HDB-Vizepräsident Marcus Becker

"Wir brauchen eine andere Konfliktkultur am Bau"

HDB Hauptverband der Deutschen Bauindustrie
HDB-Vizepräsident Becker: "Das sogenannte \'serielle Bauen\' ist für uns ein Mittel, mit dem wir vor allem für mehr Kosteneffizienz am Bau sorgen wollen." Foto: Bauindustrie

Die Bauwirtschaft boomt und mit ihr der Wohnungsbau. Dennoch wird nach wie vor zu wenig bezahlbarer Wohnraum geschaffen. Woran das liegt und welche Ansätze hier Abhilfe schaffen können, darüber sprach ABZ-Chefredakteur Robert Bachmann mit Marcus Becker, Vizepräsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie und Geschäftsführer der Kondor Wessels Bouw Berlin GmbH.ABZ: Herr Becker, trotz Bauboom werden aktuell deutlich weniger Wohnungen fertiggestellt als der Bedarf es erfordert. Was bremst die Bauindustrie aus?Becker: Ausbremsen ist vielleicht das falsche Wort. Es war zu erwarten, dass nach Jahren der Wohnungsbauflaute die Fertigstellungszahlen nicht von heute auf morgen dramatisch gesteigert werden können. Dass dadurch vorerst die Lücke zwischen Bedarf und Bedarfsdeckung noch größer wird, sehen wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Denn auch, wenn wir uns mehr Fertigstellung von Wohnraum wünschen, ist der Zuwachs im Vergleich zu den Jahren zuvor sehr hoch. Der Wohnungsbau ist aktuell der zentrale Konjunkturmotor der Bauwirtschaft. Und noch viel wichtiger: Die Entwicklung zeigt keinerlei Anzeichen einer Blase, sondern ist stabil und nachhaltig. Das Problem ist nicht die Zahl der Fertigstellungen, es ist vielmehr die Frage, ob die fertiggestellten Wohnungen bedarfsgerecht sind. Hierbei muss man heute den Blick auf den Bau von Mehrfamilienhäusern bzw. Großwohnanlagen richten. Überall dort, wo wir derzeit halbwegs vernünftig bauen können, sorgen heute immens hohe Grundstückspreise dafür, dass dort im Grunde nur teure Eigentumswohnungen entstehen können. Von den zuletzt knapp 300.000 fertiggestellten Wohnungen entfällt etwa die Hälfte auf Geschosswohnungen, davon sind aber lediglich 30.000 bis 40.000 im bezahlbaren Mietsegment angesiedelt. Wo wir tatsächlich gebremst werden, das ist das Bauordnungsrecht. In der eigenen Praxis sehe ich immer wieder, dass die Genehmigungsbehörden zwar bemüht sind, jedoch in einer Flut aus Vorschriften ertrinken. Ein Teufelskreis: Denn gleichzeitig bietet die Masse an Vorschriften viel Raum für Einsprüche seitens der Anwohner. Gerade hier in Berlin können wir immer wieder beobachten, wie die Bauämter permanent damit beschäftigt sind, die Projekte, die sie gerne umsetzen würden, gegen den massiven Widerstand der Bevölkerung zu verteidigen. Selbst in den sogenannten B-Plan-Gebieten ist es schwer, zeitnah an eine Baugenehmigung zu kommen. Aktuell ist es kaum noch möglich, innerhalb eines Jahres eine Baugenehmigung zu erwirken. Bedauerlich ist auch, dass es Bundesbauministerin Hendricks nicht gelungen ist, die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Wohnungsbau zu verbessern. Zwar fehlt es heute nicht an Investoren – solange die Zinsen niedrig sind, werden diese in deutsches Betongold investieren –, wenn sich der Investitionsstau jedoch erst einmal aufgelöst hat, dann stellt sich die Steuerfrage neu. Um die Investitionen in den Wohnungsbau dann langfristig zu verstetigen, brauchen wir zumindest Abschreibungsbedingungen, die dem tatsächlichen Werteverzehr entsprechen, vielleicht aber auch zusätzliche Anreize.ABZ: Zusammen mit der deutschen Wohnungswirtschaft setzen Sie sich für eine stärkere Industrialisierung im Wohnungsbau ein. Welche Vorteile sehen Sie im sogenannten "seriellen Bauen"?Becker: Das sogenannte "serielle Bauen" ist für uns ein Mittel, mit dem wir vor allem für mehr Kosteneffizienz am Bau sorgen wollen. Dazu müssen künftig anstelle von Einzelprojekten vermehrt Prototypen geplant werden, die anschließend in Serie umgesetzt werden. Dies kann traditionell in Beton- oder Mauerwerksbauweise erfolgen. Man kann aber auch einen Großteil des Bauens in die industrielle Vorfertigung verlegen. Neben den bekannten Tafelbauweisen gibt es heute auch Lösungen, die die Vorfertigung ganzer Wohnraummodule vorsehen, die auf der Baustelle lediglich noch montiert werden müssen. Noch einmal: Das Kernanliegen dieses Ansatzes ist es, bei der Fertigstellung von bezahlbarem Wohnraum weg von der kostenintensiven Individualplanung hin zu einem kostengünstigen, besseren und schneller planbaren Bauen nach vorgegebenem Muster zu kommen. In Anbetracht der vorweg genannten Problemfelder ist das sicherlich nicht das Allheilmittel für mehr bezahlbaren Wohnungsbau, jedoch neben der Lösung des Baulandproblems und der Durchforstung des Baurechts eine wichtige Schraube.ABZ: Häufig liest man in diesem Zusammenhang von der "Platte 2.0" – ein Begriff, der eher negative Assoziationen weckt. Besteht bei einer Forcierung des seriellen Bauens nicht auch die Gefahr, einmal mehr die Entstehung von Bausünden zu fördern?Becker: Ich sage, wir sind dazu in der Lage, architektonisch anspruchsvolle Lösungen zu liefern. Von Architekten wird zwar immer wieder die Warnung ausgesprochen, dass diese Form des Bauens zu einer Monotonisierung der Innenstädte führen könnte. Ich halte diesen Einwand für unberechtigt, weil auch serielles Bauen Differenzierung zulässt. Darauf werden hoffentlich schon die Architekten hinwirken, die selbstverständlich auch beim seriellen Bauen für die Entwürfe zuständig sind. Sicherlich werden wir im Rahmen des kostengünstigen Wohnbaus keine Natursteinfassaden o. Ä. realisieren können. Trotzdem wollen wir natürlich auch hier abwechslungsreiche und op-tisch ansprechende Gebäude bauen, die den geltenden Wärmeschutzverordnungen, den Richtlinien der Gebäudebeleuchtung usw. entsprechen, die trotz kleinerer Grundrisse ein angenehmes Raumklima aufweisen und mit Balkonen ausgestattet sind. Der Begriff "Platte 2.0" darf hier nicht zum Totschlagargument werden. Niemand möchte den Plattenbau der 70er- und 80er-Jahre wiederaufleben lassen. Es gibt jedoch eine klare politische und gesellschaftliche Forderung nach mehr bezahlbaren Wohnungen, der wir uns nicht verschließen dürfen. Wir kommen also nicht umhin, auch die Art, wie heute gebaut wird, zu überdenken.

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Kernanliegen ist es, bei der Fertigstellung von bezahlbarem Wohnraum weg von der kostenintensiven Individualplanung hin zu einem besseren und schneller planbaren Bauen nach vorgegebenem Muster zu kommen. Foto: foto + design thilo kühne

ABZ: Wenn der Großteil eines Bauprojekts in die industrielle Vorfertigung eines Generalunternehmers abwandert, inwiefern ändert sich dadurch die Rolle von Architekt und Planer im Wohnungsbau?Becker: Nein, die Rolle der Architekten wird sich nicht ändern. Was wir im Auge haben, ist vielmehr eine engere Verzahnung von Planung und Ausführung. Speziell wir als Bauunternehmer wollen als ausführende Kraft von Anfang an in den Planungsprozess eingebunden werden. Wenn das Bauunternehmen erst einbezogen wird, nachdem die Planung abgeschlossen ist, sind uns bzgl. der Stellschrauben für ein kosteneffizientes Bauen schlichtweg die Hände gebunden. Wenn alle Beteiligten von Anfang an einem Tisch sitzen, dann lassen sich aus unserer Sicht qualitativ anspruchsvolle Projekte zu vertretbaren Kosten realisieren.ABZ: Was muss sich denn aus Ihrer Sicht unbedingt ändern?Becker: Ändern muss sich in jedem Fall die Art, wie wir heute zusammenarbeiten. Vor dem Hintergrund der aktuell zutage tretenden Probleme und auch neuer Lösungsansätze wie BIM werden wir es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, dass alle Parteien in den klassischen Phasen der HOAI losgelöst voneinander nebeneinander her arbeiten. Die Voraussetzungen werden zukünftig andere sein und uns, so hoffen wir, weg vom konfrontativen Bauen hin zu einem partnerschaftlichen Bauen führen.ABZ: Was genau verbirgt sich hinter dem Modell des "partnerschaftlichen Bauens"?Becker: Im Zentrum dieses Konzepts steht ein von Grund auf vertrauensvolleres Zusammenwirken aller am Bau beteiligten Parteien. Wohnungsbau ist keine "Raketenwissenschaft". Jeder, der ein Wohnobjekt bauen will, weiß im Vorhinein, wie viel dieses in etwa kosten wird. Ausgehend von einem Budget sieht das Modell des partnerschaftlichen Bauens einen Kompetenzwettbewerb vor. Bereits von Anfang an sollen alle Parteien – Bauherr, Planer und Bauausführer – zusammenkommen und von da aus am gemeinsamen Produkt Wohnung arbeiten. Die Voraussetzung ist allerdings das Grundvertrauen, dass sich der Bauunternehmer auch an seine Budgetplanung hält und nicht im Nachhinein über Nachträge seinen Gewinn aufzubessern versucht. Im holländischen Raum werden Projekte bereits seit einiger Zeit auf diese Art realisiert. Die Vorteile liegen in einer absoluten Preissicherheit zu einem sehr frühen Zeitpunkt, einem gemeinsamen Verständnis von einem Bau-Soll und einem gemeinsamen Verständnis von dem Produkt. Wenn das alles funktioniert, dann erübrigen sich auch externe Projektsteuerer oder Anwälte, die nach Lücken in den Verträgen bzw. Unstimmigkeiten im Prozess suchen. Dann geht es nur noch um das Produkt, damit haben auch wir bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Um das zu erreichen, brauchen wir jedoch eine andere Konfliktkultur am Bau. Wir werden nie konfliktfrei bauen können. Wir müssen jedoch anders mit diesen Konflikten umgehen. Nicht über Anwälte oder Schlichter, sondern indem wir Lösungen im Team selbst finden. Solche Partnerschaften müssen auf Augenhöhe stattfinden, mit fairer Risikoverteilung und größtmöglicher Transparenz.

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In Zukunft wird man es sich nicht mehr leisten können, dass alle Parteien losgelöst voneinander nebeneinander her arbeiten. Die Voraussetzungen werden durch BIM anders. Das war auch Anfang des Jahres ein Thema während der BAU in München. Foto: Messe München

ABZ: Werden dabei Bauunternehmen begünstigt, die eine Planung aus dem eigenen Hause anbieten?

Becker: Das sehe ich nicht so. Natürlich gibt es Bauunternehmen mit eigener Bauvorlageberechtigung; die Regel wird aber bleiben, dass Bauunternehmen und Planer sich zur Realisierung eines konkreten Projekts zusammenfinden. Dieses engere Zusammenwirken von Bauunternehmen und Planern wird durch BIM noch gefördert. Natürlich gibt es speziell auch beim Thema BIM Ängste, so wird häufig argumentiert, dass derartige Entwicklungen kleinere Architektur- und Planungsbüros vom Wettbewerb ausschließen würden. Zugegeben: Es ist ein Problem, dass in dieser frühen Phase der Digitalisierung am Bau jeder noch einen anderen Begriff davon hat, was BIM eigentlich ist und wie weit es greift. Das Gleiche trifft aber auf jede technologische Neuerung zu. Vor zehn Jahren war bspw. der Umgang mit Smartphones auch noch nicht so selbstverständlich, wie er es heute ist. BIM wird morgen nicht plötzlich da sein und jene vom Tellerrand schieben, denen es schwerer fällt, neue Prozesse und Technologien in ihrem Betrieb zu implementieren. Wir werden uns alle schrittweise damit auseinandersetzen müssen. Verlieren wird am Ende nur der, der sich der Entwicklung gänzlich verschließt. Hinzu kommt ein großer Vorteil, der für kleinere Unternehmen durch BIM entsteht. Aus meiner Sicht kann das digitale Planen und Bauen sogar zu einer Renaissance der Einzelvergaben führen. Indem wir per Knopfdruck ermitteln können, wie viele Quadratmeter Fliesen in einem Raum verlegt werden müssen, kann der Bauherr viel einfacher Aufträge in Einzelvergabe vergeben. Unabhängig davon, ob der kleine Fliesenlegerbetrieb nun BIM nutzt oder nicht, wird ihm die Entwicklung in die Hände spielen.

ABZ: Industrieseitig entsprechende Lösungen anzubieten ist, wie Sie selbst an verschiedener Stelle schon ausgeführt haben, nur die eine Seite der Medaille. Welche Voraussetzungen müssen Politik und Gesetzgeber schaffen, damit der serielle Wohnungsbau tatsächlich greifen kann?

Becker: Das lässt sich ganz einfach in einem Satz sagen: Hört auf, einen Markt zu regulieren, der sich endlich mal positiv entwickelt. Auf der einen Seite werden kostengünstige Wohnungen gefordert, auf der anderen Seite werden Mietpreisbremsen ins Leben gerufen, ständig neue kostentreibende Wärmeschutzverordnungen auf den Weg gebracht oder die Anforderungen an Barrierefreiheit, Lärm- oder Brandschutz verschärft. Es gibt heute zu viele Kostentreiber und auch noch zwischen den Bundesländern unterschiedliche. Viele fordern deshalb ein einheitliches Bauordnungsrecht. Ich persönlich halte dies in unserem föderalen System für sehr schwierig. Aus meiner Sicht wäre uns am meisten damit geholfen, wenn die Flut an neuen Regulierungen, die uns Bauunternehmern permanent entgegenströmt, eingedämmt wird. Darüber hinaus wird es auch weiterhin darauf ankommen, dass uns die Kommunen ausreichend Bauland zur Verfügung stellen.

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