Münchner S-Bahn

Kostenexplosion und Verzögerung bei Großprojekt

München (dpa). - Bislang zwängen sich alle Münchner S-Bahn-Linien in der Innenstadt durch einen einzigen Tunnel - bei Störungen herrscht oft Chaos. Das soll sich mit der zweiten Stammstrecke ändern. Doch nun wird klar: Das Großprojekt kommt Jahre später. Und kostet Milliarden mehr.

Es ist eine Kostenexplosion, die für Aufregung sorgt und noch einigen Streit auslösen dürfte: Statt ursprünglich 3,85 Milliarden Euro könnte die zweite zentrale S-Bahn-Stammstrecke durch die Münchner Innenstadt nun bis zu 7,2 Milliarden Euro kosten. Und die bereits auf das Jahr 2028 verschobene Inbetriebnahme dürfte sich bis 2037 hinziehen - fürchtet zumindest das bayerische Verkehrsministerium.

Die Deutsche Bahn, die das größte und für die ganze Region wichtige Infrastrukturprojekt Münchens leitet, wollte diese Zahlen nicht kommentieren. Und auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich nicht wie geplant mit dem Thema auseinandergesetzt - sehr zum Ärger seines bayerischen Kollegen ließ er eine Krisensitzung kurzfristig platzen.

Dabei hätte es für das geplante Treffen zwischen Freistaat, Bund und Landeshauptstadt einiges an Gesprächsstoff gegeben - geht es doch bei der zweiten Stammstrecke um die Entschärfung eines Nadelöhrs im öffentlichen Nahverkehr der Region. Denn bisher fahren sämtliche S-Bahn-Linien durch die Innenstadt durch einen einzigen Tunnel. Es ist die meistbefahrene Bahnstrecke Europas - und wenn es hier eine Störung gibt, was häufiger vorkommt, leiden die täglich 840.000 S-Bahn-Fahrgäste vom Ammersee bis Freising unter Verspätungen und Zugausfällen.

Außerdem sind Bund, Land und Stadt gemeinsam mit der Deutschen Bahn für die Finanzierung der zweiten Stammstrecke verantwortlich: Ende 2016 hatten sich die Projektpartner nach langem Hin und Her darauf verständigt, dass der Bund gut 1,55 Milliarden Euro und Bayern rund 1,29 Milliarden Euro übernehmen. Die Stadt München sollte rund 160 Millionen Euro und die Bahn rund 180 Millionen Euro beisteuern. Um zügig mit dem Bau beginnen zu können, finanzierte Bayern sogar Anteile des Bundes vor.

In den Berechnungen war damals auch ein Risikozuschlag von rund 650 Millionen Euro enthalten. Sollte es dennoch weitere Mehrkosten geben, so seien auch diese abgesichert, hieß es. Demnach übernehme der Bund 60 Prozent der förderfähigen Kosten. Das gelte auch, „wenn es notwendige und unvermeidbare Kostenmehrungen gibt”.

Über diese Formulierung könnte es noch einigen Streit geben, denn über die Gründe für die Kostenexplosion war aus offiziellen Quellen nichts zu erfahren. Inoffiziell wurde unter anderem auf diverse Umplanungen und teils noch immer fehlendes Baurecht verwiesen.

Zudem wirkt sich derzeit alleine schon eine längere Bauphase massiv auf die Kosten von Bauvorhaben aus. So treiben knappes Material, hohe Energiekosten und höhere Finanzierungszinsen die Preise nach oben, wie das Ifo-Institut erst vor kurzem erläuterte. Und das Handwerk kämpft nach Angaben seines Zentralverbands nicht nur mit enormen Preissteigerungen, sondern auch mit Lieferengpässen und Fachkräftemangel.

Die FDP-Landtagsfraktion jedenfalls sieht die Verantwortung für die Kostensteigerungen bei der Staatsregierung. „So wurde 2017 mit dem Bau begonnen, obwohl noch nicht einmal die Projektplanungen abgeschlossen waren. Baurecht lag in weiten Teilen noch nicht einmal vor. Zudem wurden weitere umfangreiche Änderungen veranlasst, die das Projekt weit zurückgeworfen haben”, erläuterte der verkehrspolitische Sprecher Sebastian Körber. „Jetzt zu versuchen, sich aus der Verantwortung zu stehlen, ist ganz schlechter Stil.”

Die Bahn selbst lässt sich bislang nicht in die Karten gucken - was auch die Projektbegleiter des Ministeriums irritiert. „Wir erwarten, dass die Deutsche Bahn sowohl ihre Kostenschätzung als auch ihren Zeitplan offenlegt”, sagte Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU). Eine Sprecherin der Bahn hingegen betonte: „Wir stehen im regelmäßigen Austausch mit unseren Projektpartnern. Dies umfasst auch die Zeit- und Kostenpläne des Projekts, die wir aktuell überprüfen.” Da diese Überprüfung noch nicht abgeschlossen sei, äußere sie sich aber nicht zur aktuellen Berichterstattung.

Eine Sprecherin Wissings sagte zur Krisensitzung, diese sei aus Termingründen abgesagt worden. Die Zuständigkeit für den Öffentlichen Personennahverkehr liege bei den Ländern und Kommunen beziehungsweise den von ihnen benannten Aufgabenträgern, hier beim Freistaat Bayern und als Vorhabenträgerin bei der DB Netz AG. „Der Bund ist kein Projektbeteiligter.” Dem Bundesverkehrsministerium lägen daher bislang „keine offiziellen und belastbaren Informationen” zu Kostensteigerungen und Zeitverzug bei der zweiten S-Bahn-Stammstrecke München vor. Die Verantwortung für die Sicherstellung der Gesamtfinanzierung des Vorhabens liege nach einer Erklärung vom 20. Dezember 2016 beim Freistaat Bayern.

Diese Aussage ließ Bernreiter den Kragen platzen. „Bundesminister Wissing hat offensichtlich die Brisanz der Lage immer noch nicht verstanden. Natürlich ist der Bund an der 2. Stammstrecke beteiligt!”, sagte er. „Es steht schwarz auf weiß im Grundgesetz, dass der Bund für die Schieneninfrastruktur zuständig ist.” Die Bayern brauchten „weder Hinhaltetaktik noch fadenscheinige Ablenkungsmanöver, sondern endlich Klarheit”, wie es mit der Strecke weitergeht.

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte die Absage des Treffens. Er hoffe sehr, dass die zuständigen Projektträger alles daran setzten, „dass das größte Infrastrukturprojekt Deutschlands kein zweiter Berliner Flughafen wird”, sagte Reiter, dessen Rathaus unmittelbar an eine der Großbaustellen für die zweite Stammstrecke angrenzt. Der Berliner Flughafen BER war 2020 mit achtjähriger Verzögerung eröffnet worden. Die Baukosten waren mit 5,96 Milliarden Euro dreimal so hoch wie ursprünglich vorgesehen.

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