Geschädigte können Schadensersatz verlangen

Viele Stahlkäufer haben zuviel gezahlt

von: Sonja Weiße
Baustoffe
Das Bundeskartellamt in Bonn hat Bußgelder gegen Unternehmen verhängt, die an den Kartellen beteiligt waren. Foto: Schuering

Bonn/Berlin (ABZ). – Wegen rechtswidriger Absprachen hat das Bundeskartellamt Geldbußen gegen Unternehmen verhängt. Insbesondere Stahlbauunternehmen, aber auch Baumaschinenhersteller könnten nach Einschätzung von Juristen von zwei Kartellen geschädigt sein.Unternehmen, die von Mitte 2002 bis Juni 2016 Quartobleche, also warm gewalzte Stahl-Flach-erzeugnisse, bezogen haben, haben womöglich einen zu hohen Preis dafür gezahlt und können deswegen Schadensersatzansprüche geltend machen. Darauf weist die Kanzlei Hausfeld hin, die sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Denn einige Hersteller haben sich von Mitte 2002 bis Juni 2016 über Aufpreise und Zuschläge für Quartobleche in Deutschland ausgetauscht. An diesem Kartell waren die Ilsenburger Grobblech GmbH, die thyssenkrupp Steel Europe AG, die voest-alpine Grobblech GmbH und die Aktien-Gesellschaft der Dillinger Hüttenwerke beteiligt. Das Bundeskartellamt hat deshalb Ende 2019 Bußgelder in Rekordhöhe von rund 646 Millionen Euro verhängt. Diese Summe sei ungewöhnlich hoch, was dafür spreche, dass hohe Schäden entstanden sind, erläutert die Anwältin Dr. Ann-Christin Richter, Partnerin bei der Kanzlei Hausfeld. Es handele sich um ein sehr langfristiges Kartell. Quartobleche werden insbesondere im Stahl-und Brückenbau, Hochbau, allgemeinen Maschinenbau, Schiffsbau, Kessel- beziehungsweise Druckbehälterbau, zum Bau von Windtürmen und Pipelines und in der Offshore-Industrie eingesetzt.

Vereinigung gehörte zum Kartell
Auch wer zwischen 2004 und 2015 Stahl-Langerzeugnisse der Produktgruppen Edelbaustahl, Werkzeug- und Schnellarbeitsstahl sowie RSH-Stahl (rost-, säure-, hitzebeständiger Stahl) erworben hat, könnte dafür einen überhöhten Preis gezahlt und daher Anspruch auf Schadensersatz haben. Das Bundeskartellamt hatte bereits im Jahr 2018 gegen einige Edelstahlunternehmen, einen Branchenverband und zehn verantwortliche Personen Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 205 Millionen Euro wegen Preisabsprachen und des Austauschs wettbewerblich sensibler Informationen verhängt. Zu diesem Kartell gehörte die ArcelorMittal Commercial Long Deutschland GmbH, die Dörrenberg Edelstahl GmbH, die Kind & Co. Edelstahlwerke GmbH & Co.KG, die Saarstahl AG, die Schmidt + Clemens GmbH + Co. KG, die Zapp Precision Metals GmbH, Georgsmarienhütte und die österreichische voestalpine AG. Gegen weitere Unternehmen ermittelt das Kartellamt immer noch.Auch die inzwischen aufgelöste Edelstahl-Vereinigung e. V. spielte eine große Rolle bei den rechtswidrigen Absprachen: Sie bot den Unternehmen Plattformen für die Umsetzung der Absprachen, bereitete Daten für die Abstimmung von Schrott- und Legierungszuschlägen auf und stellte sie zur Verfügung. "Die Edelstahl-Vereinigung war hier Teil des Kartells", so der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt. Sie habe geholfen, das wettbewerbswidrige Verhalten der Unternehmen zu organisieren. Auch der Verband Wirtschaftsvereinigung Stahl war am Kartell beteiligt.Die Unternehmen des Kartells wollten nach dem Auslaufen des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) die bis dahin bestehenden Marktverhältnisse erhalten, erläuterte das Bundeskartellamt in einer Erklärung die Hintergründe der Absprachen. Denn der Vertrag über die Gründung der EGKS sah Sonderregelungen für die Stahlindustrie unter anderem bei der Preissetzung vor, die nun wegfielen. Die Unternehmen wollten einen Preiswettbewerb vermeiden – oder zumindest dämpfen –und für sie auskömmliche Preise im Markt etablieren.Insbesondere Stahlbauunternehmen, aber auch Hersteller von Baumaschinen könnten nach Einschätzung von Dr. Martin Jäger von der Kanzlei Hausfeld erheblich von den beiden Kartellen geschädigt sein. Die Juristen haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass sehr viele geschädigte Unternehmen von den Kartellen und den Schadensersatzansprüchen nichts wissen. "Nicht jeder hat eine eigene Rechtsabteilung, und wenn ja, hat er eine sehr beschäftigte Rechtsabteilung", sagt Ann-Christin Richter. Wenn sich die Möglichkeit doch herumspreche, Schadensersatz zu verlangen, geschehe dies teilweise recht spät.
Große Gruppe ist vorteilhaft
Die Kanzlei Hausfeld sei jedoch mittlerweile mit einigen Unternehmen im Gespräch, die gerne ihre Ansprüche durchsetzen wollen. Nach den Erfahrungen der Juristen ist es von Vorteil, wenn eine große Gruppe die Ansprüche gemeinsam durchsetzt oder jedenfalls ihre Daten in einem großen Datenpool sammelt. Daher sollten sich Betroffene gerne melden. Es könnten sogar Käufer Schadensersatzansprüche haben, die die Produkte von anderen Stahlherstellern bezogen haben, die gar nicht zum Kartell gehörten, erläutert die Kanzlei. Denn Preiskartelle würden häufig auch indirekt zu Preiserhöhungen von unbeteiligten Wettbewerbern führen.Die Höhe des Schadens ergebe sich daraus, wie weit der gezahlte Preis den Preis übersteigt, der hypothetisch gezahlt worden wäre. Um dies auszurechnen, brauche man einen ökonomischen Experten. Nach wettbewerbsökonomischen Studien führen Kartelle in etwa zu Schäden in Höhe von durchschnittlich 20 Prozent der jeweils gezahlten Preise. Ab einer deutlich fünfstelligen Schadenshöhe lohnt sich nach der Einschätzung der Kanzlei eine Klage.Durch die Feststellungen des Bundeskartellamts sei es zwar einfacher für Geschädigte, ihre Ansprüche durchzusetzen, erläutert Ann-Christin Richter. Die Entscheidung des Kartellamtes habe eine Bindungswirkung vor den Gerichten, vor Gericht seien die Erfolgsaussichten überdurchschnittlich gut. Dennoch würden die Kartellanten oft zunächst versuchen, solche Ansprüche abzuwehren. "Die haben sehr spezialisierte Kanzleien, die den ganzen Tag nichts anderes machen", beschreibt sie. Auch wenn die Kanzlei Hausfeld zunächst eine Lösung auf dem Vergleichswege anstrebe, sei es daher häufig erforderlich, zu beweisen, das man ernst mache und seine Ansprüche notfalls vor Gericht durchsetze werde, so die Erfahrung der Juristin.
Verjährung beginnt bald
Ob sie Ansprüche haben, sollten geschädigte Unternehmen bald prüfen. Denn für Lieferungen von Quartoblechen vor 2007 rechnet die Kanzlei Hausfeld mit Verjährungsrisiken ab dem Jahr 2021. Ansprüche aus Lieferungen von Edelstahlprodukten vor 2007 könnten bereits im Laufe des Jahres 2020 verjähren. Es müssten dann Maßnahmen ergriffen werden, um die Verjährung der Schadensersatzansprüch zu hemmen, raten die Juristen.Nach Einschätzung von Ann-Christin Richter sind Aktiengesellschaften gegenüber ihren Aktionären sogar verpflichtet, diese Ansprüche zu prüfen.Betroffene Unternehmen sollten jedenfalls Unterlagen wie Vertragsunterlagen, Bestellungen, Rechnungen und Auftragsbestätigungen aufbewahren, auch wenn die handels- oder steuerrechtlichen Aufbewahrungspflichten bereits abgelaufen sind. Denn diese Dokumente sind wichtig, um mögliche Schadensersatzansprüche geltend machen zu können.Wichtig seien auch Unterlagen zur Zahlung, da von diesem Tag an die Zinsen berechnet werden, so Martin Jäger. Denn auch die entgangenen Zinsen seien ein Teil des Schadens und müssten daher ersetzt werden. Oft seien die Zinssummen ganz erheblich, erklärt Richter. Die Zinssumme könne 50 Prozent des Schadens ausmachen oder sogar mehr.

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