Raus auf die Baustelle

Als Architekt wirklich etwas gestalten

von:

Stephan Winn

Berlin. – Jemand hat einmal gesagt: "Bei einigen großen Architekturbüros könntest du als völlig fremder Mensch einfach so reinspazieren und dich an einen beliebigen Platz setzen. Zwei Wochen lang kannst du dich hinter deinem Bildschirm verstecken, vielleicht auch drei. Dann fällst du irgendjemanden zum ersten Mal auf. Wenn du dann sagst: Mein Projekt ist der Bahnhof oder der Flughafen, ohne das näher zu spezifizieren, nicken die Leute oder seufzen und lassen dich weitere drei Wochen in Ruhe. Man kann als völlig Fremder ein halbes Jahr schaffen, indem man einfach immer wieder sagt: Ich arbeite am Flughafen."
Architektur
Stephan Winn: "Für Architekten gibt es Nischen, in denen die Freiheits- und Gestaltungsgrade noch sehr groß sind."

Halb im Spaß gemeint, tragen die Worte durchaus einen Funken Wahrheit in sich. Viele Architekten oder Fachingenieure sind bloße Zeichner, Abarbeiter, je nach Größe und Struktur des Büros funktioniert alles entweder in anonymen Strukturen oder in extremen Hierarchien, denen mitunter ein Patriarch vorsteht. Die Hälfte der Arbeit besteht darin, sich selbst und seine Pläne abzusichern, in endlosen Abstimmungsrunden und im cc-Wahn beim Versenden des neuen Entwurfs.

In der nächsten Runde geht es dann darum, die Vorstellungen der anderen in die eigenen Pläne einzuarbeiten, dann beginnt das Spiel erneut. Der Traum, als Architekt wirklich etwas zu verändern und zu gestalten, lässt sich in solchen Fällen nur bedingt verwirklichen.

Eine Alternative: raus aus dem Büro, raus auf die Baustelle. Hier gibt es Nischen, in denen die Freiheits- und Gestaltungsgrade noch sehr groß sind. In denen Architekten tatsächlich etwas bewegen können, auch wenn sie nicht an der Spitze eines Unternehmens stehen oder ihr eigener Herr oder ihre eigene Frau sind. Ein Beispiel ist der Innenausbau von Gewerbeimmobilien. Genauer gesagt: der Mieterausbau. Für die großen Generalunternehmer ist die Aufgabe wirtschaftlich oft nicht mehr sonderlich attraktiv. Die Aufgabe ist aufwendig und kleinteilig, vor allem wenn es darum geht, den späteren Nutzer zu verstehen und seine Belange ebenso zu berücksichtigen wie die Belange des Eigentümers. Im Flächenausbau gibt es daher Raum für spezialisierte Unternehmen, die da ansetzen, wo der Generalunternehmer beim Neubau aufhört. Oder im Falle von Bestandsimmobilien: Unternehmen, die eine Fläche für den Nachmieter umbauen.

Die Realität sieht hier oft so aus, dass der Eigentümer unter großem Zeitdruck steht. Ob Büro- oder Handelsimmobilie: Viele freie Flächen nehmen üblicherweise gar nicht am Wettbewerb um bestimmte Nutzer teil, weil der Eigentümer schlicht zu langsam im Ausbau ist und den gewünschten Einzugstermin nicht halten könnte. Hierin liegt die Chance auf besagte Freiheit und Gestaltungskraft: Architekten und Fachingenieure, die auf der Baustelle die Verantwortung tragen, müssen immer wieder direkt vor Ort die Planung ändern, sie müssen sich für neue Materialien oder eine andere Führung der Medienstränge entscheiden, sie müssen kurzfristig immer wieder neue Ideen der künftigen Nutzer berücksichtigen – und das alles, während der Bauprozess bereits läuft. Anders als sonst kann hier keine große Abstimmung und Absicherung erfolgen.

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Architektur
Das Ausbauen von Mietflächen kann ein interessanter Arbeitsbereich für Architekten sein, die aus dem Büro rauskommen wollen. Fotos: APOprojekt

Building-Information-Modeling und die damit einhergehende Transparenz hat sich noch lange nicht durchgesetzt – also ist der verantwortliche Architekt vor Ort auf absehbare Zeit der alleinige Entscheider, wenn es schnell gehen muss. So rasch er auch handelt, weiß er doch, dass er im Anschluss seine Entscheidung dem Eigentümer plausibel erklären muss. Er geht ein Risiko ein. Der Architekt ist so Unternehmer im Unternehmen, nicht Abarbeiter. Hier geht es nicht um die Absicherung als treibendes Motiv. Hier geht es nicht bei jeder Abweichung sofort darum, die neue Qualität am Bau zunächst einmal minutiös zu dokumentieren – sondern darum, nach bestem Wissen und Gewissen etwas zu schaffen. Zumindest sollte es so sein. Das mag naiv klingen. Allerdings nicht für denjenigen, der Liebe am Gestalten mitbringt. Der Lust hat, etwas zu bewegen.

Liebe ja, aber Mieterflächen ausbauen? Ist das die große Aufgabe, das Sehnsuchtsfeld der Architektur? Es ist in jedem Fall eine Aufgabe von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Denn das Ergebnis hat wesentlichen Einfluss darauf, wie die Immobilie für den Eigentümer performt. Verteuert sich der Ausbau, stimmt die Rendite nicht mehr. Dabei wäre alles, was hinter der Mietbereichszugangstür liegt, aus Sicht der bauausführenden Unternehmen eigentlich vergleichsweise gut kalkulierbar.

Ob Großraum-Loft oder Einzelbüro, ob edles Parkett oder rauer Industriecharme: Die gängigen Kostenunsicherheiten finden sich hier natürlich ebenfalls – andererseits sind im Mieterausbau aber Festpreismodelle oder das Prinzip des garantierten Maximalpreises durchaus häufiger zu finden als generell im Bau. Das spricht dafür, dass die bauausführenden Unternehmen eine höhere Sicherheit in der Kalkulation des Mieterausbaus sehen. Zumindest manche scheinen diese Sicherheit an die Eigentümer via Festpreis weiterzugeben und sind bereit, das verbleibende Risiko selbst zu tragen. Angestellte, die wie Unternehmer denken, nehmen den so gesteckten Kostenrahmen ernst.

Zugleich bietet sich die Chance, ein wenig am Image der Ingenieurkunst "Made in Germany" zu schrauben. Es muss an dieser Stelle nicht betont werden, dass die Großbaustellen in Berlin oder Hamburg dem Ruf der Bauwirtschaft geschadet haben. Beim Mieterausbau ist neben dem Kosten- auch der Terminrahmen von allergrößter Bedeutung – verzögert sich die Fertigstellung, fließt die Miete an den Eigentümer später, von eventuell verhandelten Rücktrittsrechten oder Regressforderungen der Nutzer ganz zu schweigen. Bei jeder einzelnen Mietfläche sollte es darum gehen, zu zeigen: Es geht sehr wohl im vorgegebenen Rahmen. Zumal es sich bei vielen Eigentümern um Anleger aus dem Ausland handelt. Hier lässt sich ein dringend benötigtes positives Bild exportieren. Vielleicht setzt sich das Bild erst langsam zusammen. Wie ein Mosaik. Die einzelnen Teile sind klein. Aber sie sind positiv.

Natürlich: Die Arbeit hinter dem Bildschirm ist zweifellos wichtig. Und klar: Das eingangs genannte Beispiel ist überspitzt. Aber auf der Baustelle entsteht nun einmal die Realität. Wer als angestellter Architekt unternehmerischen Geist in sich spürt, der darf sich durchaus fragen, an welcher Stelle er am meisten bewirken kann.

Der Autor ist Architekt und Niederlassungsleiter Berlin bei APOprojekt.

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