Geändertes Regelwerk begünstigt Wettbewerbsverzerrungen

Neufassung der TRBS hat die Situation verändert

Bundesinnung und Bundesverband Gerüstbau beraten demnächst in Warnemünde über Chancen, Risiken und Normen der Zukunft im Gerüstbau. Verbandsgeschäftsführerin Sabrina Luther und Präsident Marcus Nachbauer erklärten im Interview mit ABZ-Chefredakteur Kai-Werner Fajga, welche die wesentlichen Knackpunkte in den Diskussionen sein werden.

Bundesinnung/Bundesverband Gerüstbau Gerüstbau
Sabrina Luther ist Geschäftsführerin der Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk und des Bundesverband Gerüstbau. Fotos: Bundesinnung Gerüstbau / Bundesverband Gerüstbau

ABZ: Herr Nachbauer, Frau Luther, die Corona-Krise beschäftigt Deutschland nach wie vor. Wie hat sich die Pandemie auf die Bundesinnung beziehungsweise den Bundesverband Gerüstbau ausgewirkt?

Nachbauer: Die Auswirkungen der Corona-Krise machen natürlich auch vor dem Gerüstbauer-Handwerk nicht Halt und stellen die Betriebe vor eine Vielzahl von Herausforderungen. Für unsere Organisationen bedeutete es zusätzlich einen Riesenschritt in Richtung digitalen Arbeitens. Die letztjährigen ordentlichen Mitgliederversammlungen wurden per Umlaufverfahren durchgeführt, die meisten Sitzungen in Form von Videokonferenzen und Seminare als Online-Kurse. Vieles davon funktioniert inzwischen sehr gut, doch freuen wir alle uns auch wieder auf Präsenzveranstaltungen.

Luther: Auch die Mitgliederkommunikation hat sich durch die Pandemielage verändert. Die Berichterstattung auf allen Medien macht es bis heute fast unmöglich, aktuelle von veralteten Neuigkeiten zu unterscheiden und das für die jeweilige Situation richtige herauszufiltern, was zu Verunsicherungen führt. Daher unterstützt die Geschäftsstelle unsere Mitglieder – zum einen in der persönlichen Beratung, zum anderen indem wir den Überblick über politische und rechtliche Rahmenbedingungen behalten und regelmäßig zu relevanten Neuerungen in unserem Corona-Newsletter informieren.

Es ist zu befürchten, dass Bund, Länder und Kommunen nach der Krise wenig investieren

ABZ: Wie hat sich die Pandemie auf die Geschäfts- und Umsatzentwicklung ihrer Mitgliedsbetriebe ausgewirkt?

Nachbauer: Erfreulicherweise war ein Weiterarbeiten im Gerüstbau, anders als in anderen Branchen, weitestgehend möglich. Auf dem Betriebsgelände und auf den Baustellen musste natürlich der Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Einhaltung der vorgeschriebenen Schutz- und Hygienebestimmungen neu bewertet werden. In vielen Mitgliedsbetrieben der Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk liefen die Baustellen wie gewohnt weiter, vor allem im Bereich der Gerüstbauleistungen für die Bauwirtschaft, also dem klassischen Fassadengerüstbau.

Hier hatte die Pandemie wenig Einfluss auf die Konjunktur. Im Industriebereich dagegen ging die Auftragslage spürbar zurück, zum einen wegen Verschiebungen aber auch aufgrund von Stornierungen von Arbeitspaketen. Die Auftraggeber waren teilweise verhalten mit der Vergabe von nicht unbedingt notwendigen Baumaßnahmen.

Wie sich die Situation weiterentwickelt hängt wesentlich davon ab, wie Bund und Länder durch zielgerichtete Nachfrage- und Investitionsimpulse die Wirtschaft stärken. Es ist zu befürchten, dass Bund, Länder und Kommunen – wie auch der private Bauherr – in und nach der Krise wenig investieren. Für das Gerüstbauer-Handwerk ist aber entscheidend, dass auch zukünftig Aufträge durch die öffentliche Hand vergeben werden und den Unternehmern somit eine gewisse Planungssicherheit gegeben wird.

ABZ: Das Gesetzgebungsverfahren zur fünften Änderung der Handwerksordnung wurde im Juni dieses Jahres bekannt gemacht und bestätigt das geänderte Übergangsgesetz. Was bedeutet dies für Ihr Gewerk?

Nachbauer: Nach über 20 Jahren des Übergangs erhält der Gerüstbau nun endlich auch offiziell die Anerkennung und Gleichstellung, die er als Vollhandwerk verdient. Das ist ein großer Erfolg, auf den wir sehr stolz sind. Denn wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, ist der Deutsche Bundestag damit der Argumentation von Bundesinnung und Bundesverband Gerüstbau gefolgt – trotz des massiven Widerstands anderer Baugewerke – und hat erkannt, dass die bisherige Regelung zugunsten der im Übergangsgesetz genannten Handwerke zu weit gefasst war und es in Anbetracht des Missbrauchs in der Praxis eine gesetzliche Klarstellung brauchte.

ABZ: Wie geht es nun weiter?

Luther: Ab dem 1. Juli 2024 ist ein Aufstellen von Gerüsten für Dritte durch andere Handwerke regelmäßig nicht mehr ohne Ausnahmebewilligung möglich. Ausnahmen bestehen nur noch nach den bereits jetzt schon für alle Gewerke geltenden allgemeinen Ausnahmeregelungen der Handwerksordnung. Um eine einheitliche Praxis der Handwerkskammern bei den Ausnahmegenehmigungen zu erreichen, arbeiten wir zusammen mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks an der Klärung der Leitlinien für die Ausnahmegenehmigungen.

ABZ: Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel für ihre Mitgliedsunternehmen?

Nachbauer: Fachkräftegewinnung und -sicherung ist auch im Gerüstbauer-Handwerk nach wie vor eines der wichtigsten Themen für die Zukunft. Denn es wird immer schwieriger, geeignete Lehrlinge oder Fachkräfte zu finden und diese langfristig zu binden. Um den Fachkräftenachwuchs zu sichern, kommt es künftig insbesondere darauf an, sämtliche Ausbildungspotenziale sowie alle Kanäle zur Nachwuchswerbung auszuschöpfen.

ABZ: Die Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk unterstützt daher ihre Mitgliedsbetriebe schon lange mit einer gezielten Imagekampagne. Diese wurde Ende 2019 aufwendig modernisiert und wird seitdem regelmäßig weiterentwickelt. Zuletzt haben wir einen "Werkzeugkasten" mit digitalen Werbemitteln erstellt, bestehend aus Fotos, Videos, Grafiken und Mustertexten. So helfen wir unseren Mitgliedsbetrieben bei ihrer Werbung in digitalen Medien und Kanälen. Da corona-bedingt leider nur sehr wenige Azubimessen und -Veranstaltungen in Präsenzform stattfinden konnten hoffen wir so unsere Zielgruppen auf digitalem Wege zu erreichen.

Nachbauer: Ziel der Imagekampagne ist aber nicht nur die Nachwuchsgewinnung, wir möchten gleichermaßen der gesamten Gerüstbaubranche zu einem besseren Image in der Öffentlichkeit verhelfen. Hierzu verzichten wir zum Beispiel bewusst auf den Einsatz von professionellen Models und setzen ausschließlich junge Gerüstbauerinnen und Gerüstbauer als Protagonisten ein, die authentisch und mit viel Leidenschaft unseren schönen Beruf repräsentieren.

ABZ: Das Thema Rohstoffpreis und Lieferzeiten macht der Baubranche zu schaffen. Beschäftigt das Thema auch ihre Mitgliedsunternehmen?

Nachbauer: Aufgrund der Corona-Pandemie verzeichnet die Bauwirtschaft bereits seit Jahresbeginn erhebliche Preissteigerungen und Lieferschwierigkeiten in Bezug auf Baumaterialien. Betroffen sind vor allem Holz und erdölbasierte Produkte, wie beispielsweise Rohre oder Dämmstoffe. Diese Problematik wirkt sich aber auch auf den Gerüstbau aus: Holz und Stahl werden auch in unserem Gewerk als Rohstoff benötigt. Gerüsthersteller sehen sich dazu gezwungen, Material derzeit mit temporären Preiserhöhungen oder Teuerungszuschlägen von bis zu 10 Prozent zu verkaufen. Darüber hinaus kommt es vermehrt zu Auftragsstörungen, weil Auftraggeber, die von den Rohstoffengpässen betroffen sind, Bauvorhaben verschieben oder bereits in der Ausführung befindliche Vorhaben pausieren.

Luther: Zusammen mit unseren Partnern aus der Bauwirtschaft setzen wir uns dafür ein, die Auswirkungen der aktuellen Rohstoffkrise abzufangen. Den Handwerksbetrieben, die gerade während der Pandemie mit vielen Problemen zu kämpfen haben, dürfen jetzt keine zusätzlichen Hürden mehr entstehen.

Unseren Mitgliedsbetrieben raten wir, auf die richtigen "vertragsrechtlichen Sicherheitsmaßnahmen" zu achten. Das beinhaltet beispielsweise, Angebote zu befristen, feste Bauzeiten zu vereinbaren, rechtzeitig Mehrkostenanzeigen zu erstatten und Nachtragskosten wie Nachtragsvoraussetzungen – also etwa leere Materiallager – so genau wie möglich zu dokumentieren. Im Zweifelsfall, insbesondere bei Unsicherheit bezüglich der Verfahrensweise, sollte rechtliche Beratung eingeholt werden.

ABZ: Die Neufassung der TRBS 2121-1 ist jetzt seit geraumer Zeit in Kraft. Wie beurteilen Sie die Verordnung aus heutiger Sicht?

Nachbauer: Auch wenn die Meinungen hierzu auseinanderfallen, hat sich die Situation im Gerüstbau durch die Neufassung der TRBS deutlich verändert. Sie hat Auswirkungen auf den Wettbewerb und die Preiskalkulation, das vertragliche Austauschverhältnis mit dem Auftraggeber und nicht zuletzt auf den Arbeitsschutz.

Nach über 20 Jahren des Übergangs erhält der Gerüstbau nun endlich auch offiziell die Anerkennung und Gleichstellung, die er als Vollhandwerk verdient.

ABZ: Die BG BAU legte im Juli eine Bilanz für das Jahr 2020 vor – die Zahl der Arbeitsunfälle mit Todesfolge steigt. Sie sagten jüngst, dass Sie den Eindruck haben, dass die Mitgliedsbetriebe die Vorgaben der TRBS 2121-1 als Arbeitsschutzmaßstab ernst nehmen. Gibt es Versäumnisse?

Luther: Das Aufsichtsverhalten von BG BAU und staatlichen Aufsichtspersonen ist auf die neuen Regelungen abgestimmt. Lediglich durch die Corona-Pandemie waren die Baustellenüberwachungen zwischenzeitlich etwas eingeschränkt. Unser Eindruck aus der Beratungspraxis ist aber, dass viele Mitgliedsbetriebe die Vorgaben der TRBS 2121-1 als Arbeitsschutzmaßstab ernst nehmen. Von der BG BAU bekommen wir jedoch rückgemeldet, dass technischer Schutz auf vielen Baustellen nicht vorhanden ist. Neben der Aufklärungsarbeit in unserer eigenen Branche fordern wir aber auch eine differenzierte Analyse der Unfälle im Zusammenhang mit Gerüsten. Das betrifft andere Handwerke die Gerüste aufstellen ebenso wie die Nutzer von Gerüsten.

Nachbauer: Als Bundesinnung für das Gerüstbauer-Handwerk setzen wir uns stets für einen effektiven und praxisgerechten Arbeitsschutz ein – eine Erwartung, die wir auch an die Arbeitsschutzbehörden im Gerüstbau stellen. Deren Aufgabe sollte jetzt sein, die Umsetzung der erforderlichen Schutzmaßnahmen flächendeckend zu kontrollieren, um unseriösen Unternehmen, die den Arbeitsschutz ignorieren, den Spielraum zu nehmen und somit einen Beitrag zu leisten, die bestehenden Ungleichheiten im Wettbewerb zu beseitigen.

ABZ: Einige Betriebe fürchteten Wettbewerbsnachteile durch die Auswirkungen der TRBS 2121-1. Hat sich das bewahrheitet?

Luther: Besonderes Merkmal des Regelwerks ist ja ihr reiner Empfehlungscharakter, der sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt. Positiv ist, dass dem Arbeitgeber dadurch ein Entscheidungsspielraum bei der Wahl der situationsabhängigen Arbeitsschutzmaßnahmen verbleibt. Negativ wirkt sich aus, dass die TRBS nicht "greifbar" ist und ihre uneinheitliche Anwendung Wettbewerbsverzerrungen begünstigt.

ABZ: Sie sagten neulich, die Unverbindlichkeit der TRBS 2121-1 sei Fluch und Segen zugleich. Wie ist das zu verstehen?

Nachbauer: Einerseits ermöglicht die TRBS dem Gerüstbauer, da, wo er es für angemessen hält, von den strengen Vorgaben der Vorschrift abzuweichen und somit das letzte Wort über einen wirksamen, praxisgerechten Arbeitsschutz im eigenen Betrieb selbst zu sprechen.

Luther: Andererseits ist erkennbar, dass sich der Rechtscharakter der TRBS 2121-1 auch im Verhalten der Arbeitsschutzbehörden bemerkbar macht. Juristisch ausgedrückt stellt das Regelwerk keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für das Verwaltungshandeln dar, auf deren Grundlage dem Arbeitgeber ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen abverlangt werden kann. Aus diesem Grund werden Ordnungs- oder Bußgeldbescheide der Arbeitsschutzbehörden auch ausnahmslos auf verbindliche Rechtsvorschriften, wie beispielsweise das Arbeitsschutzgesetz, die Betriebssicherheitsverordnung oder – im Fall der Beteiligung der BG BAU – die DGUV-Vorschrift "Bauarbeiten" gestützt. Das heißt allerdings nicht, dass die TRBS in der Überwachungspraxis der Behörden keine Rolle spielt. Sie wird vielmehr als Ermessensgrundlage herangezogen, ihre Anforderungen also als Sicherheitsmaßstab zugrunde gelegt.

Entscheidend bleibt die Pflichtenstellung in der Betriebssicherheitsverordnung. Diese Norm fokussiert allerdings auch zu einseitig auf den Gerüstersteller. Für eine effektivere Unfallprävention müssten auch die Gerüstnutzer stärker in die Pflicht genommen werden.

ABZ: Herr Nachbauer, Sie stehen an der Spitze der Bundesinnung Gerüstbau und sind zum Vorsitzenden der Bundesvereinigung Bauwirtschaft gewählt. Haben sich die gewünschten Synergieeffekte der Doppelfunktion ergeben?

Nachbauer: Inzwischen bin ich bereits seit gut zweieinhalb Jahren in der Rolle des BVB-Vorsitzenden und habe mich in diese verantwortungsvolle Position eingearbeitet. Natürlich gibt es Synergieeffekte, da wir im Bundesverband Gerüstbau als verhältnismäßig "kleiner" Verband nun nicht nur näher an die anderen, in der BVB vertretenen Wirtschaftsverbände herangerückt sind. Wir merken auch, dass wir uns häufig mit den gleichen Themen beschäftigen und diese gemeinsam stärker positionieren und gegenüber der Politik, den Sozialpartnern und der Öffentlichkeit vertreten können.

Für mich persönlich stehen die Interessen der mittelständischen Bauunternehmen, die wir repräsentieren, im Fokus meines ehrenamtlichen Engagements. Gerade die Bauwirtschaft führt Traditionen in die Zukunft.

Dazu bedarf es aber entsprechender Rahmenbedingungen. Dabei geht es mir besonders um die Fachkräftesicherung, um den Arbeitsschutz sowie um die Bekämpfung der Schwarzarbeit.

Marcus Nachbauer ist Bundesinnungsmeister Gerüstbau und Präsident des Bundesverbands Gerüstbau.

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