Bauaussichten 2023
Den Bestand der Zukunft bauen
Nach aktuellem Stand wird Deutschland seine Klimaziele für 2030 wohl verfehlen. Und neben dem Verkehrs- liegt das vor allem am Bausektor, der mit der Emissions-Reduktion nicht hinterherkommt. Nicht nur vor diesem Hintergrund wird das Bauen im Bestand zunehmend wichtiger. Allerdings werden Neubauten auch in Zukunft weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Und genau hier liegt die Herausforderung.
Denn es ist dringend nötig, dass die Baubranche ihren extrem hohen Anteil am gesamten CO2-Ausstoß und Müllaufkommen reduziert, damit der Klimawandel aufgehalten und die Erderwärmung auf ein ökologisch verträgliches Maß reduziert werden kann. Neubau sollte als "Bestand der Zukunft" verstanden werden und voraussetzen, dass wir in allen Phasen des Planungs- und Bauprozesses zukünftige Auswirkungen und Nutzungen miteinbeziehen – und zwar über klassische Abschreibungszyklen und bislang veranschlagte Standzeiten hinweg.
Um die eingebrachten Ressourcen effizient einzusetzen, ist es entscheidend, diese "graue Energie" nicht nur drastisch zu reduzieren, sondern auch möglichst langfristig zu nutzen. Immerhin macht diese im Lebenszyklus eines KfW55-Neubaus etwa 50 Prozent des Energieverbrauchs aus. Hierfür braucht es robuste Baukonstruktionen mit Materialien, die schon heute ein hohes Maß an Umweltbewusstsein mit langer Lebensdauer verbinden. Idealerweise besitzen sie in naher Zukunft auch die Fähigkeit, klimapositives Bauen zu ermöglichen sowie durch ihre Zirkularität zur Reduzierung des Ressourcenverbrauchs und des Abfallaufkommens beizutragen.
Kalksandstein ist so ein Baustoff. Er ist nicht nur rein natürlich und ressourcenschonend in der Herstellung, sondern besitzt auch eine besonders lange Lebensdauer von weit über 100 Jahren. Aufgrund des verwendeten Bindemittels Branntkalk ist Kalksandstein außerdem in der Lage, über mehrere Jahrzehnte hinweg mindestens 40 Prozent der aktuell bei seiner Produktion anfallenden CO2-Emissionen aufzunehmen und dauerhaft zu binden. Bei dieser sogenannten Recarbonatisierung wird das Kohlenstoffdioxid in das kristalline Gefüge des Steins eingebunden und tritt auch bei einem Abbruch nicht aus diesem heraus. Als tragende Schicht einer funktionsgetrennten Wand und als wartungsarmes Sichtmauerwerk hat sich Kalksandstein seit dem letzten Jahrhundert bewährt. Der Wandbaustoff überzeugt mit seiner hohen Tragfähigkeit, seinen Qualitäten in der Raumluftregulierung und Wärmespeicherung sowie mit hervorragenden Werten im Brand- und Schallschutz. Darüber hinaus gewährt die KS-Bauweise auch größtmögliche Flexibilität bei der Bemessung der dämmenden Schicht sowie der Wahl eines geeigneten Dämmstoffes. Neben der klassischen Mineralwolle lässt sich das Kalksandsteinmauerwerk zum Beispiel auch mit "alternativen" Dämmstoffen wie Stroh kombinieren und liefert damit eine optimale Grundlage für ein natürliches, kreislaufgerechtes Bauen.
Basierend auf umfangreichen Forschungsergebnissen konnten regional agierende Hersteller des KS-Original Markenverbunds im vergangenen Jahr erstmals KS-Kreislaufsteine fertigen, bei deren Produktion mindestens 10 Prozent sortenreines Abbruchmaterial aus Kalksandstein beigemischt wurde – und das ohne bauphysikalische Qualitätseinbußen. Erste Pilotprojekte zur Gewinnung von Sekundärrohstoffen aus dem Rückbau von Gebäuden sind bereits abgeschlossen, andere werden im Laufe des Jahres umgesetzt. Dazu zählt das Beispiel in der Osnabrücker Innenstadt, wo ein ehemaliges Kaufhaus umgenutzt und mit Flächen für Gastronomie, Co-Working und Fachbereichen der Universität ausgestattet wird. In Kooperation mit dem Startup Concular werden hier die Innenwände wiederverwertet.
Wenn es um möglichst hohe Langlebigkeit und damit die effiziente Nutzung der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen geht, muss die Auswahl der richtigen Materialen auch auf eine zukunftsfähige Planung treffen: Heute schon an morgen zu denken, bedeutet mehr denn je Gebäude zu realisieren, die in ihrer Struktur entsprechend wandelbar sind. Das dies auch im Massivbau möglich ist, zeigt sich am KS* Wohnraummodell, das KS-Original als Entwurfskonzept in Kooperation mit Innenarchitektur Stammer, Lüneburg und redante haun architekten aus Hamburg bereits 2017 entwickelt hat.
Beispiele wie dieses oder die Entwicklung des KS-Kreislaufsteins zeigen, dass es keine komplexen neuen Produkte braucht, um dem Klimawandel auf der Ebene des Bauens entgegenzuwirken. Wichtig sind vor allem die Senkung des Ressourcenverbrauchs durch die Rückbesinnung auf traditionelle Bauweisen und bewährte natürliche Materialien, die Anpassungsfähigkeit von Gebäuden und innovative Herangehensweisen, die ohne Scheuklappen von den unterschiedlichen Akteur*innen gemeinsam gedacht, entwickelt und umgesetzt werden. Denn es liegt in unser aller Verantwortung die Bauwende sehr schnell herbeizuführen.