Nachweis von Schrägstützenbefestigungen für den Montagelastfall

Belastbare Verbindungsmittel bei Sicherungsmaßnahmen verwenden

von:

Dr. Holger Schmidt und Dr. Heinz Pape

Schalungstechnik
Konstruktion der temporären Sicherungsmaßnahme – Regelausführung. Abb.: Bauart

Lauterbach. – Die Herstellung von Betonwänden aus Doppelwand-Fertigteilelementen mit nachträglichem Verguss auf der Baustelle ermöglicht einen schnellen Baufortschritt und eine hohe Qualität der Betonoberflächen. Im Zuge der Montage ist eine Abstützung der Elementwände mithilfe von Sprießen oder Schrägstützen erforderlich. Diese werden zur Stabilisierung der Betonfertigteile üblicherweise mit der Bodenplatte oder bei höher liegenden Geschossen mit der Deckenplatte verschraubt (Fußpunkt). Für die Befestigung der Sprieße am aufgehenden Fertigteilelement ist ebenfalls ein Verbindungsmittel erforderlich (Kopfpunkt). Die Befestigung am Kopfpunkt wird derzeit auf unterschiedliche Weise realisiert – entweder durch bereits im Fertigteilwerk in das Doppelwandelement einbetonierte oder durch nachträglich auf der Baustelle angebrachte Verbindungsmittel. Z. T. werden hierbei sogar Verbindungsmittel, die für andere Verwendungsbereiche vorgesehen sind, zweckentfremdet. Im Falle eines Versagens dieser temporären Sicherungsmaßnahme reicht die Bandbreite der Schadensfolgen vom Umfallen des Doppelwandelementes mit günstigenfalls lediglich monetären Auswirkungen bis hin zu einem unkontrollierbaren Absturz aus höher gelegenen Geschossen und dadurch möglicherweise Personenschäden mit Todesfolge.

Gemäß DIN EN 1990:2010-12 (Eurocode: Grundlagen der Tragwerksplanung, Abschnitt 2.1) ist ein Tragwerk "so zu planen und auszuführen, dass es während der Errichtung und in der vorgesehenen Nutzungszeit mit angemessener Zuverlässigkeit und Wirtschaftlichkeit den möglichen Einwirkungen standhält und die geforderten Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit [. . . ] erfüllt". Das den Eurocodes zugrunde liegende semi-probabilistische Sicherheitskonzept fordert den Nachweis einer ausreichenden Tragwerkszuverlässigkeit bzw. einer entsprechend geringen Versagenswahrscheinlichkeit. Hierfür sind auf der Einwirkungsseite Anforderungen an die anzusetzenden Bemessungslasten in Form von 95 %- bzw. 98 %-Fraktilwerten festgelegt. Auf der Widerstandsseite werden die Baustoffeigenschaften bzw. die Tragwiderstände in Form von charakteristischen 5 %-Fraktilwerten erfasst. Unter Einbeziehung von zusätzlichen Teilsicherheitsbeiwerten auf der Einwirkungs- und der Widerstandsseite wird das normativ geforderte Zuverlässigkeitsniveau erreicht.

DIN EN 1992-1-1 (Eurocode 2: Bemessung und Konstruktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau) fordert im Abschnitt 10.2 für Bauteile und Tragwerke aus Fertigteilen die Nachweise vorübergehender Bemessungssituationen – bspw. Transport, Aufstellung, Einbau – inkl. der Nachweise der entsprechenden temporären und ständigen Lager- und Anschlagpunkte. Der Einbau eines Doppelwand-Fertigteilelementes und dessen Befestigung mit Sprießen bis zur Herstellung des endgültigen Tragsystems stellen somit eindeutig eine nach den aktuellen Regelwerken nachzuweisende Bemessungssituation dar. An die erforderlichen Befestigungsmittel wird nach Abschnitt 2.7 darüber hinaus die Anforderung gestellt, dass diese entweder im Einklang mit einer CEN-Norm stehen oder durch eine Europäische Technische Zulassung (ETA) geregelt sein sollten.

Die Einwirkungsseite ist für den konkreten Anwendungsfall der temporären Sicherungsmaßnahme normativ klar festgelegt (siehe DIN EN 1991-1-6, Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-6: Allgemeine Einwirkungen, Einwirkungen während der Bauausführung). Für die Bemessungssituation "Einbau" sind alle möglicherweise auftretenden Einwirkungen einzubeziehen. Es handelt sich im Wesentlichen um die Bemessung für Anprall, Imperfektionen und Wind. Anpralllasten und Imperfektionen können den gültigen Regelwerken DIN EN 1991-1-7 (Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-7: Allgemeine Einwirkungen – Außergewöhnliche Einwirkungen) bzw. DIN EN 1992-1-1 (Eurocode 2) entnommen werden.

Bei der Bemessung der Bauzustände nimmt der Wind als meteorologisches Phänomen eine Sonderstellung ein, da er in seiner Stärke, Richtung und Häufigkeit außerhalb des menschlichen Einflussbereiches liegt. Sicherungsmaßnahmen wie bspw. Einhausungen sind für übliche Anwendungsfälle mit monetär vertretbarem Aufwand nicht realisierbar. Im Abschnitt 4.7 der DIN EN 1991-1-6 (Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke) wird geregelt, welche Windeinwirkungen im Bauzustand zu berücksichtigen sind. Es sind die einzelnen Ausführungsphasen unter Berücksichtigung des Fertigstellungsgrades zu berücksichtigen. Die Einwirkungen selber können dann nach dem Antwortspektren-Verfahren für Wind bestimmt werden. Da dieses Verfahren relativ aufwendig ist und in der Praxis nur bei sehr komplexen Bauzuständen und Bauwerken in exponierten Lagen angewandt wird, besteht auch die Möglichkeit, die Windeinwirkung auf der Grundlage der DIN EN 1991-1-4 (Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke – Teil 1-4: Allgemeine Einwirkungen – Windlasten) zu ermitteln. Dabei werden dann die Wiederkehrperioden in Abhängigkeit der Dauer des Bauzustandes berücksichtigt.

Die Bemessung für Wind ist in DIN EN 1991-1-4 (Eurocode 1: Einwirkungen auf Tragwerke) geregelt. Die anzusetzenden Windlasten hängen von der Topographie, der Geländerauigkeit, der Einbauhöhe über Grund und ggf. vorhandener Nachbarbebauung ab. Abhängig von diesen Parametern wird der für das betrachtete Bauteil anzusetzende Geschwindigkeitsdruck ermittelt. Der größte Teil des Bundesgebietes fällt hierbei unter die Windzonen 1 und 2 (Binnenland). Die Windzonen 3 und 4 betreffen lediglich die Küsten und Küsten nahen Bereiche Deutschlands. Hier herrschen andere Windverhältnisse als im Binnenland. Für Bauwerke bis 25 m Höhe werden vereinfacht die Geschwindigkeitsdrücke nach Tabelle NA.B.3 (Nationaler Anhang – National festgelegte Parameter – Eurocode 1) angesetzt. Da es sich im Bemessungsfall der Schrägstützenbefestigung um einen vorübergehenden Zustand handelt, ist gemäß den Ausführungen der Tabelle NA.B.5 (DIN EN 1991-1-4/NA:12-2010) eine Abminderung des Geschwindigkeitsdrucks zulässig. Ohne die Anordnung von zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen kann der anzusetzende Winddruck günstigstenfalls auf die Hälfte reduziert werden.

Um sowohl den Planern als auch den Anwendern die Notwendigkeit der Bemessung zu verdeutlichen, werden unter Verwendung der Gleichung 4.10 nach DIN EN 1991-1-4 der Winddruck in die sog. Basiswindgeschwindigkeit umgerechnet und der Bezug zu der Unwetterskala des Deutschen Wetterdienstes (DWD, www.wettergefahren.de/warnungen/windwarnskala.html) hergestellt.

Bei einem Gebäude mit 10 m Höhe in Windzone 1 ist für die ständige Bemessungssituation ein Geschwindigkeitsdruck von qp = 0,5 kN/m² anzusetzen. Für die vorübergehende Bemessungssituation Einbau darf dieser auf qp = 0,25 kN/m² abgemindert werden. Hieraus ergibt sich eine Basiswindgeschwindigkeit von 72 km/h. Gemäß der Unwetterskala des DWD entspricht diese Windgeschwindigkeit der Kategorie "stürmischer Wind". Dieser ist phänologisch gekennzeichnet durch von den Bäumen brechende Zweige. Es handelt sich also durchaus um ein mehrmals pro Jahr auftretendes Windereignis. Für die Windzone 2 ergibt sich eine Basiswindgeschwindigkeit von 82 km/h. Diese entspricht der Kategorie "Sturm", bei der Äste von Bäumen abbrechen und Dachziegel abheben. Auch dieses Szenario ist in Mitteleuropa nicht ungewöhnlich und tritt insbesondere im Sommer immer wieder in Verbindung mit Gewitterereignissen auf. Die normativ anzusetzenden Geschwindigkeitsdrücke entsprechen also den Windereignissen "stürmischer Wind" und "Sturm", deren Auftretenswahrscheinlichkeit bei der Bemessung entsprechend zu berücksichtigen ist. Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass die normativen Basiswindgeschwindigkeiten die 10-Min.-Mittelwerte der Windgeschwindigkeiten repräsentieren und somit einzelne Windböen zu deutlich höheren Windbeanspruchungen führen können.

Aus den bisherigen Ausführungen wird deutlich, dass auch die Standsicherheit für die Schrägstützenbefestigungen nachzuweisen sind. Die Verschraubung am Fußpunkt wird auf Abscheren bzw. Ausziehen beansprucht, dieselben Kräfte wirken ebenso auf die Befestigung am Kopfpunkt. Diesen Bereichen kommt also bzgl. der Sicherheit des Gesamtsystems im Montagezustand eine erhebliche Bedeutung zu.

Im Hinblick auf den Nachweis der ausreichenden Tragwerkszuverlässigkeit sind darüber hinaus klar definierte Widerstandsgrößen der Verbindungsmittel notwendig. Hier kann jedoch nicht immer auf die erforderlichen Fraktilwerte zurückgegriffen werden. Aktuell werden für die diversen in der Praxis verwendeten Verbindungsmittel von den Herstellern verschiedene Kenngrößen angegeben, welche teilweise durch nicht nachvollziehbare Versuchs- und Auswertungsszenarien gekennzeichnet sind. Die Bandbreite reicht von Zahlenangaben ohne weiteren Nachweis bis hin zu Tragfähigkeiten, die auf den Prüfergebnissen einer allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung (abZ) basieren.

Die Notwendigkeit des Nachweises temporärer Sicherungsmaßnahmen sowie die Verwendung entsprechender Fraktilwerte auf der Einwirkungs- und der Widerstandsseite sind durch den aktuellen Normentext eindeutig festgelegt. Deshalb erscheint die gängige Praxis fahrlässig, Verbindungsmittel ohne Nachweisführung zu verwenden bzw. Produkte ohne nachvollziehbare Herkunft der "Bemessungswerte" einzusetzen. Gemäß der geltenden Normungssituation können sich ausführende Unternehmen nicht auf ihre bisherige Einbaupraxis und ihre Erfahrungswerte berufen. Hier sehen die Autoren die Verantwortung bei den Herstellern der Verbindungsmittel, gemäß DIN EN 1992-1-1:2011-01 gesicherte und belastbare Bemessungswerte bereit zu stellen. Ebenso verantwortlich sind die Fertigteilwerke und die Montagefirmen, ausschließlich entsprechende Verbindungsmittel zu verwenden.

Alle am Bau Beteiligten sollten sich des Gefahrenpotentials beim Einsatz von temporären Befestigungsmitteln in Verbindung mit Doppelwand-Fertigteilelementen bewusst sein. Im Fokus steht dabei insbesondere die Sicherheit aller auf der Baustelle oder in deren unmittelbarer Umgebung anwesenden Personen, da bei unsachgemäßer Handhabung Personenschäden – auch mit Todesfolge – zu befürchten sind.

Die Autoren sind als beratende Ingenieure bei der Bauart Konstruktions GmbH mit Sitz in Lauterbach tätig.

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