Selbstverständlich nachhaltig

Architektur greift Wünsche auf

Nachhaltigkeit Holz
Robust, freundlich und multifunktional: Das Holz kann Tritte und Schrammen gut wegstecken, der natürliche Geruch wirkt beruhigend und die gute Akustik kann auch bei Konzerten beeindrucken. Besonders viel Spaß machen den Schülern die kiosk-artigen Schiebefenster. Foto: Brigida Gonzälez

Stuttgart-Degerloch (ABZ). – Die neue Mensa des Wilhelms-Gymnasiums in Stuttgart-Degerloch wartet nicht mit großen technischen Überraschungen in Sachen Nachhaltigkeit auf, doch das Konzept enthält viele kleine Details, die das Thema weit aufspannen und zugleich ganz selbstverständlich integriert wurden. Die Investitionen bewähren sich sofort und langfristig, die Wünsche der Eltern, Architektur und Konstruktion sowie die unterschiedlichen Nutzungen im Alltag greifen ideal ineinander. Schon allein der Wunsch der Eltern, eine schöne Mensa für die ca. 300 Schüler, die hier täglich essen können, errichten zu lassen, ist ein erster Schritt in Richtung Nachhaltigkeit: Erst einmal gibt es weniger Plastikmüll, als wenn die Kinder und Jugendlichen sich in einem Supermarkt versorgen müssten. Zweitens vermittelt sich auch ein Stück weit Esskultur, wenn sie sich gemeinsam hinsetzen und nicht irgend- etwas nebenher essen. Die Eltern ihrerseits sind begeistert von dem hellen und freundlichen Speisesaal und loben vor allem die große Küche, in der man gut arbeiten kann, ohne sich im Weg herumzustehen. Die ungewöhnliche Größe ist allerdings vor allem darauf zurückzuführen, dass irgendwann ein zweiter Speisesaal über 90° angebaut und versorgt werden kann. Steigt der Bedarf, muss also nicht erst umgebaut oder gar abgerissen werden.

Speisesaal und Küche sind sich gegenüberliegend angeordnet und werden jeweils von Nebenräumen flankiert. Diese legen sich als niedrigere, geschlossene Bauten um den höheren zentralen Bauteil. Der Speisesaal ist an zwei Seiten verglast, die restlichen Baukörper sind mit vertikaler Douglasienlattung bekleidet. Auch der Innenausbau und das Tragwerk bestehen größtenteils aus Holz.

Die Entscheidung, bei der Mensa auf Holz zu setzen, fiel sowohl aus ganz pragmatischen als auch aus durchaus sinnlichen Gründen: Die Holz-Skelettkonstruktion mit aufgelegtem Dach und eingestellter Glasfassade lässt sich nahezu wärmebrückenfrei realisieren, Holz im Innenausbau kann Tritte und Schrammen auch auf Dauer gut wegstecken, und die warme Ausstrahlung, der natürliche Geruch und die gute Akustik wirken zugleich beruhigend auf alle, die die Räumlichkeiten nutzen.

Auch die Bodenbeläge verbinden nüchterne Erwägungen hinsichtlich ihrer Langlebigkeit mit klarer, freundlicher Gestaltung: So wurde der Windfang komplett mit Schmutzfangmatten ausgestattet, die einerseits eine ruhige Fläche bilden und andererseits das Linoleum vor übermäßiger Abnutzung, im Winter etwa durch mitgeschleppte Steinchen und Salz, schützen.

Die Tragkonstruktion der Mensa besteht aus Brettschichtholz-Stützen und -Trägern, die im Saal sichtbar sind. Die geschlossenen Innenwände sind mit 3-Schicht-Platten verkleidet und umfassen die Nebenräume wie Küche, Lagerräume und WCs. Eine Schutzschicht aus Hartwachsöl bringt die Maserung und die Farbe der Hölzer zur Geltung. Charakteristischstes Element ist das Richtung Schulhof 5 m weit auskragende Dach, das eine gedeckte Loggia ausbildet und damit einen vielseitig nutzbaren Schwellenbereich definiert. Es wird von vier gedrechselten Stützen aus Brettschichtholz getragen. Der Durchmesser des runden Stützenquerschnitts nimmt von 10 cm am Fußpunkt bis zur mittleren Höhe auf 20 cm zu und bis zum Kopf wieder auf 10 cm ab. Die konische Form dieser freistehenden Stützen entspricht den orthogonal zum Querschnitt wirkenden Knickkräften und ist damit besonders materialeffizient.

Die auf der einen Seite zur Grünfläche und auf der anderen zum Schulhof orientierte Glasfassade mit Wärmeschutzgläsern ist großflächig gegliedert und hat in Brusthöhe verglaste Schiebeelemente. Damit kommt auf natürliche Weise frische Luft in den Speisesaal, es besteht keine Unfallgefahr durch in den Raum stehende Fensterflügel und Platz wird außerdem gespart. Besonders viel Spaß bereitet den Schülern die Analogie zu einem Kiosk, etwa weil man Tabletts durch die Fenster reichen kann.

Das weit überstehende Dach erlaubt bei schwüler, regnerischer Witterung das Essen im Freien und schützt außerdem vor starker Sonneneinstrahlung. Auch während der Unterrichtspausen bietet es Schutz und einen besonderen Aufenthaltsbereich zwischen innen und außen. Das Dach beugt außerdem im Sommer der Aufheizung des Speisesaals vor. Die Glasfassaden orientieren sich nach Norden und Osten, entsprechend kragt das Dach nach Osten stärker aus als nach Norden. Vom Amt für Umweltschutz war eine Glasquote von unter 35 % der Fassadenfläche gefordert. Mit 30 % Glasfläche bleibt das Gebäude unter dieser Forderung, ist aber dennoch ein sehr heller und freundlicher Aufenthaltsbereich.

Der Speisesaal wird natürlich belüftet: Mithilfe der Oberlichter im Westen findet eine wirksame Querlüftung statt. Aufgrund seiner Fläche von "nur" 160 m² konnte auf eine Lüftungsanlage verzichtet werden. Ab 200 m² wäre laut baden-württembergischer Versammlungsstättenverordnung eine mechanische Lüftung notwendig geworden. Nur die Küche wird über eine Anlage mit Wärmerückgewinnung belüftet. Die gesamte Schule wird über eine Hackschnitzelanlage beheizt, die 2012 neu installiert wurde. Die Dimensionierung erlaubt die Mitbeheizung der neuen Mensa und wird auch den Bedarf des zweiten Speisesaals abdecken. Ergänzend liefert eine Solaranlage auf dem Dach Strom – eine weitere Forderung des Amts für Umweltschutz, das angesichts des hohen Altbaus im Süden vor allem auf die Nutzung der diffusen Strahlung setzt. Der Wandaufbau der Mensa entspricht dem, den das Architekturbüro bei Holzbauten standardmäßig einsetzt, und umfasst unter anderem 16 cm Mineralfaserdämmung (die Versammlungsstättenverordnung wiederum fordert nichtbrennbare Dämmstoffe). Zusammen mit der 3-fachen Wärmeschutzverglasung (Uw = 0,95 W/ m²K, g = 0,34, Lichtdurchlässigkeitsgrad: 0,62) beläuft sich der Primärenergiebedarf des Gebäudes auf 100 kWh/m²a, das ist weniger als die Hälfte (44,25 %) dessen, was die EnEV 2009 fordert (226 kWh/m²a).

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