Auf dem Weg zur Klimaneutralität
Erstes CO2-neutrales Zementwerk der Welt in Lägerdorf
von: Kai-Werner FajgaIm Rahmen einer Auftaktveranstaltung im Vorfeld der Messe NordBau waren Anfang September Vertreter der Fachpresse eingeladen, das Holcim-Zementwerk in Lägerdorf bei Itzehoe zu besichtigen, das nun durch den Bau eines neuen Zementofens deutlich erweitert werden soll. Vor Ort erklärten Torsten Krohn (Leiter Werksgruppe Lägerdorf Holcim Deutschland) und Sven Weidner (Head of CCUS Holcim Deutschland) den angereisten Journalisten eingehend die technischen Hintergründe des Projekts.
Um den Stellenwert des Projekts deutlich zu machen, waren auch Joschka Knuth (Staatssekretär im Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur in Schleswig-Holstein) und Dr. Matthias Frederichs (Geschäftsführer Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden (bbs)), angereist, um weitergehende Fragen der Presse zu beantworten.
Spatenstich im April
"Die Zementindustrie steht vor einer besonders großen Herausforderung bei der Dekarbonisierung. Hier in Lägerdorf wird jetzt gezeigt, wie es gehen kann – die Produktion zu dekarbonisieren und eine klimaneutrale Herstellung von Zement und Beton mutig umzusetzen. Dass das Kohlendioxid nicht nur abgeschieden, sondern auch als Rohstoff weiter genutzt werden kann, ist ein Musterbeispiel für die grüne Transformation" hatte Bundesminister Robert Habeck im April anlässlich des Spatenstichs für die neue Anlage erklärt und damit das Ziel des Projekts grob umrissen.
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Habeck sowie der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther hatten mit Holcim-Deutschlandchef Thorsten Hahn den Spatenstich für das sogenannte "Carbon2Business"-Projekt in Lägerdorf gesetzt. Bis 2028 soll dort mit neuer Technologie zur Abscheidung von CO2 im großindustriellen Maßstab ein Zementwerk entstehen, in dem das Klimagas nahezu vollständig aus der Abluft entfernt werden kann. Anschließend soll das CO2 für die Nutzung als Rohstoff in der Industrie aufbereitet werden.
Holcim sieht sich selbst als Vorreiter, der die Transformation in der Bauindustrie voranbringen will. Der Konzern hat sich zum Ziel gesetzt, in den kommenden Jahren den CO2-Ausstoß schrittweise zu verringern, um im Jahr 2050 und danach komplett klimaneutral produzieren zu können. Zement sei das Fundament der modernen Welt und einer der wichtigsten Baustoffe überhaupt, aber dieser Baustoff müsse nachhaltiger produziert werden. "Die deutsche Zementindustrie emittiert 20 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr, das entspricht etwa 3 Prozent der Gesamtemissionen in Deutschland", informierte Torsten Krohn. Allerdings seien CO2-Emissionen in der Zementproduktion zum Teil unvermeidbar, so der Werksleiter.
Emissionen unvermeidbar
Der Großteil des CO2 – rund zwei Drittel – wird beim Brennen aus dem Gestein selbst freigesetzt. Diese Emissionen lassen sich laut Holcim auch mit dem Einsatz regenerativer Energien für den Betrieb des Zementofens nicht vermeiden. Indem das CO2 abgeschieden werde, könne es zu einem wertvollen Rohstoff aufbereitet werden.
In Lägerdorf will Holcim nun mit den Projektpartnern thyssenkrupp Polysius und Linde Engineering einen Oxyfuel-Ofen der zweiten Generation sowie eine Carbon Purification Unit (CPU) errichten. Die neue Ofenlinie soll mit reinem Sauerstoff für das Brennen des Zementklinkers betrieben werden, auch eine Aufbereitungsanlage für CO2 soll ergänzt werden. Mit dem Oxyfuel-Prinzip soll die Art und Weise verändert werden, wie mit den Emissionen aus industriellen Prozessen umgegangen wird. "Im Wesentlichen wird dabei für die Verbrennung von kohlenstoffhaltigen Brennstoffen reiner Sauerstoff anstelle von Umgebungsluft verwendet.
So entsteht ein CO2-reiches Prozessgas, das anschließend in einer CO2-Abscheideanlage gereinigt und aufbereitet wird", erklärt Sven Weidner, Head of CCUS bei Holcim Deutschland.
CO2 als Rohstoff
Das Oxyfuel-Verfahren der zweiten Generation sichere die Reinheit des Prozessgases und ermögliche es, das enthaltene CO2 nahezu vollständig abzuscheiden.
Das aufbereitete CO2 sei so rein, dass es Lebensmittelqualität habe - und Getränken als Kohlensäure zugesetzt werden könnte. Nahezu alle CO2-Emissionen aus der Zementklinker-Produktion können als wertvolle Ressource genutzt werden. Das Oxyfuel-Verfahren der zweiten Generation sei somit eine nachhaltige Lösung für die Herausforderungen der industriellen Emissionsreduktion in der Zementindustrie. Allerdings sind für den Einsatz der energieintensiven Technologie verschiedene Standortfaktoren Voraussetzung, zum Beispiel die Verfügbarkeit von ausreichend regenerativer Energie sowie den entsprechenden Rohstoffen für die Zementherstellung.
Am Standort in Lägerdorf sind diese Voraussetzungen erfüllt. Die Küstennähe bietet die Möglichkeit zur Anbindung von Offshore-Windparks. Auch die Rohstoffvorkommen in eigenen Gruben sind für die Zukunft gesichert, so Weidner.
Nach der Umrüstung des Werks in Lägerdorf sollen nahezu 100 Prozent der CO2-Emissionen bei der Zementherstellung abgeschieden und jährlich über 1 Million Tonnen CO2 eingespart werden. Das Abgas wird anschließend weiter zu einem hochreinen CO2-Gas als Ausgangsstoff für die chemische Industrie aufbereitet und kann als Rohstoff für andere Industrien eingesetzt (CCU-Projekt) werden. Dieses Projekt soll zeigen, dass innovative Technologien in der Industrie nicht nur die Umwelt schützen, sondern auch neue Chancen für die Nutzung von Ressourcen eröffnen können.
Genau an dieser Stelle bemängelt Weidner, dass hier ein neuer Markt geschaffen werde, der noch entwickelt werden müsse – für den aber aus Deutschland bisher keinerlei Fördergelder zur Verfügung gestellt würden.
Die EU fördert das C2B-Lägerdorf Projekt zwar mit 110 Millionen Euro aus einem "Innovation Fund", die gesamten Investitionskosten beliefen sich auf mehrere 100 Millionen Euro.
Neue Märkte
Mit Inbetriebnahme des neuen Werks werde hochreine CO2-Gas zur Verfügung gestellt, das als Rohstoff für andere Industrien eingesetzt werden könne, beispielsweise zur Herstellung von E-Methan, E-Methanol oder E-Kerosin. Auch in der chemischen Industrie und bei der Baustoffherstellung böten sich Einsatzmöglichkeiten, die aber noch erschlossen, beziehungsweise für eine Nutzung seitens der weiterverarbeitenden In-dustrie vorbereitet werden müssten. Auch Joschka Knuth, Staatssekretär im Ministerium für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und Natur in Schleswig-Holstein, benennt Standortfaktoren, die das nördliche Bundesland auszeichneten. Jedes dritte Windrad, das im vergangenen Jahr in Deutschland errichtet wurde, sei in Schleswig-Holstein aufgestellt worden. Das Bundesland verfüge über mehr Energie, als es benötige und sei auch weiterhin Stromexporteur.
"Energie werden wir auch in Zukunft reichlich verfügbar haben", sagte Knuth. Es sei eine Notwendigkeit, nun ein CO2-Verteilnetz aufzubauen. Bei der Industrie stoße er mit einem solche Anliegen auf offene Ohren, konkrete Fördergelder seitens des Bundeslandes wurden jedoch nicht in Aussicht gestellt.
Für die erfolgreiche Entwicklung dieses Markts sei eine entsprechende Infrastruktur erforderlich.
Dazu zählen insbesondere Pipelines, Zwischenspeicher und Umschlaghubs für den Schiffstransport, aber auch rechtliche Regelungen für den Transport, benennt Weidner die Aufgabenstellung. "Die Bundesregierung wie auch die EU gehen diese Themen in ihren Carbon-Management-Strategien an. Wir stehen als Partner bereit, die CO2-Ökonomie in Deutschland gemeinsam mit der Politik auf den Weg zu bringen", hatte Holcim-Deutschlandchef Thorsten Hahn anlässlich des Spatenstichs gesagt.
Holcim Deutschland hat sich neben dem Projekt in Lägerdorf weitere anspruchsvolle Dekarbonisierungsziele gesteckt. Aktuell laufen auch Erprobungsprojekte an den weiteren Zementwerken in Höver (Niedersachsen) und Beckum (Nordrhein-Westfalen). Auch sie sollen mit Technologien zur Abscheidung und Aufbereitung von CO2 umgerüstet werden.