Saudi-Arabien im Auf- und Umbruch in ein neues Zeitalter

Stolz und Visionär

von: Christian Brensing
London/Großbritannien. – Die "Vision 2030" des Herrschers von Saudi-Arabien, Kronprinz Mohammed bin Salman, und seine "King Salman Charter for Architecture and Urbanism" verkörpern einen Geist des fundamentalen und radikalen Wandels, wie es der Mittlere Osten noch nicht gesehen hat.
Saudi Arabien Messen und Veranstaltungen
Beispielhaft für den bisherigen Erfolg im KSA steht der 52 243 Quadratmeter (BGF) große und 18-geschossige Innovation Tower der King Abdulaziz City for Science and Technology (KACST), Riad. Foto: Taufik Kenan/Berlin

In den Romanen der englischen Schriftstellerin Jane Austen des angehenden 19. Jahrhunderts – zum Beispiel "Stolz und Vorurteil" oder "Mansfield Park" – gehört es zum guten Ton des jungen, wie ambitionierten Landadels ihre Ländereien und Herrenhäuser mit allerhand "improvements" zu versehen. Hinter dem Begriff verbergen sich mannigfaltige, vor allem bauliche Maßnahmen, um die Imposanz der Landsitze noch eindeutiger herauszustellen. So planten sie Sichtachsen in den weitläufigen Landschaftsparks oder ergänzten ihre Häuser durch modisch-moderne Flügelbauten.

Im übertragenen Sinn könnte man das heutige Saudi-Arabien, seit 2017 unter der Herrschaft des Kronprinzen Mohammed bin Salman (38), als ein einziges gigantisches "improvement" bezeichnen. Die "Vision 2030" des Herrschers und insbesondere seine "King Salman Charter for Architecture and Urbanism" (KSCAU) (2022) verkörpern einen Geist des fundamentalen und radikalen Wandels, wie es der Mittlere Osten noch nicht gesehen hat.

Man kennt in den letzten zehn Jahren vor allem den rasanten Aufstieg Dubais zu einem wirtschaftlich-touristischen Dreh- und Angelpunkt am Persischen Golf. Nur, was im Kingdom of Saudi Arabia (KSA) in den vergangenen Jahren gedacht, geplant und nun gebaut und realisiert wird, ist um ein Vielfaches größer, ambitionierter und kühner. Saudi-Arabien als die größte Volkswirtschaft in der MENA-Region, mit den zweitgrößten Ölreserven weltweit, einem Bruttosozialprodukt von 1110 Milliarden US-Dollar (2024) und Devisenreserven von 413 Milliarden US-Dollar (2023) ist getrieben von den Anzeichen und Ängsten einer nicht-fossilen Zukunft.

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Ein mäanderndes Atrium eröffnet ungewohnte Sichtachsen und Anordnung von Büroflächen, die im KSA eine absolute Innovation darstellen. Foto: Taufik Kenan/Berlin

Wie sieht diese aus für ein 33 Millionen Einwohner Land, dessen junge Bevölkerung sich zu 60 Prozent aus unter Dreißigjährigen zusammensetzt? Wer gibt ihnen Lohn und Brot, befriedet sie, damit nicht Zustände, wie zum Beispiel im Iran herrschen? Fragen, Aufgaben aber auch gehörig Potential, das es für die saudische Regierung zu gewinnen, zu aktivieren und in den unterschiedlichsten Arten und Weisen kreativ zu nutzen gilt.

Aufteilung der Big 5 Saudi

Nach 13 Jahren BIG 5 SAUDI, davon die ersten acht Jahre in Dschidda, und erst seit drei Jahren in Riad, stieß die Baumesse dieses Jahr mit 1300 Aussteller aus 47 Ländern und 55.000 Fachbesuchern an ihre Kapazitätsgrenzen. Für das kommende Jahr wird die Messe daher thematisch über zwei Wochen aufgeteilt, der Veranstalter geht von aus, dass sich der Andrang glatt verdoppeln wird.

Michael Pittscheidt, der Geschäftsführer von Messe&Marketing, Vertretung von dmg events in Deutschland, begrüßt die Aufteilung der Big 5 Saudi in zwei thematisch getrennte Fachveranstaltungen: "Dieses Jahr waren die Flächen bereits nach wenigen Wochen ausverkauft, es wurden kurzerhand noch zwei weitere Hallen aufgebaut. Dutzende deutscher Firmen mussten wir auf das kommende Jahr vertrösten. Seit einer Dekade gibt es auf der Big 5 Saudi einen offiziellen deutschen Gemeinschaftsstand, der vom Bund gefördert wird und das Auslandsmesseprogramm 2025, das vom BMWK und dem AUMA gemeinsam erarbeitet wird. Aufgrund der Tatsache, dass im Königreich unfassbare Giga-Projekte und zahlreiche Mega-Projekte entstehen, sollte Deutschland noch mehr Flagge zeigen und den Export nach Saudi-Arabien weiter forcieren. Wir freuen uns auf die Chance noch weitere deutsche Firmen nach Saudi-Arabien zu bringen."

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Nur aufwendigste Bewässerungstechniken, inklusive unterirdischer Wasserreservoire, garantieren das zukünftige Erblühen und Überleben der Parklandschaft. Vor Ort in Riad verbringen einige Gewächse zunächst Monate in großen Gewächshäusern, um sie lokal zu akklimatisieren. Foto: Christian Brensing

Die Zufriedenheit der Organisierenden übertrug sich mühelos auf die ausstellenden Firmen. So auch für die Vertreter der Firma Rampf Formen GmbH, die Werkzeuge, beziehungsweise Formen für die Betonsteinherstellung produziert und im Mittleren Osten schon seit über vier Jahrzehnten vertreten ist. Andrea Ziemann-Stahl, Head of Internal Sales, stellte unmissverständlich klar: "Es handelt sich bei Saudi-Arabien um den Zurzeit größten Baumarkt der Welt. Für uns sind es jedoch immer auch noch die Vereinigten Arabischen Emirate. Aber trotz der Größe, der steigenden Bedeutung handelt es sich im KSA um einen volatilen Markt, der von der permanenten Veränderung lebt. Vieles ist in Bewegung, aber mit der BIG 5 Saudi bleiben wir am Ball."

Vielfältige Projekte

Erstmalig auf der BIG 5 Saudi war die Firma Solidan GmbH Building & Construction aus der Nähe von Tübingen vertreten. Dipl.-Ing. Stephan Gießer erläutert die Vorteile von Carbon- Glasfaserbewehrung für den saudischen Markt: "Ganz einfach, weil hier alles im Salzwasser oder in chloridhaltiger Umgebung gebaut wurde und wird und unsere Werkstoffe nicht korrodieren können, besteht darin ein klarer Fortschritt. Vor allem hier in der Region ist das sehr angesagt. Wir nahmen zuerst in Doha und dann in Dubai bereits an der BIG 5 teil und sehen das riesige Potential. Aber wir müssen den Markt erst erschließen, wir stehen am Anfang!"

Voll etabliert im saudischen Markt sind dagegen zum Beispiel die international tätigen deutschen Architekturbüros LAVA-Laboratory for Visionary Architecture (Berlin, Stuttgart, Sydney) und Gerber Architekten (Dortmund, Düsseldorf, Münster, Hamburg, Berlin, Shanghai und Riad). Ihre Projekte in Saudi-Arabien reihen sich nahtlos ein in die Geschichte modernen Bauens im KSA. Was mit Frei Otto, Rolf Gutbrod, dem britischen Bauingenieur Ted Happold, Albert Speer und Partner oder dem Landschaftsplaner Richard Bödecker begann, setzen Prof. Eckhard Gerber und sein Team sowie Dr. Alexander Rieck und Prof. Tobias Wallisser von LAVA fort. Beispielhaft für den bisherigen Erfolg im KSA steht der 52 243 Quadratmeter (BGF) große und 18-geschossige Innovation Tower der King Abdulaziz City for Science and Technology (KACST), Riad.

Die für das Gebäude so charakteristische pixelierte Fassade beschreibt der Projektleiter Simon Ruppert von Bollinger & Grohmann so: "Für die Außenfassade wurden Elemente im regelmäßigem Fassadenraster und faserverstärkte Betonbauteile entwickelt. Die Öffnungsdurchmesser der Pixelierung variieren je nach Innenraumkonfiguration und den jeweiligen Belichtungsanforderungen. Dieses für die Außenfassade gewählte Prinzip setzt sich im Inneren durch ein Wechselspiel von Glasbrüstungen, geschosshohen vollverglasten Wänden sowie massiven Stahlbetonbrüstungen fort.

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Was einmal mit 19,6 Quadratkilometern der größte innerstädtische Landschaftspark der Welt sein wird – der King Salman Park, war einmal der erste Flughafen Riads. Foto: Christian Brensing

Die opaken Fassadenelemente weisen ein Regelraster von 4,2 x 1,875 Meter auf. Hierfür wurde eine Aluminiumrahmenkonstruktion entwickelt, welche beidseitig verkleidet werden konnte. Diese Konstruktion ist in der Lage, auf die gewählte "Pixelgröße" und das Verkleidungsmaterial (Fensterfläche, GRC-Panel, Innenpaneel) zu reagieren. Die Rahmen schließen über Konsolen am Rohbau an. Die Glasfassade ist mit Isolierglasscheiben der Regelgröße 4,2 x 1,875 Meter geplant. Die Glaselemente werden an einer Stahlunterkonstruktion befestigt, welche ihrerseits wiederum an der Betonkonstruktion angehängt wird."

2011 noch undenkbar

Jedoch nicht nur von außen, sondern auch von innen ist der Stahlbetonbau mit seinen 25 Zentimeter starken vorgespannten Stahlbetonflachdecken eine Besonderheit: Ein mäanderndes Atrium eröffnet ungewohnte Sichtachsen und Anordnung von Büroflächen, die im KSA eine absolute Innovation darstellen. Hier ließ sich mit Hilfe der offenen Atrien laut Alexander Rieck ein "New-Work Konzept" etablieren, was zu Planungsbeginn im Jahr 2011 als noch völlig undenkbar galt, da zum Beispiel auf strikte Geschlechtertrennung geachtet werden musste. Heute stimmen der Ruf und Anspruch von LAVA für visionäre Architektur und Arbeitswelten mit der wirtschaftlich-gesellschaftlichen Realität im KSA voll überein. Wie LAVA mit KACST das saudische Verständnis vom Arbeitsalltag im Büro revolutionierte, so versuchen Gerber Architekten mit dem Giga-Projekt King Salman Park (KSP) die Auffassung von Freizeit und öffentlichen Grünflächen in einer für Saudi-Arabien völlig neuartig-ungewohnten Art und Weise zu etablieren. Auf der diesjährigen Immobilienmesse Mipim in Cannes wurde der King Salman Park im Pavillon von "Invest Saudi" großflächig als Investitionsstandort beworben. Was einmal mit 19,6 Quadratkilometern der größte innerstädtische Landschaftspark der Welt sein wird, war einmal der erste Flughafen Riads. Heute arbeiten täglich in 24/7 Schichten 20.000 Arbeiter an der Vollendung einer Vision des öffentlichen Raums, was etwa neue angrenzende Stadtquartiere, Museen, Restaurants und Freizeiteinrichtungen umfassen wird. Dafür wurde bereits auf der gesamten Parkfläche die oberste Bodenschicht bis auf eine Tiefe von 2,5 Metern ausgetauscht, damit das Wurzelwerk der zu pflanzenden Bäume, Sträucher und Pflanzen nicht mit dem salzhaltigen Sand-Gestein-Boden in Berührung kommen. Was hier im Entstehen ist, lässt sich nur schwer, und dann auch nur partiell, mit dem Bild und Verständnis einer europäischen Parklandschaft vergleichen. Weder der Englische Garten Münchens, der Tiergarten Berlins oder gar der für seine Artenvielfalt gerühmte Botanische Garten der deutschen Hauptstadt lassen sich mit dem KSP vergleichen.

Blühende Landschaften

Etwa im Stil des "grünen Fürsten Pücklers" werden aus vielen botanisch vergleichbaren Weltgegenden Bäume, Sträucher und Pflanzen für den KSP eingekauft. Vor Ort in Riad verbringen einige Gewächse zunächst Monate in großen Gewächshäusern, um sie lokal zu akklimatisieren. Andere wiederum stehen auf dem zukünftigen Parkgelände eng auf eng in großflächigen Baumschulen, bis sie gemäß eines akribischen Masterplans am designierten Ort und Stelle eingepflanzt werden. Noch atmet die grüne Lunge Riads nicht ohne unterstützende Maßnahmen. Nicht nur muss jegliche Vegetation an das heiß-trockene Wüstenklima der arabischen Halbinsel langsam angepasst werden – Extremtemperaturen von bis zu 45 bis 50 Grad Celsius, eine Luftfeuchtigkeit von nur 12 Prozent und minimaler Regenfall – es muss vor allem ausgiebig bewässert werden. Nur aufwendigste Bewässerungstechniken, inklusive unterirdischer Wasserreservoire, garantieren das zukünftige Erblühen und Überleben der Parklandschaft. Bis es soweit ist, versichert sich der Kronprinz durch regelmäßige Hubschrauberflüge über das enorme Baufeld vom Fortschritt der saudischen Interpretation von Blühenden Landschaften.

Nicht dass der King Salman Park ein bauliches Einzelgewächs wäre, laut der "Vision 2030" sind in der saudischen Hauptstadt noch drei weitere Giga-Projekte am Start: Die touristische Rekonstruktion und Neuinterpretation der Lehmarchitektur von Diriyah, der futuristische Stadtteil New Murabba und der 135 Kilometer lange Sports Boulevard quer durch Riad.

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Der Autor ist Fachjournalist und Unternehmensberater aus Berlin/London.

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