Elektrifizierung eines Ankerbohrgeräts
Baumaschine seit Juni 2024 ununterbrochen im Einsatz
Einige Mitgliedstaaten der EU stimulieren die Bestrebungen unter anderem durch Förderprogramme für die Anschaffung und Nutzung elektrischer Baumaschinen. Zuschüsse, Steuervergünstigungen oder günstige Kredite sollen die Investitionskosten senken und den Umstieg auf nachhaltigere Technologien erleichtern.
Die Verwaltungen einiger Metropolen, die sich dem "C40-Cities"-Netzwerk angeschlossen haben, setzen bereits seit 2021 auf Vorschriften und Verbote bei städtischen Bauprojekten. Dies forciert den Einsatz elektrischer Baumaschinen. Zu solchen Städten zählen Barcelona, Helsinki, Stockholm, Kopenhagen, München und Oslo . Stockholm und Oslo haben angekündigt, dass bis 2030 alle Baustellen emissionsfrei beziehungsweise klimaneutral sein sollen. Damit wird der Einsatz konventioneller, dieselangetriebener Baumaschinen praktisch unmöglich.
Als CO2-emissionsfreier Ersatz für den Dieselmotorantrieb sind heute im Wesentlichen folgende Antriebstechnologien bekannt:
Für ein Ankerbohrgerät lässt sich das CO2-Einsparpotential beim Betrieb überschlägig ermitteln. Bei einer Emission von ca. 2,65 CO2 kg je Liter Dieselkraftstoff werden bei 2000 Betriebsstunden im Jahr und einem durchschnittlichen Verbrauch von 10,4 l/h 55 t CO2 freigesetzt. Um diese Menge vollständig einzusparen, muss der dieselbasierte Antrieb grundlegend geändert werden.
Die Antriebskonzepte zur E-Mobilität sind inzwischen grundlegend entwickelt und bekannt. Dennoch lassen sich die Funktionsprinzipien batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV) nicht einfach auf mobile Baumaschinen, insbesondere nicht auf ein Ankerbohrgerät, übertragen. Wesentliche Unterschiede liegen in der Anzahl und im Verhalten der zahlreichen Haupt- und Nebenverbraucher, in der hohen installierten Motorleistung, den hohen Energieumsätzen und in der ständigen Verfügbarkeit im Baustelleneinsatz.
Zudem unterscheiden sich mobile Baumaschinen noch durch die Anteile kontinuierlichen oder intermittierenden Leistungsbedarfs sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Rekuperation. Die teilweise extremen Betriebsumgebungen sind eine weitere Herausforderung.
Bei der Konzeption eines neuartigen Antriebs muss die Art der Benutzung der jeweiligen Baumaschine somit sehr genau bekannt sein. Es zeigt sich auch, dass eventuell vorhandene elektrische Antriebskonzepte nicht ohne weiteres von einer Baumaschine auf eine andere Art von Baumaschine übertragen werden können. Dies gilt sogar innerhalb einer Gattung von Baumaschinen, wenn sich diese zum Beispiel in ihrer Motorleistung sehr stark unterscheiden.
Die Versorgung einer mobilen Maschine mit elektrischer beziehungsweise regenerativer Energie auf der Baustelle stellt eine weitere Aufgabe dar, dies zeigt sich nicht nur bei hohen elektrischen Leistungen, sondern auch bei der Versorgung mit Wasserstoff.
Untersuchungen an Kelly-Pfahlbohrgeräten ergaben, dass die Effizienz des elektrischen Antriebsstrangs gegenüber dem Dieselantriebstrang erwartungsgemäß wesentlich besser ist. Allerdings ist die Nutzungsdauer im reinen Batteriebetrieb ("off-grid") durch verschiedene Faktoren limitiert. Es sind längere Nachladezeiten zu berücksichtigen, in denen das Bohrgerät nicht genutzt werden kann.
An die Elektrifizierung des Ankerbohrgeräts KLEMM KR 806-3E wurden mehrere Anforderungen gestellt. Das Bohrgerät sollte ihrem konventionellen Pendant, der KLEMM KR 806-3GS, in der Bohrleistung und in den Anwendungsmöglichkeiten ebenbürtig sein. Die Bedienung musste für den Bohrgeräteführer so einfach wie möglich sein, so dass das gesamte Bedienkonzept (Funkfernsteuerung) beibehalten wurde. Außerdem sollte eine für die Baustelle leicht zu beschaffende Baustromversorgung mit einem Anschluss von max. 125 A/400 VAC genutzt werden können. Um Entwicklungsrisiken abzusichern, wurde entschieden, im ersten Schritt den bekannten hydraulischen Teil des Antriebsstrangs beizubehalten, inklusive der Load-Sensing-Hydraulikkreise und der hydraulischen Verbraucher (Zylinder, Hydraulikmotoren usw.). Daher sprechen wir von einem elektrohydraulischen Antriebsstrang. Damit erhält der Nutzer die Möglichkeit, vorhandene Bohrsysteme und Komponenten wie Drehantriebe usw. weiter zu nutzen.
Um die Energieversorgung zu berechnen, wurden zunächst die Betriebsdaten einer größeren Anzahl von Ankerbohrgeräten mit gleicher Leistung ausgewertet. Dabei erwies sich die Telemetrie (KLEMM Datalink AIR) als äußerst nützlich. Es wurde festgestellt, dass die Leistungsabnahme bei Ankerbohrgeräten im Leistungsbereich von 160 bis 175 kW im Durchschnitt bei maximal 35 % liegt. Dies liegt an der typischen, intermittierenden Arbeitsweise mit Unterbrechungen durch Gestängewechsel, Ankereinbau und so weiter. Über einen längeren Zeitraum beträgt der Leistungsbedarf somit etwa 56 kW.
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Ein 400 VAC/125 A Anschluss kann eine elektrische Leistung von etwa 86 kW liefern. Daher lag es nahe, den restlichen Leistungsbedarf der Maschine bei Leistungsspitzen durch eine Batterie sicherzustellen. Diese Batterie wird automatisch geladen, wenn der Leistungsbedarf 86 kW unterschreitet. Um die Kapazität dieser Batterie zu dimensionieren, wurden reale Leistungsprofile verschiedener Betriebsphasen mit den rechnerischen Entlade- und Ladeleistungen verschiedener Batteriegrößen sowie verschiedener Stromanschlüsse (125 A, 63 A, 32 A) in einer Simulation übereinandergelegt. Bei einer Batteriekapazität von 140 kWh brutto und einem 125 A – Anschluss sollte eine kontinuierliche Nutzung der Maschine unter normalen Bedingungen problemlos möglich sein, zusätzlich eine off-grid Benutzungsdauer von circa zwei bis drei Stunden.
Weil die Entladeleistung der Batterie ausreichend hoch ist, sind im off-grid-Betrieb nicht nur Verlade-, Fahr- und Rangiervorgänge möglich, sondern sämtliche Bohrfunktionen stehen mit maximaler Leistung zur Verfügung, zeitlich jedoch begrenzt. Auch an einem 63 A- und sogar an einem 32 A-Anschluss lässt sich die Maschine in Kombination mit einer Batterie bei entsprechend längeren Ladezeiten betreiben. Der Antriebsstrang kann auch ohne Batterie konfiguriert werden, dann ist allerdings eine Anschlussmöglichkeit mit nominal 250 A erforderlich.
Das Bordnetz wurde für die permanent-erregte Synchronmaschine als 800 V – Gleichspannungssystem ausgelegt. Bei Nutzung der Batterie stellen ein Trenntransformator, ein Isolationswächter und entsprechende Software sicher, dass neben der galvanischen Trennung die jeweils korrekte elektrische Netzform (IT, TN-S) eingehalten wird. Das Gerät hat keine Onboard-Charger, wodurch ein permanenter, hoher Stromfluss durch die Batterie vermieden und die Batterie geschont wird.
Kühl- und Heizsysteme für die Batterie, den Elektromotor und die Leistungselektronik (Inverter, Netzfilter usw.) sind vorhanden oder bei Bedarf nachrüstbar.
Die Entwicklung der Software für das Batterie- und Energiemanagement war eine weitere, umfangreiche Aufgabe. Die Software wurde vollständig neu von Klemm entwickelt, ebenso die eigentliche Maschinensteuerung.
Zunächst war die Qualifikation des beteiligten Personals für Arbeit an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen sicherzustellen. In Deutschland zum Beispiel regelt dies die Vorschrift DGUV 209- 093. Die Batterie, der Trenntransformator und ein Teil des Thermomanagements wurden in einem "Backpack" am Heck der Maschine angeordnet. Sie sind somit sehr gut zugänglich.
Der Prototyp der KR 806-3E wurde auf der bauma 2022 erstmals öffentlich ausgestellt, später dann einem internationalen Fachpublikum demonstriert. Es folgten weitere Tests im Werk von Klemm, unter anderem zum Verhalten des Inverters und des Filters, zum Kälteverhalten, zur Geräuschemission und zum Batteriemanagement. Der Zeitbedarf für diese Tests und Anpassungen war höher als zuerst angenommen.
Nach einer ausführlichen Schulung des Bedienpersonals wurde das Bohrgerät ab Ende Oktober 2023 mehrere Wochen lang vom Unternehmen Bauer Funderingstechniek auf einer Baustelle in den Niederlanden eingesetzt. Hier wurden zwecks Verbreiterung der Autobahn A 9 in der Nähe von Rotterdam Mikropfähle (Durchmesser 152 mm, maximale Tiefe 42 m) über eine Länge von 1,6 km hergestellt. Das Bohrgerät KR 806-3E konnte von Beginn an problemlos eingesetzt werden. Auf der Baustelle waren weitere acht Klemm-Ankerbohrgeräte mit Dieselantrieb im Einsatz, einige davon mit dem Telemetriesystem Datalink AIR. Somit ließen sich unter anderem die Maschinenfunktionen, das Energiemanagement und der Batteriezustand nahezu online verfolgen und mit den vorberechneten Werten vergleichen.
Als temporäre Lösung für die Energieversorgung während der Erprobung der KR 806-3E hatte sich der Betreiber für einen 200 kW Stromgenerator anstelle eines Baustromanschlusses entschieden. Die Auswertung der Energieflüsse zeigte ein einwandfreies Verhalten beim Laden und Entladen der Batterie, genauso wie vorausberechnet, sowohl im kabelgebundenen als auch im off-grid-Betrieb. Off-grid-Bohrarbeiten bei voller Leistung waren für jeweils zwei Stunden möglich.
Der durchschnittliche Verbrauch an elektrischer Energie pro Betriebsstunde betrug bei der KR 806-3E 32 kWh. Auf derselben Baustelle betrug der stündliche Energieverbrauch an Diesel einer KR 806-3GS 93 kWh. Bei gleicher Bohrleistung lag der tatsächliche Energieverbrauch mit 34 % sogar noch unter dem erwarteten Wert von etwa 43 %, weil die Wirkungsgrade der Einzelkomponenten vorab nur überschlägig und vereinfachend angenommen wurden. Vom Baustellenpersonal wurde die spürbar geringere Lärmemission des Bohrgerätes als sehr angenehm empfunden.
Das Bohrgerät befindet sich seit Juni 2024 im ununterbrochenen und störungsfreien Einsatz bei einem anderen Unternehmen auf einer Baustelle in Den Haag. Dort werden ebenfalls Bohrungen für Mikropfähle abgeteuft. Das Bohrgerät wird direkt an einem 125-Anschluss des Baustellenstromnetzes betrieben. Im realen Betrieb wurde hier ebenfalls ein durchschnittlicher Stromverbrauch von 32,6 kWh je Betriebsstunde ermittelt. Auch hier wird, neben anderen Vorteilen, der leise Bohrbetrieb vom Baustellenpersonal sehr geschätzt. Nachdem inzwischen Kundenaufträge für weitere Ankerbohrgeräte KR 806-3E vorliegen, befindet sich das Antriebskonzept zurzeit in einer Überarbeitung. Denn zum einen sind inzwischen einige elektrische Komponenten abgekündigt oder verbessert worden, zum anderen fließen die gesammelten Betriebserfahrungen ein. Die Komplexität wird weiter verringert, jedoch wird die Maschine noch kompakter und leistungsstärker sein.
Der Weg zur Elektrifizierung ist lang und steinig. Klemm hat das erste Wegstück zurückgelegt. Dabei galt es zu erkennen, welche Weggefährten uns voranbringen und wo es Irrwege gibt. Einen vollständig kabelunabhängigen Betrieb unter realen Baustellenbedingungen können wir uns derzeit nicht vorstellen. Trotzdem sind wir dem Ziel "Zero-Emission", in unserem Fall also 55 t CO2 jährlich je Bohrgerät einzusparen, ein Stück nähergekommen.