Mehrfamilienhäuser aus Vollholz

Berechnung: Für die genaue Ermittlung des Lastabtrags kommt eine Software zum Einsatz

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Das Casa Legno in Metzingen bietet Platz für 16 Wohneinheiten. Foto: IBS Bau-Statik

Metzingen (ABZ). – Im schwäbischen Metzingen ist laut Angaben des Errichters ein nachhaltiges und ökologisches Vorzeigeprojekt im Wohnungsbau entstanden: Mit dem Casa Legno wurde eines der ersten Mehrfamilienhäuser Deutschlands in Vollholzbauweise errichtet. Möglich machten dies unter anderem das patentierte Verfahren der holzius GmbH aus Südtirol sowie die verantwortlichen Tragwerksplaner vom Ingenieurbüro IBS Bau-Statik PartG, die Einblicke in die konstruktiven und statischen Herausforderungen des Bauvorhabens geben.

Statische Berechnung

Das Bauen von Häusern und Gebäuden aus Holz birgt für Planer zahlreiche architektonische und statische Herausforderungen: die Anisotropie von Holz, die strengen Brandschutzvorschriften und der Schutz vor Feuchtigkeit. Insbesondere der Bau von Holzhochhäusern ist geprägt von Debatten rund um echte Nachhaltigkeit und Sicherheit. Trotzdem stellt Holz beim Bau von mehrgeschossigen Gebäuden zunehmend eine ernsthafte ökologische und ökonomische Alternative dar. Das Errichten von Holzbauwerken ist längst nicht mehr nur den Einfamilienhäusern vorbehalten. Wie die Berufsorganisation Holzbau Deutschland in ihrem Lagebericht 2022 aufschlüsselte, lag die Quote der genehmigten Neubauten in Holzbauweise sowohl im Wohnbau als auch im Nichtwohnbau deutschlandweit bei etwa 21 % und ist damit seit 2017 um 4 % gestiegen.

Eines dieser Mehrfamilienhäuser aus Holz lasse sich als Leuchtturmprojekt seit 2023 in Metzingen finden. Das Casa Legno (Holzhaus) wird der Gebäudeklasse 4 zugeordnet und umfasst 16 Eigentumswohnungen und eine Tiefgarage. Lediglich die Tiefgarage und der zur Aussteifung erforderliche Erschließungskern (Treppenhaus mit Aufzug) wurden in Stahlbetonbauweise ausgeführt. Die Wände der Tiefgarage, des Treppenhauses und des Aufzugs wurden mit einer Dicke von 24 cm geplant. Sämtliche Außen-, Innen- und Trennwände sowie alle Decken des Gebäudes sind hingegen in Vollholzbauweise patentiert durch die holzius GmbH aus Südtirol errichtet worden. Die Wände der Ebenen E0 bis E3 wurden dabei als holzius 180 mm-Vollholzwände nach Zulassung ETA-15-0729 gefertigt. Die Decken über E0 bis E2 wurden als liniengelagerte Einfeldträger als holzius 160 mm-/180 mm-/220 mm-Vollholzdecken – in Abhängigkeit von Spannweite und Belastung –, die Dachdecke über E3 teilweise mit Kragarm) als holzius 120 mm-Vollholzdecke nach Zulassung ETA-17-0745 konzipiert.

Den Vollholzelementen von holzius liegen die Funktionsprinzipien "Vergraten" und "Verkämmen" zugrunde. Sie ermöglichen ein Massivholzsystem bestehend aus Wand-, Dach- und Deckenelementen, das die quellenden und schwindenden Eigenschaften von Holz für sich nutzt und gänzlich ohne Leim- und Metallverbindungen auskommt. Als mehrlagig stehender Block bestehen die Vollholzelemente aus senkrecht angeordneten und ineinander verzahnten Massivholzbohlen, die mit schwalbenschwanz-förmigen Massivholz-Gratleisten verbunden sind und so eine hohe Tragfähigkeit erreichen. Mehrgeschossige Gebäude lassen sich folglich setzungsfrei realisieren. Dank des genau bemessenen Freiraums für jede Holzbohle treten keine Maßveränderungen bei Feuchtigkeit auf. Durch das Verkämmen der Deckenelemente ist die gesamte Deckenfläche außerdem wind-, luft- und rieseldicht.

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Die Erdbeben- und Windlasten wurden mit dem Gebäudemodell von Frilo ermittelt. ABB.: IBS Bau-Statik

Die speziellen Eigenschaften des Massivholzsystems von holzius erforderten beim Bau des Casa Legno Tragwerksplaner mit entsprechender Expertise und Kapazität für die statischen Berechnungen am Gebäude. Doch der Bauherr, die Sigrid Held GmbH aus Grafenberg, tat sich schwer bei der Suche nach einem geeigneten Büro. "Ursprünglich wurden wir nur beauftragt, die Genehmigungs- und Ausführungsplanung für den Massivbau zu übernehmen", erinnert sich Dipl.-Ing. Andreas Schnizler vom Ingenieurbüro IBS Bau-Statik PartG. "Schließlich haben wir uns bereiterklärt, auch die statischen Berechnungen und die Ausführungsplanung für den Holzbau in enger Zusammenarbeit mit holzius zu erbringen. Wir bekamen ausreichend Zeit, uns das notwendige Know-how über die konstruktiven Details anzueignen. Zudem standen uns holzius und ein erfahrener Statiker aus Augsburg in regelmäßigen Videokonferenzen beratend zur Seite", so Schnizler weiter. Gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Sebastian von Seggern übernahm er für das spannende Bauvorhaben, das nach nur einem Jahr Bauzeit fertiggestellt wurde, die gesamte Tragwerksplanung. "Das Projekt hat in den letzten eineinhalb Jahren einen hohen Stellenwert in unserem Büro eingenommen", resümiert von Seggern, denn die beiden Ingenieure hatten einige konstruktive Schwierigkeiten zu meistern.

Die größte konstruktive Herausforderung für die Tragwerksplaner bestand darin, sicherzustellen, dass die Horizontal- und Vertikallasten sicher abgetragen werden würden. Die Lastabtragung der vertikalen Linienlasten setzten die Tragwerksplaner über die tragenden Außen-, Innen- und Wohnungstrennwände aus Holz an. Punktlasten ließen sich durch eine entsprechende "Verstärkung" der Vollholzwände aufnehmen. In Ausnahmefällen erfolgte die Lastabtragung über Holzpfosten beziehungsweise Stahlstützen. Eine gleichmäßige Gründung wurde mit Streifen- und Einzelfundamenten sichergestellt. Für die Ermittlung des vertikalen Lastabtrags kam das Programm Gebäudemodell GEO von Frilo zum Einsatz. "Das Gebäudemodell von Frilo ist auf den Massivbau ausgerichtet. Es hat gut funktioniert, die Systematik, die dem GEO zugrunde liegt, auf den Holzbau zu übertragen. Aber das Erfassen der richtigen Massen hat uns durchaus gefordert", sagt Schnizler und bezieht sich dabei vor allem auf den horizontalen Lastabtrag infolge Lastfall Erdbeben.

Die exzentrische Lage des aussteifenden massiven Erschließungskerns und die damit verbundenen Exzentrizität zwischen Massenschwerpunkt und Schubmittelpunkt führten zu einem komplexen, unregelmäßigen Schubkraftverlauf. Die entsprechenden Fugen der einzelnen Vollholzelemente mittels gekreuzter Vollgewindeschrauben abzudecken, wäre sehr aufwendig und unwirtschaftlich gewesen. Daher wurden die Vollholzdeckenelemente mit einem entsprechenden Aufbau aus Holzwerkstoffplatten versehen, sodass verhältnismäßig steife Deckenscheiben entstanden. Weil sich die Holzdecken aus einzelnen Holzbalken zusammensetzen, griffen die Ingenieure für die Bemessung auf den Durchlaufträger von Frilo zurück. Schwingungs- und Brandschutznachweise wurden ebenfalls mit dem Programm DLT+ erbracht. Für die Bemessung der Massivdecke über der Tiefgarage (h = 25 cm) wurden die Lasten des Holzbaus angesetzt und es kam das Plattenprogramm von Frilo zur FEM-Berechnung (das PLT) zum Einsatz. Für die Bemessung der Fundamente vertrauten die Tragwerksplaner auf das FDS+ und das FD+ von Frilo. "Die Software von Frilo ist sehr anwenderfreundlich, einfach und schnell zu bedienen. Für alltägliche Projekte von der Dimension von Einfamilienhäusern und im Geschosswohnbau eignet sich Frilo bestens und überzeugt dank des hervorragenden Preis-Leistungsverhältnisses gegenüber anderen Softwareanbietern", lobt Schnizler.

Für die Ermittlung der H-Lastverteilung bestimmten die Ingenieure die Federsteifigkeiten infolge der Schubsteifigkeit der Wände (Stahlbeton und Vollholz) und die Nachgiebigkeit der Anschlussverbindungen der Holzdecken am Stahlbetonkern (Stahlwinkel mit Holzschrauben). Aufgrund der Steifigkeitsverhältnisse ergab sich eine 86-prozentige H-Lastverteilung auf die Stahlbetonwände im Kern und eine 14-prozentige H-Lastverteilung auf die holzius-Vollholzwände. Die Aussteifung und Abtragung der Horizontallasten erfolgte hauptsächlich über die massiven Treppenhaus- und Aufzugswände. "Im Regelfall mussten wir die Steifigkeiten der Anschlussverbindungen zugrunde legen, weil sie maßgebend waren und nicht der Stahlbetonkern in seiner Steifigkeit. In diesem Fall lassen sich mitunter nur Grenzwertbetrachtungen anstellen", weist Schnizler auf nur eine von vielen Herausforderungen hin. Auf der sicheren Seite wurden die maßgebenden Schnittkräfte für die Stahlbetonwände mit 100 % Horizontallast ermittelt. Wegen der exzentrischen Lage des aussteifenden massiven Erschließungskerns und der damit entstehenden Torsionsbeanspruchung bei der H-Lasteinwirkung in Längsrichtung zogen die Tragwerksplaner nur einzelne, im Grundriss möglichst weit außen liegende Vollholzwände rechnerisch für die Aussteifung heran und berechneten diese ebenfalls auf der sicheren Seite mit 20 % der H-Last. Mit Hilfe des modifizierten Elastizitätsmoduls (1400 N/mm²) wurde jene etwa 20-prozentige Horizontallast auf die Vollholzwände simuliert. "Die Gegenüberstellung war wichtig, um nachher definieren zu können, welche Wand in welchem Lastfall maßgebend wird", erklärt Tragwerksplaner von Seggern.

Brandschutznachweise

Da das Bauwerk in der Erdbebenzone 2 der Karte für Erdbebengefährdung für Baden-Württemberg zu verorten ist, wurden außerdem rechnerische Erdbeben-Nachweise erforderlich. Der Erdbeben-Nachweis für die Lastabtragung über den Stahlbetonkern erfolgte mit dem seismischen Verhaltensfaktor q = 1,5. In einem weiteren Rechengang wurde der Nachweis für die Vollholzwände mit dem Verhaltensfaktor q = 2,5 (nach dem Zertifikat von holzius und der Zulassung Z-9.1-790) geführt, um realistischere Erdbebenlasten zu ermitteln. Im Gebäudemodel von Frilo mussten die mitschwingenden Massen für den Erdbebennachweis entsprechend modifiziert eingegeben werden.

Deshalb legten die Ingenieure die Deckenstärken E0-E2 mit 4 cm und E3 mit 3 cm Stärke fest. Weil das Gebäudemodell von Frilo die Wind- und Erdbebenlasten im Ergebnis mit charakteristischen Werten liefert, wurden die Eingabewerte nicht zz-fach erhöht, betont das Unternehmen. Damit die maßgebenden Schnittgrößen zwischen Wind (g = 1,5) und Erdbeben (g = 1) allerdings im Ergebnis miteinander verglichen werden konnten, versahen die Ingenieure die Windlasten bei den Eingabewerten mit dem Kraftbeiwert 2,8.

Für den Brandschutznachweis wurden sämtliche tragenden Stahlbetonbauteile gemäß DIN EN 1992-1-2 beziehungsweise DIN 4102-4 feuerbeständig R90 ohne zusätzlichen Verputz ausgeführt. Die tragenden Holzbauteile wurden gemäß DIN EN 1992-1-2 beziehungsweise DIN 4102-4 in E0-E2 hochfeuerhemmend R60 und in E3 feuerhemmend R30 ausgeführt.

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