IG BAU zum Arbeitsschutz in Zeiten der Corona-Krise

"Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen"

Coronavirus Gewerkschaften
Carsten Burckhardt ist als Mitglied im Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt verantwortlich für die Bereiche Bauwirtschaft und Baustoffindustrie. Foto: IG Bau/Alexander Paul Englert

Angesichts des Fachkräftemangels sollten Arbeitgeber vor allem in der Corona-Krise gut darauf achten, den Arbeitsschutz genau umzusetzen, meint Carsten Burckhardt vom Bundesvorstand der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Im Interview mit ABZ-Redakteurin Sonja Weiße erläutert er zudem, warum Unternehmer das Kurzarbeitergeld aufstocken sollten und fordert zur Kreativität bei der Einhaltung des Mindestabstandes auf.ABZ: Wenden sich Bauarbeiter zurzeit häufiger als sonst an die Gewerkschaft?Burckhardt: Die Zahl der Beratungen für Mitglieder und Betriebsräte ist sehr stark gestiegen. Wir hören im Moment oft, dass die Beschäftigten sich fühlen wie das dritte Rad am Wagen. Während Angestellte vieler Berufe im Homeoffice arbeiten, sind die Beschäftigten in der Bauwirtschaft in der Regel noch auf den Baustellen. Denn im Moment laufen diese zu großen Teilen unter Volllast. An sich ist das auch gut so. Denn dann verdienen die Beschäftigten auch noch reguläres Geld und sind nicht auf Kurzarbeitergeld angewiesen. Einen Shutdown wollen wir daher gerne verhindern und so lange wie möglich alles dafür tun, dass die Baustellen noch weiter laufen. Die Voraussetzung muss aber sein, dass die Unternehmen sich noch mehr als bisher um ihre Beschäftigten kümmern und auch die Arbeits- und Gesundheitsschutzbedingungen noch intensiver als bisher einhalten.ABZ: Unter dem Motto "Wir stehen zusammen – aber mit Abstand" hat die IG Bau gemeinsam mit dem Zentralverband Deutsches Baugewerbe und dem Hauptverband der Deutschen Bauindustrie die Betriebe und Arbeitnehmer zur Einhaltung der Arbeitsschutzregeln aufgefordert. Herrscht im Kampf gegen Corona also Einigkeit mit den Arbeitgebern?Burckhardt: Auch wenn es immer das eine oder andere auszufechten gibt, sind wir als Gewerkschaft bei diesem Thema im Großen und Ganzen mit den Arbeitgeberverbänden einer Meinung. Aber das wahre Leben findet auf der Baustelle statt. Und da sind die Beschäftigten vom Polier, vom Vorarbeiter, vom Bauleiter und in kleinen Betrieben auch vom Chef direkt abhängig. Und wenn der sagt, 'Ach, stellt dich nicht so an, wir sind Bauleute, Corona geht uns nichts an', dann haben die ein Problem.ABZ: Was sind die häufigsten Probleme, von denen Sie hören?Burckhardt: Vor allem aus Betrieben ohne Betriebsräte werden uns teilweise sehr üble Situationen geschildert. Oft geht es um die Anfahrt. Zurzeit kann man eben nicht im 7,5-Tonner zu dritt fahren. Da darf nur der Fahrer rein, höchstens noch ein Beifahrer. Und im VW-Bulli dürfen nicht sechs, sieben, acht Leute sitzen, sondern nur zwei, höchstens drei! Sonst ist der Abstand von 1,5 Metern nicht einzuhalten. Da, wo wir Betriebsräte haben, scheint das dagegen zu klappen. Da fahren die Beschäftigten zu zweit im VW-Bulli auf die Baustelle. Die anderen Bauarbeiter fahren im privaten Pkw oder im Dienstwagen und rechnen das dann entsprechend ab. Auch, dass die Kolonnen in einzelnen Schichten nach und nach Pause machen, scheint gut zu funktionieren.ABZ: Gibt es weitere Punkte, die in der Praxis problematisch sind?Burckhardt: Ein weiteres Problem sind die Toiletten. Wir haben klare Regeln, wie viele es geben muss und wie diese auszusehen haben. Und die müssen auch regelmäßig gereinigt werden. Dadurch drückt man als Unternehmer auch die Wertschätzung für die Beschäftigten aus. Wenn es für 15 Leute nur eine Toilette gibt, ist das nicht richtig. Dann muss ich die Gesundheitsbehörden einschalten, das geht nicht anders. So geht man mit seinen Beschäftigten nicht um. Die Unternehmer haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Beschäftigten! Ein anderes Thema, dass wir zurzeit oft hören, ist, dass die Beschäftigten gezwungen werden, bei Schneidearbeiten ohne Mundschutz zu arbeiten, da die persönliche Schutzausrüstung nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Außerdem sind Massenunterkünfte problematisch. Im Baucontainer kann man jetzt nicht drei oder vier Leute unterbringen. Das geht entweder einzeln oder maximal zu zweit.ABZ: Sie fordern, ebenso wie die Arbeitgeberverbände, auch einen Mindestabstand von 1,5 Metern auf Baustellen. Bei vielen Tätigkeiten ist es schwer, diesen Abstand einzuhalten . . .Burckhardt: Sicherlich, im Baubereich sind wir gewohnt, sehr eng miteinander und Hand in Hand zu arbeiten. Aber jetzt müssen wir eben aufpassen, dass wir einander nicht anstecken. Und Bauleute sind eigentlich prädestiniert dafür, den Mindestabstand einzuhalten, denn mit Maßstäben können sie gut umgehen. Um diesen Abstand von 1,5 Metern einzuhalten, kann man andere, auch technische Lösungen finden.ABZ: Wie sollen die konkret aussehen?Burckhardt: Das kommt auf das Gewerk an. Ich fordere zur Kreativität auf. Wir haben Bagger, wir haben Radlader, wir haben Seitenkrane. Man kann zum Beispiel mit technischer Unterstützung Sachen, die man zu zweit tragen könnte, auch allein tragen. Das Setzen von Bohlen oder Spundwänden kann man zum Beispiel auch so gestalten, dass man nicht unmittelbar nebeneinander stehen muss.ABZ: Was raten Sie Beschäftigten, wenn diese zum Beispiel nach wie vor in einem vollbesetzten Bulli auf die Baustelle fahren müssen?Burckhardt: Sie sollten erst einmal mit dem Arbeitgeber sprechen. Ich glaube, viele Unternehmer fordern so etwas nicht aus Boshaftigkeit, sondern, weil sehr viel zu tun ist und man auch schnell den Überblick verliert. Es prasselt gerade viel auf die Menschen ein, auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Betriebsräte oder wir als Gewerkschaft stehen gerne zur Verfügung, um mit dem Arbeitgeber zu reden und gemeinsam nach verantwortungsvollen und praktikablen Lösungen zu suchen. Wenn man sich anstrengt, kann man die finden. Wenn Gespräche nichts bringen, kann man Gesundheitsämter beziehungsweise Berufsgenossenschaften einschalten. Und wenn gar nichts geht oder Gefahr im Verzug ist, kann man auch die Polizei anrufen. Aber das ist eine lange Eskalationskette. ABZ: Wie reagieren die Arbeitgeber in solchen Gesprächen?Burckhardt: Das ist total cool, es wird meist positiv drauf reagiert. Es gibt Leute, die sagen, hey, auf die Idee bin ich ja gar nicht gekommen, dass wir dort einen Container mit Wasser und Seife aufstellen! Dann muss ich ja meine Baustelle doch nicht schließen.ABZ: Die IG Bau fordert, die Arbeitgeber sollen Lohnausfälle der Beschäftigten bei Kurzarbeit übernehmen. Warum sollen sie das tun? Die Unternehmen melden Kurzarbeit ja gerade deshalb an, weil sie wirtschaftliche Probleme haben.Burckhardt: Wir wollen, dass die Unternehmen die Differenz zum normalen Nettolohn aufstocken, damit Beschäftigte in der jetzigen Zeit nicht die Leidtragenden sind. Denn das Kurzarbeitergeld beträgt 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettolohnes. Bei 20,63 Ecklohn kommt man da auf 800 Euro weniger im Monat. Für die Beschäftigten ist es viel, was da fehlt. Da ist für viele Beschäftigte die Existenzgrundlage in Gefahr. Für den Arbeitgeber hört es sich vielleicht auch erst einmal viel an. Er muss aber auch in dieser Zeit keinen Lohn zahlen, und er muss auch keine Sozialabgaben zahlen beziehungsweise erhält er sie wieder zurück. Wir finden daher, die Aufstockung ist nicht zuviel verlangt.ABZ: Wie reagieren die Arbeitgeber auf Ihre Forderung?Burckhardt: Wir haben bereits Betriebsvereinbarungen geschlossen, nach denen der Arbeitgeber die Differenz bis zu 85 Prozent und 90 Prozent des Nettolohnes übernimmt. Und wir werden auch auf Spitzenebene darüber sprechen.ABZ: Die Bauwirtschaft scheint ja in der Corona-Krise zurzeit noch stabil zu sein – gehen Sie davon aus, dass es in vielen Fällen zu Kurzarbeit kommen wird?Burckhardt: Ich halte die Bauwirtschaft für sehr stabil. Wenn jetzt in den nächsten Wochen die Aufträge einbrechen würden, was ich noch nicht so sehe, dann würden sie sich nur ein wenig nach hinten verschieben. Was sich jetzt allerdings zeigt, ist, welche Unternehmen mit eigenen Beschäftigten arbeiten und welche nicht. Bislang haben nur Unternehmen, die rein auf Subunternehmertum gesetzt haben, Kurzarbeit beantragt.ABZ: Die IG Bau fordert zudem, betriebsbedingte Kündigungen bei Kurzarbeit auszuschließen.Burckhardt: Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass die Arbeitgeber so vernünftig sind, die Leute jetzt nicht zu entlassen, sondern sie weiter zu beschäftigen und wenn das nicht möglich ist, Kurzarbeit anzumelden. Wenn man gleich in der ersten Krise androht, die Leute vor die Tür zu setzen, dann ist das kein guter Umgang miteinander. Das halte ich nicht für richtig und nicht für zielführend für diese Branche. Ich finde, es muss sich an der Einstellung der Unternehmen etwas ändern.ABZ: Inwiefern? Burckhardt: Sie müssen den Fokus auf ihre Beschäftigten legen. Der Markt ist groß, und auch nach Corona wird es weiterhin Bedarf an Fachkräften geben. Die Bauwirtschaft gräbt sich daher das eigene Wasser ab, wenn sie mit ihren Leuten jetzt nicht gut umgeht. Jetzt trennt sich die Spreu vom Weizen. Welche Arbeitgeber meinen es ernst, kümmern sich um ihre Beschäftigten und um den Nachwuchs? Und welche gucken nur auf ihren eigenen Profit beziehungsweise darauf, schnell die Baustellen abzuarbeiten, und steigern den Druck?ABZ: Denken Sie, dass die Corona-Krise auch positive Nachwirkungen haben könnte?Burckhardt: Ich hoffe, dass wir aus dieser Krise lernen und den Mensch mehr in den Mittelpunkt rücken, nicht nur die Gewinne und die Umsatzsteigerung. Immer weiter, immer höher – Das geht nicht immer so weiter. Ich würde mir sehr wünschen, dass der stolze Beruf der Bauschaffenden entsprechend gewürdigt wird. Das sind die Menschen, die die Infrastruktur am Laufen halten und die Werte schaffen für die nächsten Generationen. Sie haben alle unseren Dank verdient!

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