Hängendes Haus abgebrochen

Versteifung der Stahlträger verhinderte Zusammenbruch

Hannover
Das Hängehaus bot jeweils 600 m² große Räume auf vier Etagen ohne eine einzige Stütze. Vier an den Längsseiten angebrachte Stahlpfeiler führten über das Gebäude hinweg und dienten der Aufhängung des Hauses, das auf diese Weise knapp 4 m frei über dem Boden schwebte. Der Rückbau musste deshalb von unten nach oben erfolgen. Fotos: Hagedorn
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Die Stahlpylonen wurden verstärkt und an den Außenkanten miteinander verbunden waren. Dann startete der Longfront Bagger mit dem Abtragen der einzelnen Geschosse. Von unten nach oben und von der Längsseite beginnend.

HANNOVER (ABZ). - Ein Haus, das von unten nach oben abgerissen wird. Das entspricht einfach nicht den Sehgewohnheiten. Was tun Menschen, die Ungewohntes sehen? Sie bleiben stehen und staunen. Rund um die Hagedorn-Baustelle an der Berkhusenstraße in Hannover sah man daher immer wieder staunende Anwohner und Passanten.

Des Rätsels Lösung: Bei dem abzureißenden Gebäude handelte es sich um ein sogenanntes hängendes Haus. Die Besonderheit solcher Häuser besteht in ihrer Aufhängung an tragenden Säulen ähnlich einer Hängebrücke, bei der die Fahrbahnen an den Trägern hängen. Prominentes Beispiel: die Golden Gate Bridge in San Francisco. Ein statisches System von Gewicht und Gegengewicht, Druck und Schubkräften.

In den 80er-Jahren waren Hängehäuser architektonische Neuheiten und galten als ästhetische Meisterwerke. Die an der Gebäudeaußenhülle angebrachte Tragekonstruktion ermöglichte im Innern eine damals ungewohnte Großzügigkeit von Räumen: hunderte Quadratmeter freie Innenfläche ohne eine einzige Säule. Das Hängehaus der Mecklenburger Versicherung bot jeweils 600 m² große Räume auf vier Etagen ohne eine einzige Stütze. Vier an den Längsseiten angebrachte Stahlpfeiler führten über das Gebäude hinweg und dienten der Aufhängung des Hauses, das auf diese Weise knapp 4 m frei über dem Boden schwebte: Jede einzelne Etage hing an den Gitterträgern der 27m hohen Stahlpfeiler, auch Pylonen genannt. Nur das innen liegende Treppengehäuse besaß eine eigene tragende Bodenplatte.

Nach drei Jahrzehnten war das in der Architekturszene spektakuläre Vorzeigehaus aus Glas und Stahl in die Jahre gekommen – die Sicherheit nicht mehr gegeben. Der Brandschutz ist die Achillesferse hängender Häuser, weil bei einem Feuer die Stahlkonstruktion nachgeben kann. Zwar hatten die Architekten beim Bau Vorsorge getroffen: Im oberen Teil der Pylonen wurde Kühlflüssigkeit integriert, die im Brandfall die Haupttragwerke durchströmen und so die Konstruktion kühlen sollte. Allerdings dehnen sich die zusätzlich mit Brand- und Korrosionsschutz versehenen Stahlträger auch bei warmen Temperaturen im Sommer aus. Nach über drei Jahrzehnten war die Brandschutzfarbe gerissen, der Schutz angeknabbert. Die Sanierung des über 30 Jahre alten Hauses wäre der Mecklenburgischen Versicherungsgruppe teuer gekommen. Sie entschied sich für einen Abbruch.

In der Hagedorn GmbH, Mitgliedsfirma im Deutschen Abbruchverband e. V. und Träger des RAL Gütezeichens Abbrucharbeiten, hatte der Auftraggeber einen erfahrenen Rückbauprofi gefunden. Das an einer viel befahrenen Straße, zwischen einer Tankstelle und einer Klinik gelegene Hängehaus erforderte ein absolut sicheres statisches Rückbaukonzept. Da war man bei Martin Beese, Hagedorn-Niederlassungsleiter aus Hannover, an der richtigen Adresse. "Trägerkonstruktionen haben immer die gleichen Regeln", weiß der Projektleiter aus Erfahrung. Er hat bereits mehrere Brücken rückgebaut. Genau diese Erfahrungen waren jetzt hilfreich. Zum vorliegenden Rückbaukonzept entwickelte er eine alternative Lösung. "Generell bestand die Sorge, dass das Gebäude beim Rückbau ins Wanken gerät oder in sich zusammenbricht, denn die einzelnen Pylonen haben eine relativ kleine Standfläche. Beim ursprünglichen Rückbaukonzept sollte daher ein zusätzliches Stahlkorsett das Gebäude beim konventionellen Abriss sichern", erklärt der Fachmann. Das hätte jedoch die zusätzliche Entsorgung von 200 t Montagestahl bedeutet. Pragmatiker Beese hatte einen anderen Einfall: Jede der Pylonen bestand aus vier Stahlröhren mit einem Durchmesser von 50 cm und einem 3cm dickem Stahlmantel. "Wichtig war uns, die Stahlträger so zu versteifen, dass ein Zusammenbruch durch eine eventuelle Horizontalverschiebung nicht möglich war. Unsere Idee war: Die einzelnen Röhren der Pylonen wie bei einem Turmdrehkran zu einer Art Gittermast zu versteifen", so Beese. Mit ausreichender Standfestigkeit sollte das Gebäude dann von unten nach oben abgetragen werden. Die Idee überzeugte.

Zunächst entkernte das Hagedorn-Team das gesamte Gebäude von den nicht mineralischen Stoffen: Asbesthaltige Teile, KMF-Wolle und die stark basische Kühlflüssigkeit wurden aufwendig entfernt und professionell entsorgt. Die Alu-Glasfassade glänzte ein letztes Mal durch eine Ausnahmefunktion als "vorhandener Fallschutz". Nach der Entkernung sorgte Hagedorn-Baumaschinenführer Peter Elstermann mit seinem Hitachi 470 für einen flinken Rückbau auch dieser äußeren Hülle. Nachdem die Stahl-pylonen dank präziser Schweißarbeit entsprechend Beeses Vorstellungen verstärkt und auch an den Außenkanten miteinander verbunden waren, startete der Longfront Bagger mit dem Abtragen der einzelnen Geschosse. Von unten nach oben und von der Längsseite beginnend. Etage für Etage wurde auf diese Weise entfernt bevor es zur letzten Decke kam. "Diese obere Decke war brisant, weil sie die Pylonen verband und dafür sorgte, dass diese nicht umkippen. Die kopflastigen Pylonen mussten auch ohne Decke durch unsere Versteifung genug Halt haben, um allein stehen zu können", erklärt Beese. Mit Spannung ging es daher dem letzten Geschoss an die Substanz. Die Idee von Hagedorn-Fachmann Beese und dem Hannoveraner Statikbüro LSM hatte Bestand. Die am Ende nur durch den überlaufenden Gittermast verbundenen Stahlträger hielten wie geplant auch ohne die letzte Decke. Für den Rückbau der aufragenden Stahlträger bestellte Beese zwei 250-t-Kräne. Damit diese den oberen Teil der vier Pylonen samt Gittermast abheben konnten, wurde die gesamte Konstruktion im oberen Drittel kurz vorher abgesägt. Das bereits am Kran befestigte obere Teil konnte auf diese Weise komplett heruntergehoben werden. Das Zerkleinern der restlichen Pylonen übernahm einmal mehr der Longfront Bagger, gesteuert von Elstermann. Hagedorn-Niederlassungsleiter Beese und sein Team Andre Suchan, Kalkulation, sowie der Vorort-Polier Harald Pott sind sich am letzten Tag einig: Ein intelligentes Baukonzept verdient ein intelligentes Rückbaukonzept. Das war gute Arbeit.

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