Leserbrief

Zum Beitrag "Auf dem Gerüst – Schutz bei Absturzunfällen mit tragbarem Airbag" in ABZ 29/2022

Sehr geehrte Damen und Herren, zunächst möchte ich Ihnen dafür danken, dass Sie regelmäßig die Arbeitsschutzthemen der BG BAU aufnehmen und darüber berichten. Das unterstützt unsere Bemühungen, die Präventionsthemen möglichst breit in die Unternehmen zu tragen, um tödliche Arbeitsunfälle zu verhindern, die Anzahl und Schwere von Arbeitsunfällen deutlich zu reduzieren und Berufskrankheiten und arbeitsbedingte Erkrankungen bestmöglich zu vermeiden. In Ihrer Ausgabe 29/2022 berichten Sie unter der Überschrift "Auf dem Gerüst – Schutz bei Absturz-unfällen mit tragbarem Airbag" über Gefahren im Gerüstbau und darüber, dass ein südkoreanisches Start-up diesem Problem mit einer Airbagweste begegnen will. Im Bericht selbst werden dabei die Grundsätze des Arbeitsschutzes in Deutschland und Europa leider völlig auf den Kopf gestellt und die Airbagweste – stets mit dem Hinweis, dass es sich um Aussagen des Herstellers handelt – als die Innovation zum Schutz der Beschäftigten dargestellt. Airbagwesten sind bereits seit einigen Jahren für verschiedene Einsatzbereiche auf dem Markt verfügbar. Sie stellen für den Einsatz auf hochgelegenen Arbeitsplätzen jedoch keinen Ersatz für höherwertige Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise eine Absturzsicherung oder eine Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) dar. Völlig unter den Tisch fällt in der Berichterstattung, dass die Airbagwesten nicht nur eine obere Begrenzung einer möglichen Absturzhöhe haben, sondern auch eine nicht zu vernachlässigende "Mindestabsturzhöhe", die erforderlich ist, um die Schutzwirkung überhaupt entfalten zu können. Letztere liegt herstellerabhängig nach hiesiger Kenntnis meistens im Bereich zwischen etwa 1,7 und rund 2 Metern, sodass ein Einsatz der Airbagwesten zum Beispiel als zusätzlicher Schutz bei Arbeiten auf Ladeflächen von typischen Baustellen-Lkw oft bereits durch die vom Hersteller definierten Einsatzgrenzen ausscheidet. Zu diesen gehört für einzelne Produkte auch, dass diese lediglich spritzwassergeschützt und damit für verschiedene Arbeitsbereiche oft ungeeignet wären. Käme die Weste im Einzelfall doch zum Einsatz, wäre dies nicht als Ersatz für höherwertige Schutzmaßnahmen, sondern allenfalls als ergänzende Maßnahme denkbar. Anders, als in Ihrem Bericht dargestellt, verfolgt die BG BAU im Sinne verschärfter Maßnahmen nicht vordergründig eine Sicherung der Beschäftigten durch Sicherheitsgurte (PSAgA), sondern dadurch, dass beispielsweise bei der Montage und Demontage von Systemgerüsten grundsätzlich mit vorlaufenden Seitenschutzsystemen gearbeitet wird. Das bedeutet, dass die Absturzsicherung auf der obersten Gerüstlage bereits installiert ist, denn der Gerüstbauer/die Gerüstbauerin diese Lage in der Aufbauphase betritt, so wie dies im Arbeitsschutzgesetz, in der Betriebssicherheitsverordnung in der Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS 2121), Gefährdungen von Beschäftigten durch Absturz, für die verschiedenen Anwendungsbereiche und auch in der Unfallverhütungsvorschrift "Bauarbeiten" unmissverständlich gefordert wird. Erst, wenn sich aus arbeitstechnischen Gründen Schutzvorrichtungen und im nächsten Prüfschritt Auffangeinrichtungen nicht einrichten lassen, käme eine PSAgA als Sicherungsmaßnahme in Betracht.

Das Problem in der Praxis sind erfahrungsgemäß jedoch nicht das Fehlen einer technischen Lösung oder das Fehlen einer infragekommenden PSAgA, sondern die mangelnde Umsetzung der jeweils zutreffenden Maßnahme in der Praxis. Die Ihrerseits als die Lösung für Fälle, in denen die Prävention versagt, dargestellte Airbag-Weste ist nicht im Ansatz dafür geeignet, die dargestellte Lücke zu schließen. Hier gilt es, alle Beteiligten richtig zu unterweisen, regelmäßig zu überwachen und regelwidriges Verhalten nicht zu tolerieren. Dies ist die Aufgabe der Unternehmerinnen und Unternehmer sowie aller betrieblichen Führungskräfte auf den Baustellen und in den Objekten. Sie haben dafür zu sorgen, dass die im Sinne der Rangfolge von Schutzmaßnahmen (T-O-P-Prinzip) nach dem Arbeitsschutzgesetz höchstwertig mögliche Schutzmaßnahme umgesetzt wird. Nur so wird es gelingen, tödliche und schwere Arbeitsunfälle durch Absturz zu verhindern und somit dafür zu sorgen, dass die Beschäftigten nach ihrem Feierabend wieder gesund zu ihren Familien zurückkehren. Wir müssen also in die Köpfe und damit ins Bewusstsein aller am Bau Beteiligten. Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz müssen für uns alle – also branchenunabhängig für unsere gesamte Gesellschaft – so selbstverständlich werden wie Essen, Trinken und Schlafen. Um genau dies zu verstärken hat die BG BAU im Rahmen ihres Präventionsprogramms "BAU AUF SICHERHEIT. BAU AUF DICH." im Mai dieses Jahres die Beschäftigtenkampagne: "Profis arbeiten sicher. Du hast nur ein Leben." gestartet. Ergänzend muss ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass an die Prüfung und Zertifizierung von Persönlichen Schutzausrüstungen hohe Anforderungen gestellt werden. Nähere Auskünfte hierzu erteilt die Prüf- und Zertifizierungsstelle des Fachbereichs Persönliche Schutzausrüstungen der DGUV in Verbund der DGUV Test.

Prof. Dipl.-Ing. Frank Werner (Stellv. Leiter Hauptabteilung Prävention, BG BAU)

ABZ-Stellenmarkt

Relevante Stellenangebote
Seilbaggerfahrer (m/w/d), Jettingen-Scheppach  ansehen
Projektleitung (m/w/d) , Heilbronn  ansehen
Gerüstbauer – auch als Quereinsteiger , Ochtendung  ansehen
Alle Stellenangebote ansehen

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de

ABZ-Redaktions-Newsletter

Freitags die aktuellen Baunachrichten direkt aus der Redaktion.

Jetzt bestellen