Giga Projekt in Saudi-Arabien
Die Vision 2030 entsteht bereits heute
von: Christian BrensingKaum ein Land auf der Welt verfolgt heutzutage so unermüdlich einen Kurs des Fortschritts und des Wohlstands wie das Königreich Saudi-Arabien (KSA). Dieses nationale Streben hat einen Namen: Vision 2030. Sie setzt Standards und Ziele für alle saudischen Bürger und ihre Gesellschaft. Die Vision 2030 wurde erstmals 2016 verkündet und ist als eine politische Agenda zu verstehen, die vor allem die Diversifizierung der Wirtschaft und die Stärkung der Bürger zum Ziel hat. Sie trägt die eindeutige Handschrift Mohammed bin Salmans, des Kronprinzen und Premierministers.
Seine Vision ist es, den nationalen Weg zu Wohlstand, Einheit und zunehmender Bedeutung in der Region und dem Rest der Welt maßgeblich zu definieren und instrumentieren. Ein wichtiges Kapitel seiner Agenda ist es, großen Teilen der saudischen Gesellschaft die Möglichkeit zu geben, Privateigentum zu erwerben. Unterstützt wird diese Initiative durch das stetige Wachstum der saudischen Bevölkerung. Hier nur zwei imposante Zahlen: 60 Prozent der Einwohner sind unter dreißig Jahre alt und 85 Prozent der Bürger leben in Städten. Daher sind der Bau und die Bereitstellung von öffentlichem und privatem Wohnraum von größter Bedeutung.
Das Private Investment Fund (PIF)-Unternehmen ROSHN Group ist einer der wichtigsten Wegbereiter dieser saudischen Vision 2030. Sie wurde 2020 mit dem Ziel gegründet, erschwingliche Wohnungen zu bauen und damit die Bildung von privatem Wohneigentum zu fördern. Beispielhaft dafür ist die Wohnsiedlung Sedra im Norden der Hauptstadt Riad. Sedra ist der jüngste neue Vorort von Riad, zu dem alle künftigen acht Siedlungen gehören, und liegt zwischen der Stadt und dem internationalen Flughafen King Khalid. Aufgrund seiner Größe und nationalen Bedeutung wurde es auf den beiden wichtigsten europäischen Immobilienmessen dieses Jahres vorgestellt, nämlich auf der Mipim (Cannes) und der Expo Real in München.
Auf beiden Veranstaltungen betraten saudische PIFs, darunter auch die ROSHN-Gruppe, zum ersten Mal die Bühne, um ihre Projekte europäischen Investoren in großem und eindrucksvollem Rahmen vorzustellen. Roger Fatovic, Executive Director Program Management mit mehr als zwanzig Jahren Erfahrung im Nahen Osten und Mitarbeiter der ROSHN-Gruppe aus den Anfangstagen des Unternehmens, stellt unmissverständlich fest: "Unser Kerngeschäft sind die großen Masterplan-Gemeinden. Sedra ist unser Vorzeigeprojekt mit einer Größe von mehr als 20 Quadratkilometern. Sedra ist ein mehrstufiges (bis zu acht Phasen) Wohnbauprojekt mit über 30.000 Wohnungen, das von den Architekten AS+P Albert Speer + Partner GmbH (AS+P) aus Deutschland geplant wurde."
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Seit Herbst 2024 sind zwei der acht Bauabschnitte fertiggestellt oder befinden sich in einem fortgeschrittenen Bauzustand. Sedra 1 mit seinen 4000 Mehrfamilienwohnungen ist ausverkauft und vollständig belegt. Es hat Vorbildcharakter für die weiteren Bauabschnitte, die bis zum Ende des Projekts, also bis zur Vollendung von Vision 2030 entstehen werden. Insbesondere Sedra 1a ist in Design und Stil beispielhaft für das, was noch kommen wird. Es besteht aus insgesamt 3000 Wohnungen, 15 Schulen, sechs Moscheen und mehreren Gemeindezentren mit verschiedenen Sportanlagen sowie von Bäumen gesäumten Straßen und Vorgärten.
Die Planung von Sedra 1 begann 2018 mit dem städtebaulichen Entwurf, dessen Fertigstellung fast zwei Jahre dauerte. AS+P lieferte den Gesamtmasterplan einschließlich Landschaftsarchitektur und Mobilitätskonzept, während andere Fachplaner die Infrastrukturplanung und die Gestaltung der standardisierten Haustypen übernahmen. Unter dem Motto "Living Beyond Walls" konzentriert sich der ganzheitliche Entwurf von AS+P auf die direkte Einbindung der Natur in den öffentlichen Raum, die Vermeidung von sozialen, funktionalen und visuellen Barrieren und einen klaren Fokus auf den Fußgängerverkehr gemäß eines nachhaltigen "Slow Mobility Concepts". Der Großteil der Wohneinheiten wird durch so genannte "Living Streets" – Wohnstraßen, die als ein Shared-Space-Straßensystem realisiert werden – verbunden, um einen lebendigen öffentlichen Raum zu schaffen, wobei die Flächen für den motorisierten Individualverkehr minimiert werden.
Der Gestaltungsstil, sowohl für die einzelnen Häuser als auch für die Gemeinschaftsgebäude, ist die sogenannte Salmani-Architektur, wie sie in der Buch Veröffentlichung King Salman Charter for Architecture and Urbanism von 2022 definiert ist. Ferner übernahmen KNA-Architekten aus dem Libanon den Konzeptentwurf bis zur Detailplanung.
Ende 2020 ging die ROSHN-Gruppe auf die Baustelle und begann mit dem Bau. Covid verlangsamte den Fortschritt in keiner Weise, da unverzüglich alle Designer und Ingenieure von ihren Heimbüros aus arbeiten konnten. Marc Jackson, der in Australien geborene Senior Director Program Management der ROSHN-Gruppe, erinnert sich noch lebhaft an diese Zeit: "Der Baufortschritt ging Block für Block voran, der aus je sechs Wohnvierteln bestand, die entwurflich zwischen 150 und 360 Villen variierten. Im Prinzip behandeln wir den gesamten Planungs- und Bauprozess wie ein Fließband. Insgesamt haben wir neun Villentypen, die wir so wiederholbar wie möglich gestaltet haben."
Alle Häuser werden aus Betonfertigteilen gebaut, die aus dem Zementwerk der ROSHN-Gruppe bei Riad stammen. Die Villen haben eine Größe zwischen 200 und 400 Quadratmetern. Das Angebot beginnt mit kleinen Stadtreihenhäusern, dann folgen Doppelhäuser und schließlich freistehende Villen, die als C-10 bis C-14 bezeichnet werden. Sie gehören zu den Premiumprodukten der ROSHN-Gruppe. Neben den Häusern stellt die ROSHN-Gruppe auch die Verkehrs-, Landschafts- und Gebäudeinfrastruktur, ebenso wie die Stromversorgung und Abwasserentsorgung, zur Verfügung.
In diesem Zusammenhang umfasst das gesamte Spektrum an Gebäuden und Bauwerken zum Beipiel Trafostationen, Kläranlagen, Fußgängerbrücken, Kindergärten, Schulen, Supermärkte, Moscheen, Arztpraxen, Kindertagesstätten und ähnliches. Wenn die ROSHN-Gruppe ein für die Region Riad typisches Wüstengrundstück gekauft hat, läuft der Bau der Häuser folgendermaßen ab: Der Wüstenboden wird verdichtet, gefolgt von der Verlegung der Ver- und Entsorgungsleitungen sowie aller elektrischen Bodenkabel. All dies wird in eine stahlbewehrte Betonplatte eingegossen, die das Fundament der Häuser bildet.
Dann kommen die vorgefertigten Betonwände auf die Baustelle. Alle Außenwände bestehen aus einer Sandwichkonstruktion mit einer 120 Millimeter Polystyrol-Wärmedämmung. Während des gesamten Projekts sind die Planung und die Arbeiten klar zwischen Infrastruktur- und Hochbauarbeiten geteilt. So wurden die zwei Hauptauftragnehmer, die China Harbour Engineering Co. Ltd. für die Infrastruktur und die indische Shapoorji Pallonji KSA für den Wohnungsbau, eng mit den internen Ingenieuren und Managementteams der ROSHN-Gruppe zusammengeführt. Im Vergleich zu anderen saudischen Wohnungsbaugesellschaften, wie etwa Retal oder der National Housing Company (NHC), sind die Produkte der ROSHN-Gruppe sehr ähnlich. Einem Laien würde der Unterschied wahrscheinlich nicht auffallen, auch weil die Bauträger eng zusammenarbeiten. Retal ist zum Beispiel für die ROSHN-Gruppe einer der Subunternehmer in Sedra.
Alle Wohnungen werden mit voll ausgestatteten Bädern und Küchen geliefert, wobei die Käufer nur noch ihre eigenen Küchengeräte einbauen müssen. Was die Nachhaltigkeit betrifft, so verfügt jede Einheit über eine Solaranlage zur Warmwasserbereitung, wobei es jedoch Sache der Nutzer ist, ihre eigenen Solarzellen zur Stromerzeugung anzubringen. Und was die Art des Betons angeht, so prüft die ROSHN-Gruppe die Verwendung von grünem und leichtem Beton.
Anfang November 2024 nahm mich der koreanische Bauingenieur Hyun Lee, seines Zeichen ROSHN Group Construction Director von Sedra 2, in seinem Auto mit über die weitläufigen Baustellen. Er fasste die bisherige Bilanz wie folgt zusammen: "Die Bauarbeiten an Sedra 2 begannen Mitte 2022. Die Gesamtfertigstellung hängt vom jeweiligen Bauabschnitt ab, aber die Einfamilienhäuser sind zum Beispiel für Ende 2026 geplant. In Sedra 2 arbeiten wir mit einer Reihe von Bauträgern zusammen, die zum Beispiel Mehrfamilienhäuser entwickeln, die im Wesentlichen aus fünfgeschossigen Wohnblöcken mit ein bis drei bis vier Zimmern bestehen. Unsere Einfamilienhäuser und Gemeinschaftszentren werden alle aus Betonfertigteilen gebaut, während wir die Mehrfamilienhäuser in Ortbetonbauweise mit konventionellem Mauerwerk als Ausfachung errichten."
Das Sedra-Wohnungsbauprojekt als Ganzes ist ein so gewaltiges Unterfangen, dass es mit keinem anderen in Saudi-Arabien vergleichbar ist. Schließlich ist es eines von mehreren Giga-Projekten unter dem Dach der ROSHN-Gruppe, zu der beispielsweise auch die ROSHN-Arena für die Fußball-Weltmeisterschaft 2034 gehört. Zukünftig werden im Durchschnitt in ganz Sedra einmal über 160.000 Menschen leben. Zahlen, Ziele und Dimensionen, die wir in Mitteleuropa nicht mehr kennen, in Saudi-Arabien dagegen gehören sie zu den täglichen Herausforderungen.
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Der Autor ist Fachjournalist und Unternehmensberater aus Berlin/London.