Kernproblem bleibt

"Geld ist vorhanden, aber keine baureifen Projekte"

Interview HDB Hauptverband der Deutschen Bauindustrie
Michael Knipper: "Bund, Länder und Kommunen müssen sich auf einheitliche Anforderungen einigen, wie in Zukunft in Deutschland Bauwerke geplant, gebaut und betrieben werden sollen." Foto: HDB

In den vergangenen Wochen wurden einige politische Initiativen seitens der Bundesregierung veröffentlicht. Welche Erwartungen der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) daran knüpft, darüber sprach in Berlin Hauptgeschäftsführer Michael Knipper mit der Allgemeinen Bauzeitung (ABZ). Die Fragen stellten die ABZ-Redakteure Rainer Oschütz und Robert Bachmann.

ABZ: Herr Knipper, wir haben den Eindruck, dass es für Ihren Verband in diesem Jahr keine Sommerpause gab. Sicherlich war der Kabinettsbeschluss zum Bundesverkehrswegeplan für die Bauindustrie dafür ein erfreulicher Grund ...

Knipper: Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt hat die Weichen richtig gestellt. Erstmals sind wir weg von reinem Wunschdenken. Wir hatten früher wunderbare Bundesverkehrswegepläne, die aber leider nicht durchfinanziert waren. Sie hatten mit der Realität nur wenig zu tun. Dank des Investitionshochlaufs, den Verkehrsminister Dobrindt angestoßen hat, stehen heute auch die Haushaltsmittel zur Verfügung, um die Erneuerung und den Ausbau unserer Verkehrswege in Angriff zu nehmen.

Mit dem Entwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 liegt heute ein Investitionsprogramm vor, das geeignet ist, unsere Verkehrsinfrastruktur nachhaltig zu modernisieren und auszubauen. Ich sehe da vor allem zwei Aspekte. Zum einen war es früher so, dass die Investitionsmittel nach festen Quoten auf die Bundesländer verteilt wurden. Da spielte die Dringlichkeit keine Rolle. Jetzt konzentriert man sich zum ersten Mal bundesweit auf Engpässe, auf Hauptachsen und Verkehrsknotenpunkte. Das halte ich für einen außerordentlich großen Erfolg, denn der einzig richtige Weg ist, dort zu investieren, wo der Bedarf am höchsten ist. Zum anderen ist der Ansatz des Programms "Erhalt vor Neubau" richtig. Wir müssen unsere bestehende Infrastruktur erst einmal erhalten, dann können wir sie erweitern. Dennoch: Ein Kernproblem bleibt. Jetzt ist zwar Geld vorhanden, aber keine baureifen Projekte. Deshalb muss dringend alles getan werden, um die Planungskapazitäten aufzustocken. Für dieses Jahr haben noch einige Bundesländer, Bayern ist darin beispielhaft, fertige Entwürfe für Bauprojekte in der Schublade. Leider kann man das nicht für das große Flächenland Nordrhein-Westfalen und die nördlichen Bundesländer behaupten. Dort macht sich die verfehlte Planungspolitik der vergangenen Jahre bemerkbar. Das trifft auch auf andere Regionen zu. Deshalb müssen Länder und Kommunen ihre Planungskapazitäten schnellstens aufstocken. Wo dies kurzfristig nicht möglich ist, können auch Modelle zum Zuge kommen, bei denen Teile der Planung auf Bauunternehmen übertragen werden.

Außerdem müssen wir neue Wege gehen, um die Planungsverfahren zu beschleunigen. Deshalb hat Bundesminister Dobrindt ein Innovationsforum Planungsbeschleunigung ins Leben gerufen, das Vorschläge entwickeln soll, wie Verwaltungsabläufe beschleunigt und insbesondere naturschutzrechtliche Blockaden beseitigt werden können. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, der Bundesverband der Deutschen Industrie und Partnerverbände wie Pro Mobilität wollen diese Initiative unterstützen, wir haben dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, das u. a. Wege aufzeigen soll, wie z. B. marode Brücken ohne aufwendige Planfeststellungsverfahren ersetzt werden können.

ABZ: Der Hauptverband hat kürzlich die Initiative von Bundesbauministerin Barbara Hendricks begrüßt, dem Bund durch eine Grundgesetzänderung eine stärkere Rolle beim Wohnungsbau zu verschaffen . . .

Knipper: Das können wir nur unterstützen. Nach derzeitiger Rechtslage darf der Bund den sozialen Wohnungsbau nur noch bis 2019 fördern. Die Grundgesetzänderung ist daher notwendig, um auch ab 2020 Wohnungsbauprojekte weiter fördern zu können. Wir fordern dafür im Gegenzug aber auch eine strikte Zweckbindung der Mittel.

Darüber hinaus wird die Schaffung von mehr kostengünstigem Wohnraum bislang durch die unterschiedlichen Landesbauordnungen und Förderrichtlinien gebremst. Diese Hürden müssen überwunden werden, um dem Wohnungsbau entscheidende Impulse zu geben. Insbesondere die Vereinheitlichung der Landesbauordnungen ist ein wichtiger Hebel, um die Baukosten deutlich senken zu können. Auch die bisher unterschiedlichen Förderrichtlinien gehören in diesem Zusammenhang auf den Prüfstand. Es kann nicht sein, dass ein Wohngebäude hinsichtlich Ausstattung, Wohnungsgröße und Baukosten in einem Bundesland förderungsfähig ist und in einem anderen nicht. Eine Vereinheitlichung der Richtlinien, gerade in Hinsicht auf die Förderung des seriellen Bauens, ist daher dringend notwendig.

ABZ: Weniger erfreulich ist der Austritt des traditionsreichen Baukonzerns Hochtief aus Ihrem Verband. Wie schätzen Sie diese – nicht nur für die Mitarbeiter des Konzerns – folgenreiche Entscheidung der spanischen Muttergesellschaft ein?

Knipper: Von dieser Entscheidung waren wir überrascht. Denn wir hatten als Verband erst ein paar Wochen zuvor ein sehr gutes Gespräch mit Konzernchef Fernández Verdes über die zukünftige Zusammenarbeit von Hauptverband und Hochtief. Offizieller Grund für den Austritt aus dem Hauptverband war der aus Sicht der Konzernspitze zu hohe Tarifabschluss in Deutschland. Die eigentlichen Gründe liegen vermutlich tiefer. Ich persönlich schließe nicht aus, dass der Konzern das Deutschlandgeschäft im kommenden Jahr massiv umstrukturiert. Der Verbandsaustritt ist nur Beiwerk.

ABZ: Umweltpolitiker wollten mit der "Blauen Plakette" praktisch die Baufahrzeuge in den Innenstädten verbieten. Sollte mit diesem politischen Aktionismus nur das sogenannte Sommerloch gefüllt werden?

Knipper: Auch wenn das Bundesumweltministerium die blaue Plakette vorerst auf Eis gelegt hat, ist die Gefahr noch nicht gebannt. Schon ist zu hören, dass der Vorschlag wieder aufgegriffen werden soll, wenn die Kommunen keine geeigneten Instrumente in die Hand bekämen, um die Stickoxide in unseren Innenstädten effektiv zu reduzieren. Man setzt wohl darauf, dass die Umwelt- und Verkehrsminister im Herbst eine Lösung finden. Eines möchte ich hier klarstellen. Auch wir sind der Meinung, dass die Innenstädte von Stickoxiden entlastet werden müssen. Wenn aber der Fuhrpark der Bauunternehmen zu 90 % aus Dieselfahrzeugen besteht und Umrüstungskosten in Höhe von 10.000 Euro pro Fahrzeug entstehen, kann ein so rascher Austausch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vieler Unternehmen überfordern. Das käme De Facto einem Arbeitsverbot für Innenstädte gleich. Wir appellieren daher an die Politik, zumindest für angemessene Übergangsfristen zu sorgen, sollten entsprechende Pläne weiter verfolgt werden. Mit Schnellschüssen ist niemandem geholfen.

ABZ: Herr Knipper, Digitalisierung ist eines der aktuellen Schlagwörter. Welche Chance sehen Sie in der Bauindustrie für den aktuellen Digitalisierungstrend?

Knipper: Die Digitalisierung wird auch unseren Wirtschaftsbereich grundlegend verändern, und wir sind entschlossen, die darin liegenden Chancen im Interesse der gesamten Wertschöpfungskette Bau zu nutzen. Die Anwendung moderner Techniken und damit verbundener Prozessinnovationen bietet den Akteuren über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg enorme Optimierungspotenziale im Hinblick auf Kosten, Termine, Qualität und Planungssicherheit, aber auch auf die Minimierung von Risiken, und das sowohl im Hochbau als auch im Infrastrukturbereich. Das gilt übrigens nicht nur für Neubauten. Wir sehen große Vorteile auch für Ertüchtigungsmaßnahmen und Sanierungen, wenn bspw. überwiegend digitale Daten aus anderen Quellen, wie Laserscan, Licht- oder Energieanalysen, genutzt werden. Wer sich dem verschließt, wird sehr schnell den Anschluss verpassen.

ABZ: Wie ist BIM mittlerweile in der Branche angekommen?

Knipper: Unsicherheit hemmt in Deutschland leider nach wie vor den dringend erforderlichen Wandel. Sowohl die öffentliche Hand als auch die Wertschöpfungskette Bau sind vergleichsweise kleinteilig strukturiert. Innovationen verbreiten sich naturgemäß langsamer. Wir müssen aufpassen, dass wir gegenüber anderen Ländern, die das digitale Bauen wesentlich gezielter und staatlich einheitlicher organisiert vorantreiben, nicht weiter an Boden und damit Marktanteile auf heimischen und internationalen Märkten verlieren. Ähnlich wie dies bereits im Ausland geschieht, muss die öffentliche Hand als größter Auftraggeber Deutschlands den entscheidenden Impuls setzen und dem Markt Orientierung bieten. Bund, Länder und Kommunen müssen sich auf einheitliche Anforderungen einigen, wie in Zukunft in Deutschland Bauwerke geplant, gebaut und betrieben werden sollen. Ein Stufenplan, der nur für den Bundesinfrastrukturbereich gelten soll, ist ein erster Schritt, aber insgesamt eindeutig zu wenig.

ABZ: Zum Thema Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) gehen die Meinungen von ZDB und HDB weit auseinander. Wäre ein gemeinsamer Weg der Bauverbände nicht von Vorteil für alle Parteien?

Knipper: Wir arbeiten bereits heute in vielen Bereichen vertrauensvoll mit dem ZDB zusammen. In einer Agenda haben wir 150 Themen formuliert, bei 145 Themen haben wir gemeinsam eine Lösung gefunden. Bestes Beispiel hierfür ist die Tarif- und Sozialpolitik. Aber auch im Bereich der Wirtschaftspolitik ziehen wir bei vielen Themen an einem Strang, aktuell etwa beim Bauvertragsrecht. Wie in jeder anderen Branche auch, gibt es jedoch nicht den "einen" Typ Unternehmen, der exemplarisch für die ganze Branche steht. Soll heißen, es gibt Unterschiede in der Größe, der strategischen Ausrichtung und eben auch in den Geschäftsmodellen. Hieraus ergeben sich naturgemäß unterschiedliche Interessen. Der HDB vertritt daher die Philosophie der "Projekt- und Modellvielfalt", aus der der öffentliche Auftraggeber die für den Einzelfall beste Lösung aussuchen kann. Hierzu gehören auch Öffentlich-Private Partnerschaften. Gleichzeitig sind wir als HDB ständig mit dem BMVI über die Weiterentwicklung von ÖPP im Dialog, besonders im Verkehrswegebau. Ein Ziel dabei ist, Markteintrittsbarrieren für mittelständische Unternehmen zu senken.

ABZ: Diese Frage stellte die ABZ bereits dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB): Ein gemeinsames Ziel der Bauverbände sollte es zukünftig sein, der Politik gegenüber mit starker Stimme die Bedeutung der Bauwirtschaft zu vermitteln. Immerhin steht die Branche für 10 % des Bruttoinlandsprodukts. Was muss sich aus Sicht Ihres Verbandes noch ändern, um dieses Ziel zu erreichen?

Knipper: Wie schon gesagt – HDB und ZDB verfolgen seit vielen Jahren gemeinsame Ziele und sind bereits heute eine starke Stimme für die Anliegen der Bauwirtschaft in Politik und Medien. Unabhängig davon sind sowohl der ZDB als auch wir unseren Mitgliedern gegenüber verpflichtet, Positionen zu formulieren, die nicht immer mit einer Stimme vermittelt werden können. Das ist keinesfalls abwegig. Im Gegenteil: Es ist ein Beleg dafür, dass das Angebot der Bauwirtschaft vielfältig ist. Damit können wir die Auftraggeber in ihren Herausforderungen unterstützen.

ABZ: Jetzt hat die EU-Kommission die geplante Pkw-Maut in Deutschland im Visier. Auch parteipolitisch gesehen scheint sich daraus ein Wahlkampfgeplänkel zu entwickeln. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Knipper: Die Europäische Kommission hat ja angekündigt, die deutschen Maut-Pläne durch den Europäischen Gerichtshof klären zu lassen. Eine Entscheidung wird aber erst nach der Bundestagswahl erwartet. Das heißt für uns erst einmal abwarten.

Unabhängig davon halten wir an unserer Forderung fest, die Bundesfernstraßenfinanzierung von der Haushalts- auf die Nutzerfinanzierung umzustellen. Dazu hat Bundesverkehrsminister Dobrindt bereits in dieser Legislaturperiode die Erweiterung der Lkw-Maut auf einige Bundesstraßen sowie die Senkung der Mautpflichtgrenze auf 7,5 Tonnen erfolgreich umgesetzt. Jetzt nimmt die Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Bundesstraßen konkrete Formen an. Gelingt es, diese nächste Stufe des BMVI-Mautfahrplans umzusetzen, werden ab 2018 Jahr für Jahr 2 Mrd. Euro mehr für Bundesfernstraßeninvestitionen zur Verfügung stehen. Und das zweckgebunden. Vor diesem Hintergrund ist es verkraftbar, wenn wir auf die Pkw-Vignette etwas länger warten müssen. Wichtig ist nur, dass wir unser Fernziel nicht aus den Augen verlieren: nämlich die Mauteinnahmen in einer Bundesfernstraßengesellschaft zusammenzuführen, zum einen, damit die Mauteinnahmen auf den Bundesfernstraßen auch dem Bundesfernstraßenbau wieder zugute kommen, zum anderen, um die Entscheidung über den Erhalt und den Ausbau unserer Fernstraßen dem kurzatmigen jährlichen Streit um die Verwendung knapper Haushaltsmittel zu entziehen.

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