Gotthard-Tunnel

Noch kein Durchbruch für Europas Bahnverkehr

von:

Bernd Röder

Tunnelbau
Am 15. Oktober 2010 gelang der Bohrmaschine Sissi in der Oströhre der Durchbruch – genau um 14.17 Uhr. Foto: AlpTransit Gotthard AG

Erstfeld/Berlin. – Der neue Gotthard-Bahntunnel ist eröffnet worden. Er macht im Alpentransit mehr Güterverkehr auf der Schiene möglich. Doch die Tunnelstrecke kann noch lange nicht voll ausgelastet werden. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst ist es zweifellos. Mit je 57 km sind die beiden Röhren durch die Schweizer Alpen der längste Eisenbahntunnel der Welt. Kürzlich wurde der Gotthard-Basistunnel feierlich eröffnet, nach vielen Testfahrten soll der reguläre Zugverkehr mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember aufgenommen werden. Fraglich ist jedoch, ob der große Durchbruch durch den Berg auch ökonomisch zu einer Erfolgsgeschichte wird.Beim Güterverkehr hängt viel von Deutschland ab. Die Transporteure beklagen Versäumnisse beim deutschen Schienennetz. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) spricht gar von einer Blamage der Verkehrspolitik. Die Deutsche Bahn hält die neue Tunnelstrecke zwar für einen "Meilenstein" des europäischen Schienenverkehrs, sie sei "aber nur der erste Schritt"."Der Tunnel funktioniert nur, wenn die nachgelagerten Schienennetze deutlich ausgebaut werden", sagt Frank Rösch vom Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. "Da wird Deutschland deutlich zulegen müssen." Andererseits sei damit zu rechnen, dass der Tunnel "eine Katalysatorwirkung haben wird" – also auf deutscher Seite schneller gebaut wird. Dazu gehörten auch Güterbahnhöfe, auf denen extralange Züge bis 740 m für den Alpentransit zusammengestellt werden könnten.Noch fehlen leistungsfähige Zubringerstrecken, nicht nur in Deutschland, auch in der Schweiz und in Italien. Als wichtiges Verbindungsstück nach Süden ist auf Schweizer Gebiet der 15 km lange Ceneri-Tunnel im Bau. Er soll 2020 betriebsbereit sein.Deutlich länger wird es dauern, bis die 182 km lange deutsche Zubringerstrecke Karlsruhe-Basel komplett ausgebaut ist, über die fast der gesamte Güterverkehr aus dem Norden in die Schweiz kommt. Frühestens 2035 wird der Abschnitt viergleisig befahrbar sein. "In Deutschland sind die Planungen nicht erreicht worden, wir sind mit dem eigenen Zeitplan in Verzug", stellt der Ministerialdirigent im Bundesverkehrsministerium, Hugo Gratza, fest.Die Bundesregierung habe es in den 17 Jahren Bauzeit des Gotthard-Tunnels geschafft, "das Ziel der Verlagerung auf die Schiene zu vernachlässigen", kritisiert der VCD. Dabei sei innerhalb weniger Jahre die Autobahn von Baden-Baden nach Offenburg für den Lkw-Verkehr sechsspurig ausgebaut worden, "nachdem zuvor die Planungsmittel für den Ausbau der Rheintalbahn gestrichen wurden", sagt der baden-württembergische VCD-Landeschef Matthias Lieb.Auf dem Schienenkorridor von Rotterdam an der Nordsee bis Genua am Mittelmeer sind pro Jahr mehr als 1 Mrd. t Fracht unterwegs. Prognosen rechnen mit einer Verdoppelung bis zum Jahr 2030, wenn die Kapazität vorhanden ist. Gratza sagt, die Bundesregierung wolle bei wachsendem Volumen den Anteil der Schienentransporte am gesamten Güterverkehr von derzeit 17 % zumindest halten. Rund 9000 Züge der deutschen Güterbahn DB Cargo fuhren im vergangenen Jahr über die Gotthard-Route – Tendenz steigend.Am Gotthard werden bereits 69 % der Gütermenge per Bahn befördert und nur noch 31 % per Lastwagen. Die Zahl der Lkw-Fahrten sank von 1,4 Mio. (2000) auf 1,0 Mio. (2014) und soll nach den Plänen der Regierung bis 2018 auf 650.000 gedrückt werden – mit Hilfe des neuen Bahntunnels und einer höheren Lkw-Maut. Für die Schweizer ist es das übergeordnete Ziel, ihre Täler von Abgasen zu entlasten. Zwei Volksabstimmungen für das Gesamtprojekt "Neue Eisenbahn-Alpentransversale" (NEAT) und seine Finanzierung legten die Grundlage dafür. Dazu gehören auch der 2007 eröffnete Lötschbergtunnel im Westen und der Ceneri-Tunnel.Hinter dem Umweltschutz reiht sich die Frage ein, ob sich die 13 Mrd. Schweizer Franken (11,7 Mrd. Euro) teure Gotthard-Strecke auch rechnet. "Volkswirtschaftlich wohl ein Nullsummenspiel" sei der neue Tunnel, vermutet der Vizedirektor des Schweizerischen Bundesamts für Verkehr, Gery Balmer, angesichts der enormen Investitionen.Erst einmal soll der Tunnel einen Zeitgewinn von bis zu 45 Minuten bringen. Die Strecke ist rund 30 km kürzer als die alte, die auf 1150 m hinauf durch den Tunnel aus dem Jahr 1882 führt. Der neue Tunnel liegt auf nur rund 550 m Höhe, die Strecke verläuft ohne starke Anstiege. Dadurch entsteht von Rotterdam bis Genua eine "Flachbahn", wie Eisenbahner das nennen.Das ist der größte Vorteil des neuen Gotthard-Basistunnel: Güterzüge brauchen inzwischen nur noch eine statt zwei Lokomotiven für die Alpendurchquerung oder zwei statt drei für die ganz schweren Züge mit bis zu 2000 t Gewicht. Statt maximal 180 Güterzüge pro Tag auf der historischen Bergstrecke können es künftig damit bis zu 260 Güterzüge sein.

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