Bauaussichten 2024
Radikaler Bewusstseins- und Wertewandel im Kampf gegen den Klimawandel vonnöten
Wir leben in einer Zeit der Polykrise. Einzelkrisen verstärken sich gegenseitig und schlagen sich in der Bauwirtschaft nieder. Eine kurzfristige Verbesserung ist insbesondere mit Blick auf den dringenden Wohnungsbau nicht zu erwarten. Als wäre das nicht genug, ist die Branche gefordert, Transformationsprozesse voranzutreiben, um mit einer Bauwende dem Klimawandel entgegenzutreten. Die Bewältigung der multiplen Krisen liegt nicht im Warten auf künftige Innovationen, sondern in einer Mischung aus Rückbesinnung und mutigen Entscheidungen – in Politik und Wirtschaft.
Was damit gemeint ist, veranschaulicht ein Blick in das Jahr 1927: Unter der Leitung von Ludwig Mies van der Rohe veranstaltete der Werkbund die Ausstellung "Die Wohnung". In nur 21 Wochen entstand durch 17 Architekten in Stuttgart die Weißenhofsiedlung. Mit 21 Gebäuden und 63 Wohnungen steht sie für die Abkehr von vorindustriell geprägten Wohnformen und zeigt stattdessen rationale Baumethoden für den modernen Großstadtmenschen. Der Bedarf an neuem Wohnraum war hoch, doch in den Augen der Architekten erlaubten die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bevölkerung kein verschwenderisches Bauen mehr. Ein neues Siedlungskonzept musste Wohnungsanlagen günstiger machen, Hauswirtschaft vereinfachen und das Wohnen verbessern. Der Mut von Kommune und Architektenschaft zahlte sich aus: Die Weißenhofsiedlung gilt als gebautes Manifest für moderne Architektur.
Wir brauchen auch jetzt ein Umdenken. Aktuell ist eine frei finanzierte Vermietung kaum noch unter 17,50 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter möglich, wie die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen in ihrem aktuellen Bauforschungsbericht schreibt. Wir brauchen Gebäudestrukturen und Bauprodukte, die die Komplexität, die das Bauen überreguliert und unrentabel macht, auflösen. Wir müssen wieder regionaler handeln, um Baukosten zu senken und einen verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen zu garantieren. Und wir brauchen eine Politik, die auch ihren Anteil an den Baukosten von derzeit über 30 Prozent überdenkt.
Zudem ist ein radikaler Bewusstseins- und Wertewandel im Kampf gegen den Klimawandel vonnöten. Wir müssen durch echte klimaneutrale und -resiliente Gebäude der Erderwärmung entgegenwirken und uns zugleich vor den Risiken der Klimafolgen schützen.
Von Werkbund und Bauhaus zu lernen, heißt, sich auf Einfachheit und Wesentliches zu fokussieren, wenn es um einen produktiven Umgang mit dem Mangel an Arbeitskräften und Wohnraum, finanziellen Spielräumen und Zeit für die Bewältigung der Klimakrise geht. Eine Lösung, die all diese Punkte adressiert, liegt in einem einfacheren Umgang mit dem Gebäudebestand, wie es etwa Architects for Future schon 2021 mit der "Umbauordnung" gefordert haben.
Doch werden wir weiterhin Neubauten brauchen, um zeitnah für Wohnraum zu sorgen und den sozialen Frieden zu bewahren. Viel kritisiert wurde der Vorstoß des Bundeskanzlers, auf der grünen Wiese zu bauen. Wenn neue Quartiere jedoch mit all unseren Erfahrungen und den Potenzialen nachhaltigen Bauens entwickelt werden, besteht darin auch eine Chance für Mensch und Natur. Es könnten zukunftsweisende Stadtteile entstehen, mit viel Grünflächen und Parkanlagen, klimaresilient mit durchdachtem Wassermanagement, autofrei angelegte Quartiere mit guter Anbindung an den ÖPNV und allen Annehmlichkeiten einer 15-Minuten-Stadt. Und mit nachhaltigen, klimagerechten und wertvollen Gebäuden, die aktiv zur Lösung der Herausforderungen beitragen: durch konstruktive Einfachheit, homogene, regionale und zirkuläre Materialien, die langfristig, beispielsweise durch Recarbonatisierungseffekte, als CO2-Senke fungieren und auf Bedarfsänderungen reagieren.
Hier kommt der Gebäudetyp E ins Spiel – ein Vorschlag der bayerischen Architektenkammer, der bereits in Ansätzen Einzug in den Maßnahmenkatalog des sogenannten Bau-Turbo-Pakts der Bundesregierung fand. Die Idee: Fachkundige Bauherren und Planende können im Bauprojekt gemeinsam den Fokus auf die wesentlichen Schutzziele der Bauordnungen legen – etwa Standsicherheit, Brand- und Umweltschutz sowie gesunde Lebensverhältnisse. Die Nichtberücksichtigung darüberhinausgehender Normen, Standards und Richtlinien soll das Bauen einfacher, schneller, nachhaltiger und kostengünstiger machen.
Die Etablierung des Gebäudetyps E ist eine Frage von Mut und politischer Entscheidungsfreude. Das Konzept hat das Potenzial, den gordischen Knoten der Polykrise am Bau zu lösen. Ob mit seriell oder individuell geplante Projekten – die mittelständischen Kalksandsteinhersteller von KS-Original werden ihren Beitrag zum einfachen Bauen weiterhin leisten. Mit einer funktionsgetrennten Bauweise, bei der es immer um den bewussten Umgang mit Ressourcen und um die Verwendung eines kreislauferprobten Bauprodukts geht, das einem Gebäude durch seine Robustheit ermöglicht, weit über 100 Jahre im Bestand zu bleiben und dabei on top noch CO2 zu binden – und das es durch seine bauphysikalischen Eigenschaften schafft, materialreduziert Tragwerkskonstruktionen zu stellen, auf die bei Umnutzungen oder Aufstockungen verlässlich aufgebaut werden kann.
Für mehr Bewegung im Markt brauchen wir konstruktive und handlungsfähige Baupartnerschaften auf allen Ebenen des Bauprozesses. 2024 sollten wir daher nutzen, um Allianzen zu bilden und den Wohnungsbau im Einklang mit der Bauwende – hin zu mehr Nachhaltigkeit und Einfachheit – gemeinsam voranzutreiben.
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