Baurecht

Behinderungsanzeige: Offenkundigkeit als Ausnahme von der Regel (§ 6 I VOB/B)

von: RA Sophia Noll
Darum geht es: Verletzt der Auftraggeber eines VOB/B-Vertrages schuldhaft eine Mitwirkungspflicht, so kann der Auftragnehmer gem. § 6 Abs. 6 VOB/B dadurch entstandenen Schaden vom Auftragnehmer verlangen. Eine Voraussetzung des Anspruchs ist die schriftliche Behinderungsanzeige. Glaubt sich der Auftragnehmer des VOB/B-Vertrages in seiner Ausführung gehindert, ist er verpflichtet, dies dem Auftraggeber unverzüglich anzuzeigen.

Verspätet sich beispielsweise die Gerüststellung oder werden freigegebene Pläne nicht rechtzeitig geliefert, legen allgemeine Erfahrungssätze nah, dass dies zu Behinderungen oder Unterbrechungen der Bauarbeiten führt. Eine Behinderungsanzeige stellt sich in der Hektik des Baugeschehens für den einen oder anderen als bloße Förmelei dar. Nach § 6 I VOB/B kann die Behinderungsanzeige entbehrlich sein, wenn die Behinderung offenkundig ist. Doch wann sind hindernde Umstände offenkundig? Zuverlässig verallgemeinern lässt sich der Begriff der Offenkundigkeit nicht, denn die Offenkundigkeit stellt einen Ausnahmetatbestand dar. Hindernde Umstände können offenkundig sein, wenn der Auftraggeber mit der erforderlichen Sicherheit von der Behinderung weiß oder die hindernden Umstände so in Erscheinung getreten sind, dass sie für einen im Bauwesen Tätigen oder sogar unerfahrenen Laien nicht verborgen bleiben konnten, also allgemeinkundig waren, demnach einer beliebig großen Zahl von Menschen bekannt oder ohne Weiteres zuverlässig wahrnehmbar waren (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl., Rn. 2317).

Die Behinderungsanzeige dient dem Schutz des Auftraggebers. Er soll über die Störung informiert und gewarnt werden, ihm soll die Möglichkeit eröffnet werden, die Behinderung abzustellen oder Beweise für eine in Wahrheit nicht bestehende Behinderung zu sichern. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob die Informations-, Warn- und Schutzfunktion der Behinderungsanzeige diese ausnahmsweise entbehrlich macht (BGH, Urteil vom 21.10.1999 – VII ZR 185/98). Das hängt u. a. von dem Ausmaß der Behinderung, ihrer Verursachung, aber auch vom Sachverstand des Auftraggebers oder seines bevollmächtigten Vertreters ab.

Praxistipp: Die Hürden der Offenkundigkeit sind hoch, ratsam ist der Verzicht auf die Behinderungsanzeige nicht. Im streitigen Verfahren ist der Auftragnehmer auch für die Entbehrlichkeit der Behinderungsanzeige beweisbelastet. Die Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Auftraggeber mag in manchen Fällen unstreitig sein, der Nachweis der Kenntnis der hindernden Wirkung wird sich jedoch zumeist schwierig gestalten.

Kanzlei: RJ Anwälte Jochem Partnerschaftsgesellschaft mbH, Wiesbaden

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Autorin

RA Sophia Noll

RJ Anwälte, Jochem Partnerschaftsgesellschaft mbB

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