im Nachhinein geprüft werden, ob ein Fall von höherer Gewalt vorlag.

Ein Sonderfall sind Baustellen des Bundes. Für diese hat das Bundesbauministerium kürzlich in einem Erlass geregelt, wie mit Störungen des Bauablaufes durch den Coronavirus umgegangen werden soll. Demnach gilt der Virus nicht grundsätzlich als höhere Gewalt, es muss stattdessen jeder Einzelfall geprüft werden. Unternehmer müssen genau darlegen, warum sie die Leistung nicht erbringen können, fordert der Erlass. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, weil ein Großteil ihrer Beschäftigten unter Quarantäne gestellt wurde und sie auf dem Arbeitsmarkt keinen Ersatz finden können, weil Beschäftigte aufgrund von Reisebeschränkungen die Baustelle nicht erreichen können oder weil Unternehmer kein Baumaterial beschaffen können. Kostensteigerungen beim Material jedoch müssen Unternehmer in Kauf nehmen.

Wenn eine Unterbrechung länger als drei Monate anhält, kann ein VOB-Vertrag gekündigt werden. Dies möchte niemand, könnte in einigen Fällen für Bauunternehmer aber erforderlich werden, erläutert Rechtsanwalt Martin Freitag vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Denn ihnen können durch die Verzögerung deutlich höhere Kosten entstehen als ursprünglich kalkuliert, sei es zum Beispiel durch längere Standzeiten für Gerüste, höhere Arbeitsschutzanforderungen oder teureres Material. Besser als eine Kündigung sei es aber in jedem Fall, mit dem Bauherrn zu sprechen, um eine gemeinsame Lösung zu finden. Die vereinfachte Formel „mehr Zeit ja, mehr Geld nein“ würde Unternehmen einseitig mit allen wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus belasten. Das wäre auch für Bauherren nicht sinnvoll.

Beim Abschluss neuer Verträge sollten sich Bauunternehmer schützen, indem sie Corona-Klauseln in den Vertrag aufnehmen, rät Dr. Mesenburg. Bei solchen neuen Abschlüssen zähle der Virus nicht mehr als „höhere Gewalt“ - schließlich hätten sich die Vertragsparteien beim Abschluss darauf einstellen können. Er rät daher, bei neuen Verträgen in Hinblick auf die Bauzeit einen großen Puffer einzuplanen, um eine mögliche Erkrankung von Mitarbeitern, Arbeitsverbote, Betriebsschließungen, Lieferengpässe und ähnliches besser abfedern zu können.

Fertigstellungsfristen sollten nicht im Vertrag zugesagt werden, empfiehlt er weiter. Falls sie doch zugesagt werden sollen, sollte eine Regelung aufgenommen werden, nach der den Parteien bekannt ist, dass nicht abgeschätzt werden kann, wie lang die Coronavirus-Pandemie andauert und welche Auswirkungen sie hat. Infolgedessen verlängere sich im Falle der Erkrankung von Mitarbeitern, bei Arbeitsverboten, Betriebsschließungen, Lieferengpässen und ähnlichem die Bauzeit um die Dauer der Behinderung. Weiterhin sollte im Vertrag stehen, dass der Auftraggeber daraus keine Ansprüche gegenüber dem Auftragnehmer herleiten könne, so Dr. Mesenburg.

Eine solche Regelung sollte aber keinesfalls in die Allgemeinen Geschäftsbedingungen geschrieben werden, warnt er. Dies sei oft ungültig. Besser sei es, eine Regelung im einzelnen mit dem Vertragspartner auszuhandeln und individuell im Vertrag zu formulieren.

Beim Abschluss neuer Verträge sollten die Vertragspartner auch berücksichtigen, dass die Preise für Material steigen können. Unternehmer sollten deshalb Regelungen aushandeln, die ihnen das Recht geben, solche Preissteigerungen an den Auftraggeber weiterzuleiten, empfiehlt Mesenburg. Beispiele für Formulierungen stellt der ZDB seinen Mitgliedern zur Verfügung.

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