Ein positives Vorzeichen

Offene und transparente Möbelfabrik im norwegischen Wald realisiert

von: Heidrun Eckert
Magnor/Norwegen (ABZ). – Das international tätige Unternehmen Vestre AS stellt seit über 75 Jahren Stadtmobiliar her und das laut eigener Aussage auf besonders nachhaltige Weise.
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Zusammen mit Dachsubstrat wird auch abgetragener Waldboden verwendet, um darin enthaltenen Samen zu nutzen. Foto: Mattak AS

Vestre habe neun von 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen direkt in die Geschäftspolitik implementiert und messe seinen Unternehmenserfolg nicht nur am finanziellen Ergebnis, sondern auch an ökologischen und sozialen Erfolgen.

Bei der Standortsuche für ein neues Fabrik-Gebäude fiel die Wahl auf das norwegische Dörfchen Magnor, das gerade 900 Einwohner zählt und im Süden der Provinz Innlandet liegt – und zwar 3 km von der schwedischen Grenze und 50 km Luftlinie vom schwedischen Vestre-Standort in Torsby entfernt. Traditionell ist in dieser waldreichen Gegend die Glas- und Holzindustrie ansässig.

Vestre und BIG vereinte der Wunsch nach einem Gebäude, das ökonomisch, nachhaltig und sozial zugleich ist. An diesem Punkt war die Idee geboren, die Fabrik direkt in einen gepflanzten Kiefernwald zu betten und sowohl das Gebäude also auch die 300 ha Waldfläche als Erlebnisort für alle zugänglich zu machen. Besucher können bei Führungen die Möbelherstellung kennenlernen, sich über Energieerzeugung, Energierückgewinnung, Wasseraufbereitung oder die Lebenszyklen der Materialien informieren. Zugleich sollen die Menschen die Ressource Wald erleben und haben die Möglichkeit zu picknicken und zu campen.

Runder Innenhof mit solitärem Ahornbaum

Das Besondere an der gesamten Gebäudegeometrie von The Plus ist, dass man ringsum durch die riesigen Glasfassaden wie durch große Schaufenster direkt in die Produktion blicken kann. Und Zugänge zur offensten und transparentesten Fabrik der Welt gibt es viele. So führen zum Beispiel zwei 150 m lange, linear gegenläufige Fassadentreppen auf das 6350 m² große Dach, von dem aus nicht nur die Flügel des kreuzförmigen Gebäudes einsehbar sind, sondern auch der zentrale runde Innenhof mit solitärem Ahornbaum. Dorthin führt eine kreisförmige Treppe. Wer Lust auf eine Rutschpartie hat, nimmt alternativ die Kurvenrutsche vom Dach nach unten. Im Zuge der weiteren Raumentwicklung sollen sich zudem 250 m lange Fußwege durch den Kiefernwald in die Höhe schlängeln und das 15 m hohe Dach erklimmen. Man könnte sagen, The Plus wird dann Aussichtsplattform auf einem langen Baumwipfelpfad, erklärt Zinco.

Während der Bauphase war oberstes Gebot, den gepflanzten Kiefernwald so nah wie möglich am Gebäude zu erhalten. Bäume wurden den Verantwortlichen zufolge nur dort gefällt, wo absolut nötig, und ihr Holz direkt als Baumaterial für The Plus verwendet. Wichtig zu bewahren sei auch der Waldboden selbst, da dieser nichts anderes als eine riesige Samenbank darstelle. Er wurde also sorgfältig abgetragen und später in der Umgebung und auch auf der Dachbegrünung wieder ausgebracht. Um die Eingriffe in die Natur so gering wie möglich zu halten, installierte man alle nötige Infrastruktur wie Strom, Glasfaser, Wasser und Kanalisation entlang der vorhandenen Straßen.

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Das Architekturbüro BIG plante laut eigener Aussage die offenste und transparenteste Fabrik der Welt. Abb.: Michelle Berg

The Plus erreicht in der BREEAM-Umweltbewertung die höchste Stufe "Herausragend", betont Zinco. Dazu trügen viele Aspekte bei: die hervorragende Wärmedämmung und Fenster mit minimalem Energieverlust, Wärmetauscher und eine Reihe von geothermischen Brunnen, ein fortschrittliches Energieversorgungssystem mit Nutzung der Abwärme aus der Produktion und die Kombination von Solarenergie und Dachbegrünung. Insgesamt ist der Energiebedarf des Gebäudes um 90 % geringer als der einer vergleichbaren konventionellen Fabrik. Einzigartig ist bei Vestre auch, dass über viele Jahre gebrauchte und abgenutzte Möbel erneut in die Fabrik gebracht werden können zur Restaurierung und Wiederverwendung. Dazu verfügt The Plus über eine eigene Kreislaufproduktionslinie.

Energieverbrauch drastisch gesunken

Diese zirkuläre Möbelproduktion senkt den Energieverbrauch drastisch und auch der Wasserverbrauch ist bei The Plus minimal, da über 90 % des in der Produktion verwendeten Wassers recycelt werden. Die Architekten haben dem Dach von The Plus eine besondere Geometrie dadurch verliehen, dass jeweils eine Ecke jedes Gebäudeflügels angehoben ist. So hat man beim Zugang aufs Dach gleichzeitig Einblick ins Gebäudeinnere und Ausblick auf die Gebäudeflügel. Das erfahrene Garten- und Landschaftsbauunternehmen Mattak AS war maßgeblich beim Design und der Projektplanung des Daches verantwortlich und übernahm die komplette Ausführung der Dachbegrünung.

Die Rahmenkonstruktion des zwischen 0° und 20° geneigten Daches besteht aus Brettschichtholzträgern mit freien Spannweiten von 24 m. Für die Dämmung wurden Holzfasern eingesetzt. Auf einer bereits wurzelfest ausgebildeten Abdichtung startete der Zinco-Systemaufbau beginnend mit der Speicherschutzmatte SSM 45 und den Drän- und Wasserspeicherelementen Floradrain FD 40. Diese 40 mm hohen Elemente aus tiefgezogenem Recycling-Polyolefin speichern Wasser in ihren Mulden und leiten Überschusswasser dank unterseitigem Kanalsystem sicher ab. Das ist die richtige Basis für die gewünschte Bepflanzung der Flächen mit höherem Artenreichtum und bietet dank vollflächiger Verlegung auch die erforderliche Lagesicherheit bis in die stärker geneigten Dachbereiche.

Es folgte das Systemfilter SF als Abdeckung sowie rund 12 bis 40 cm Substrat, das in Turbobags via Kran aufs Dach gebracht wurde. Mattak AS hatte dazu laut eigener Aussage eigens eine Substratmischung hergestellt unter Verwendung des vormals abgetragenen Waldbodens, um die verschiedenen heimischen Arten anzusiedeln. Neben dieser Ausbringung der Pflanzen in Form von Samen im Waldboden, setzte man sage und schreibe auch 20.000 Pflänzchen, welche in der Umgebung als Stecklinge gesammelt und extra kultiviert worden waren. Durch die Nutzung dieses biologischen Materials wächst auf dem Fabrikdach genau die Artenvielfalt, die für die Region typisch ist. Das ist die hochwertigste Form der Vegetationsansiedlung, zumal gebietseigene Flora auch die passende Nahrungsgrundlage für die heimische Insektenwelt darstellt. Um die Vegetation zu etablieren, bewässerte Mattak AS das Biodiversitätsdach in der Anwachsphase und kümmert sich auch über die erste Saison hinaus um die Pflege.

Mit Solaranlagen kombinierbar

Gründächer sind laut Zinco wunderbar mit Solaranlagen zu kombinieren, das wüssten auch die Architekten bei BIG. Synergieeffekte ergeben sich dem Unternehmen zufolge beispielsweise dadurch, dass die Bepflanzung für eine kühlere Umgebungstemperatur sorgt und damit ihren Ertrag erhöht. In dieser Hinsicht haben die 888 Solarmodule von The Plus auch durch die Waldumgebung und ihren klimatischen Standort einen Pluspunkt. So würden pro Jahr rund 250.000 kWh Strom produziert. Für die fachgerechte Planung einer Solaranlage sind eine ganze Reihe unterschiedlicher Einflussfaktoren von Bedeutung: Standort des Gebäudes (Windzone, Geländekategorie, Sonnenexposition), Geometrie und Höhe des Gebäudes sowie die Position der Anlage auf dem Dach (Innen-, Rand- oder Eckbereich). Ausgelegt auf die objektspezifischen Gegebenheiten bietet auch Zinco ein umfangreiches Produktportfolio rund um das Thema Solar und Grün.

Mit der Eröffnung von The Plus im Sommer 2022 ist das Projekt noch nicht abgeschlossen, wie Zinco betont. In dem 300 ha großen Waldgebiet entstehen Spiel- und Picknickplätze, ein lyrischer Pfad und ein Aussichtsturm sowie Klettermöglichkeiten auf megagroßen Vestre-Möbeln. Eine neue Brücke über das Flüsschen Vrangselva soll den Park mit der Ortschaft Magnor verbinden. Mit dem Gemeinderat arbeitet Vestre laut eigener Aussage auch an der schrittweisen Entwicklung einer größeren Biodiversität im Wald, der durch Bewirtschaftung und Rodung bislang nicht wild wachsen konnte. Mit dem gesamten Konzept demonstriert das Unternehmen eigenen Angaben zufolge, wie es möglich ist, Industrie, Klima und Natur zu vereinen. The Plus sei ein inspirierendes und lehrreiches Industrieprojekt mit echter Symbolkraft über Branchen- und Ländergrenzen hinweg – ein positives Zeichen für die Zukunft ganz nach dem Motto von Vestre "Jeder kann die Welt retten. Zumindest ein bisschen".

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Die Autorin ist Business Unit Manager bei der ZinCo GmbH.

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