Baubranche befindet sich aufgrund der Corona-Krise im Umburch
Pandemie beeinflusst Digitalisierungsbestrebungen
von: Jennifer Schüller und Sonja WeißeHannover. – Die Baubranche ist konservativ – so ein häufig genanntes Vorurteil. Insbesondere im Bezug auf die Digitalisierung. Doch ist das wirklich der Fall oder nur ein Klischee? Und wie wirkt sich die aktuelle Situation auf die Akzeptanz digitaler Lösungen aus? Die ABZ hat sich auf Anwender- und Anbieterseite umgehört, welchen Einfluss die Corona-Krise auf die Nachfrage und die Bereitschaft, digitale Lösungen zu nutzen hat – eine Bestandsaufnahme.Der Baubranche hängt der Ruf nach, häufig konservativ an bereits etablierten Lösungen festzuhalten, statt mit offenen Armen Neues auszuprobieren und Prozesse so unter Umständen sogar zu vereinfachen. Dazu zählt insbesondere auch der Bereich der Digitalisierung. BIM, papierloses Büro und Arbeiten mit dem Tablet, Smartphone oder Apps – auch wenn alle diese Dinge mittlerweile zum Alltag vieler Bauunternehmen gehören, stehen einige diesen Entwicklungen noch mit einer gehörigen Portion Vorsicht gegenüber. Doch die Corona-Krise hat manchen Skeptiker und Kritiker vor keine andere Wahl gestellt, als sich mit der Digitalisierung zu beschäftigen – sei es in Form des Homeoffice oder in Bezug auf Prozesse innerhalb des Unternehmens, das Produktionsgeschehen in der Fertigung oder Abläufen auf der Baustelle. Aufgrund der strengen Auflagen der Bundesregierung und der Bundesländer wurde es notwendig, neue Strategien zu verfolgen.
Die Anbieter
So hat bei einer Online-Umfrage des Software-Anbieters Capmo GmbH unter knapp 1300 Baufachkräften rund ein Viertel der Befragten angegeben, aufgrund von Corona im Homeoffice zu arbeiten. Wer mit einer Bausoftware arbeitet, sei dabei klar im Vorteil, meint Patrick Christ, Geschäftsführer der Capmo GmbH. Denn die Programme würden von überall Zugriff auf digitale Baupläne und Dokumente geben. Moderne Apps können außerdem ein Bauprojekt dezentral steuern.Dass die Nachfrage nach digitalen Lösungen in den vergangenen zwei Monaten gestiegen ist, hat Christian Holzapfel von klarx ebenfalls beobachtet. Das junge Unternehmen beschreibt sich selbst als führende Mietplattform für Baumaschinen und bietet digitale Full-Service-Lösungen an. Holzapfel zufolge habe es zu Beginn der Krise einen kurzen "Schockmoment" gegeben, aber in den vergangenen drei Wochen werde dieser erste Rückgang mehr als kompensiert. "Wir erklären uns das dadurch, dass Unternehmen jetzt durch Homeoffice und eine Anpassung der Arbeitsweise noch gezielter nach digitalen Lösungen suchen", sagt Holzapfel. Ganz konkret erhalte das Unternehmen derzeit vermehrt Anfragen von Mietpartnern, die ihr Geschäft digitalisieren und bei klarx mitmachen möchten. Holzapfel: "Wir bieten dafür mit klarxCONNECT eine Softwareumgebung an, mit der man seine Maschinen verwalten, über klarx.de zur Miete anbieten und auch die Umsätze und Performance einsehen kann. Das Interesse daran wächst seit der Krise deutlich."Ähnliche Erfahrungen hat auch das Unternehmen Schüttflix in den vergangenen Monaten gemacht. Das erst 2019 gegründete Unternehmen versteht sich als Logistikdrehscheibe, die Erzeuger, Anbieter, Lieferanten und Abnehmer über eine Online-Plattform verbindet. Nach Einschätzung des Gütersloher Unternehmens haben die Bestellungen und Neuanmeldungen bei Schüttflix stark zugenommen, wie das Unternehmen auf Nachfrage seitens der ABZ mitteilte. Man verzeichne ein Plus von 120 Prozent. Jede Woche betrage die Auslieferungsmenge der angebotenen Artikel wie Sande, Kiese und Splitte bis zu 10.000 Tonnen. "Wir merken aktuell, dass sich Unternehmen zunehmend Gedanken über ihre kritischen Engpässe machen. Unternehmen mit einer hohen materiellen Sicherheit durch den Besitz von Steinbrüchen, Sand- und Kiesgruben möchten zusätzliche Sicherheit der Logistikkette gewährleisten und vice versa. Das können sie, indem sie als Partner ihre Logistik über uns abwickeln. Auch dies decken wir über unsere Plattform ab", so das Unternehmen in einer offiziellen Stellungnahme. Grundsätzlich könne man bildlich gesprochen zusehen, wie die Akzeptanz digitaler Lösungen ansteige.Ein Nachfrage-Wachstum konnte auch das Unternehmen Newforma – ein Unternehmen, das sich auf Projektinformationsmanagement-Software spezialisiert hat – beobachten. Aktuell würden Anwendungen mit Online-Funktionalität und mobile Lösungen stärker in den Fokus der Kunden rücken. Dabei übt Andrés García Damjanov, Leiter für die Regionen Zentral-, Ost- und Südeuropa bei Newforma, jedoch auch Kritik an der Ausgangssituation in Deutschland. "Die Bandbreite in Deutschland ist unterirdisch. Keiner war auf so etwas vorbereitet", so die Einschätzung des Experten. Da komme es den Nutzern von Newfoma-Lösungen zugute, dass diese nicht eine so hohe Bandbreite benötigten. Für Damjanov ist aber klar, dass die Digitalisierung nur gelingen kann, wenn zahlreiche Faktoren berücksichtigt werden und vor allem die Infrastruktur in dieser Hinsicht verbessert werde: "Deutschland hinkt sehr stark hinterher, sowohl was Software betrifft, als auch Infrastruktur. Dieser Schock hat alle Player geweckt. Ich denke, die Infrastruktur wird optimiert und es wird mehr Budget für Software bereitgestellt werden."Dass die Corona-Krise insgesamt das Bewusstsein für die Vorteile eines digitalisierten Arbeitsbetriebs geschärft hat, davon sind auch Matthias Frank, Geschäftsführer von SmartPS und Prof. Dr. Ralf-Peter Oepen, Geschäftsführer BRZ Deutschland, überzeugt.Perspektiven ändern sich
Das Langenhagener Unternehmen smartPS unterstützt mittelständische Unternehmen bei ihren Bestrebungen, Prozesse innerhalb ihres Betriebs zu digitalisieren. Dabei liegt der Fokus stark auf dem Dokumentenmanagement. Frank zufolge haben in den vergangenen Jahren zwar zahlreiche Unternehmen die Wertigkeit digitaler DMS-Lösungen erkannt, sich aber mit der Entscheidung für die Einführung einer professionellen Lösung schwer getan. "Die Investitionshöhen und die sehr abstrakte Vorstellung vom Nutzen für das Unternehmen hat bei Entscheidern zumeist für Unsicherheit gesorgt. Eine teure Maschine oder einen Bagger kann man anfassen und auf Betriebsstunden herunterrechnen, eine Software ist hier schwerer zu messen. Nun scheint sich die Einstellung zu wenden, zumal Unternehmen mit digitalen DMS-Lösungen und vor allem digitalen Prozessen enorme Wettbewerbsvorteile in der aktuellen Krise haben. Man ist in der Verwaltung auch mit Home Office voll arbeitsfähig. Das spricht sich herum und ändert die Perspektiven", so der Experte.Diese Einschätzung teilt auch Prof. Dr. Ralf-Peter Oepen, Geschäftsführer des BRZ: "Die verschiedenen Ansatzpunkte der Digitalisierung sind tatsächlich stärker in den Fokus gerückt. Wobei man aber auch feststellen muss: das Interesse ist zwar spürbar gewachsen, die Unternehmen sind jedoch bei der Investition in umfassendere Digitalisierungsprojekte tendenziell zurückhaltend." Die Krise haben vielen vor Augen geführt, dass Resilienz und insbesondere flexible Reaktionsfähigkeit auf sich schnell ändernde Marktgegebenheiten extrem wichtige Faktoren sind, die noch an Bedeutung gewinnen werden. Was vorher mehr oder weniger ein Optimierungs-Szenario stärkerer digitaler Vernetzung im Unternehmen gewesen ist, sei jetzt notwendige Realität mit ganz konkreten Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit. "Die Krise hat diese Entwicklung nicht angestoßen, sondern auf dramatische Weise gezeigt, dass wir schneller werden müssen. Und ja, die jetzt aufgesetzten Methoden und Anwendungen werden bleiben, sind also nicht mehr umkehrbar. Informationen und Daten überall und zu jeder Zeit mobil oder lokal verfügbar zu haben, ist der neue Standard und wird sukzessive Einzug in alle Bereiche und alle Prozesse im Bau halten", so die Einschätzung des BRZ-Geschäftsführers. Bestand also bereits vor der Corona-Krise Interesse daran, Prozesse zu digitalisieren, mussten einige Unternehmen nun aus der Not heraus und aufgrund neuer Auflagen seitens der Regierung, schnell Lösungen finden, um so gut wie möglich weiter arbeiten zu können. Aus diesem Grund verzeichnen sowohl smartPS als auch das BRZ eine stärkere Nachfrage nach digitalen Lösungen. So steigt bei smartPS die Nachfrage nach digitalen Akten- und Prozesslösungen stark an. Frank: "Bei den schon persönlich bekannten Interessenten ist durch Corona mehr Zug in den Entscheidungsprozess gekommen. Viele ärgern sich, dass Thema Digitalisierung der Unternehmensdaten und -dokumente und die digitale Prozesssteuerung so lange aufgeschoben zu haben. Wir haben daher in den vergangenen zwei Monaten Kaufentscheidungen erlebt, die ansonsten sicher länger gedauert hätten."