Prognose für die Baubranche im kommenden Jahr

2023 könnte es zu einem Knick kommen

In der Branche ist die Stimmung aktuell schlecht. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie (HDB), sprach mit ABZ-Chefredakteur Kai-Werner Fajga über die aktuelle Situation und Zukunftsperspektiven.
Konjunkturentwicklung
Tim-Oliver Müller ist Hauptgeschäftsführer des Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. Foto: HDB/Bollhorst

ABZ: Herr Müller, zu Beginn des Jahres ging der HDB von einer positiven Entwicklung der Baubranche aus, dann kamen der Ukraine-Krieg, Preisexplosionen und Rohstoffknappheit. Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in diesem und im kommenden Jahr?

Müller: Grundsätzlich ist der Bau, ist die Bauindustrie auch trotz der externen Effekte eine absolute Zukunftsbranche. Das haben wir zum Tag der Bauindustrie erneut mit einer umfangreichen Studie vom Allensbach Institut belegen können. Besonders, was die Meinung der Öffentlichkeit zur Arbeitsplatzsicherheit sowie zu unserem Engagement für den Umwelt- und Klimaschutz am Bau angeht. Die Branche ist gerade bei den letztgenannten Themen ein Motor für anstehende Transformationen. Der Bau ist einfach gefragt. Was die Umsatzsituation und die Prognose für dieses Jahr angeht, wird der Krieg in der Ukraine seine Spuren hinterlassen. Wir haben unsere Umsatzprognose real korrigiert auf 0 bis -2 Prozent. Und so wie die statistischen Daten derzeit aussehen, liegen wir damit relativ punktgenau. Der Negativtrend liegt vor allen Dingen am sich abzeichnenden Einbruch im Wohnungsbau. Für 2023 könnte es deshalb zu einem konjunkturellen Knick kommen.

ABZ: Wie bewerten Sie die aktuelle Stimmung in der Branche bezüglich des Einbruchs im Wohnungsbau?

Müller: Momentan haben die Unternehmen gut zu tun. Die Unsicherheiten begründen sich in teilweise rückläufigen Auftragseingängen, also auf das, was im nächsten Jahr kommt. Die Stimmung ist je nach Sparte jedoch unterschiedlich. Im Wirtschaftsbereich und im öffentlichen Bau herrscht noch immer eine relativ verhaltene Stimmung, im Wohnungsbau bereitet uns der Trend Sorgen. Und das liegt daran, dass gerade die großen Auftraggeber und Unternehmen wie Wohnungsbaugesellschaften sagen, sich aktuell auf die Fertigstellung begonnener Projekte zu konzentrieren und den Neubau erst einmal hintenanzustellen. Das ist angesichts des Wohnungsbedarfes und der Ziele der Bundesregierung eine schwierige Situation, weil einfach viele Menschen eine Wohnungsnot haben. Und wenn diese Wohnungen nicht bei uns bestellt werden, werden sie auch nicht gebaut.

ABZ: Der preisbereinigte Rückgang des Auftragseingangs beträgt laut statistischem Bundesamt rund 10 Prozent. Sie kommentierten, dass es jetzt umso wichtiger sei, dass Bundesbauministerin Geywitz Lösungen findet, die für die Praxis umsetzbar sind. Was erwarten Sie genau?

Müller: Die Bundesministerin sollte an diesem Engagement, das sie bisher an den Tag gelegt hat, festhalten. Denn auch wenn der Auftragseingang zurückgeht, ist ja trotzdem ein sehr, sehr hoher Bedarf vorhanden. Wir müssen den Menschen, die die Wohnungsnot in den Ballungszentren erfahren, helfen. Die Bauministerin muss über ihr Bündnis für bezahlbaren Wohnraum Marktanreize setzen, damit trotz steigender Materialpreise weiter gebaut wird. Dazu hat sie verschiedene Hebel zur Verfügung, etwa das Thema Förderung. Ich sage es ganz deutlich – das, was Anfang des Jahres mit dem Stopp des KfW50-Programm erfolgte, mit dem Wiederaufleben der "Eine Milliarde Euro"-Fördersumme im April und jüngst mit den Anpassungen der Förderbedingungen – das ist Gift für Investoren. Das ist das Gegenteil von Planungssicherheit. Hier muss die Bundesministerin gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsminister für eine neue Verlässlichkeit sorgen. Förderung ist auch deshalb wichtig, weil die Politik eine soziale Frage beantworten muss. Wenn im frei finanzierbaren Wohnungsbau eine Netto-Kaltmiete von ungefähr 14 Euro erzielt werden muss, um ein Bauprojekt zu refinanzieren, dann klafft eine Lücke zu dem Preis, den die Bundesregierung als bezahlbaren Wohnraum definiert. Auch diese Lücke muss eine Förderung schließen.

ABZ: Das KfW-Programm hatte aber ja eigentlich einen anderen Zweck. . .

Müller: Ja, in der Tat. Es muss ein Zielkonflikt aufgelöst werden. Wir haben einerseits eine soziale Frage, andererseits das Thema energetisches Bauen. Wenn wir energetischer bauen sollen, bedeutet dies eine höhere Anforderung an das Gebäude, im Zweifel auch weniger vermietbare Fläche. Dadurch wird es wiederum schwieriger, niedrige, bezahlbare Mieten zu realisieren, sprich, die soziale Frage zu beantworten. Im Zweifel muss es eine Förderkulisse mit unterschiedlichen Instrumenten geben, die allen Belangen gerecht wird.

ABZ: An welchen regulatorischen Schrauben sollte gedreht werden?

Müller: Ein Dauerthema bleibt die Harmonisierung der Landesbauordnungen. Mit einem industrialisierten Bauverfahren, wie etwa dem Seriellen Wohnungsbau, lassen sich Bauzeiten, Schnittstellenrisiken, teilweise auch Baukosten senken. Hierfür wäre es sinnvoll, wenn ein in Hamburg zugelassenes Typenhaus auch in Hessen gebaut werden dürfte. Um es vorwegzunehmen – darf es nicht. Das ist doch Wahnsinn!

Auch wäre es sinnvoller, wenn die Kommunen nicht jedes einzelne Element eines Bauwerks im Detail planen müssten, sondern parallel zur Einzelvergabe mehr Möglichkeiten erhalten, Aufträge im Ganzen zu vergeben und "nur" überprüfen, ob alle Vorgaben eingehalten sind.

Auch liegt die Digitalisierung von Prozessen in den Verwaltungen auf dem Tisch. Ein Vergleich: Es ist technisch ohne Probleme möglich, DHL-Pakete bis auf die Minute genau zu verfolgen, Verwaltungen hingegen sind eine echte Blackbox. Wir wissen heute nicht, wo oder an welcher Stelle eine Baugenehmigung während des Genehmigungsprozesses liegt. Wenn man in einer Verwaltung nachfragt, wie weit ein Prozess gediehen ist, bekommt man Wochen später eine Antwort. Hamburg ist hier die erste Stadt, die ein entsprechendes Trackingsystem etabliert hat, sogar mit einem Bonussystem für die einzelnen Stadtteile. Toll, bitte mehr davon.

ABZ: Beim Thema Preisentwicklung bei Baumaterialien gab es auch im Zusammenhang mit Lieferverzögerungen in den letzten Monaten nur konstante Aufwärtsbewegungen. Wann rechnet der HDB mit einer Konsolidierung der Preise oder mit einer Entspannung der Lieferketten?

Müller: Die Lieferketten konnten glücklicherweise in dem einen oder anderen Bereich neu organisiert werden. Wir sehen das im Stahlbereich, wo wir eine sehr hohe Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland, Belarus, oder der Ukraine hatten. Trotzdem befindet sich die Preisentwicklung auf einem hohen Niveau und sie wird sich wohl, so bitter das ist, nicht mehr auf ein Vorkrisenniveau, oder sogar auf ein Vor-Corona-Niveau zurückbewegen. Das ist ein Marktmechanismus, der verschiedenen Faktoren unterliegt. Im Bereich der Energiepreise werden wir die Spitze des Eisbergs erst sehen, wenn es tatsächlich zu einem Gas-Embargo kommt. Auch, wie sich ein Ölembargo ab 2023 auf die Versorgung von Bitumen auswirken wird, wissen wir heute noch nicht.

ABZ: Frau Geywitz hat vor Kurzem ihren Anspruch erneuert, 400.000 Wohnungen bauen zu wollen. Eine Zahl, die Experten nach wie vor als unrealistisch einstufen. Was halten Sie von dieser Aussage?

Müller: Ich glaube, es ist uns allen auf der Bau-Seite klar, dass wir in diesem Jahr keine 400.000 Wohnungen bauen werden, auch im kommenden Jahr nicht. Grund dafür sind die seit Kriegsbeginn explodierenden Rohstoffpreise sowie steigende Zinsen, die die Finanzierung verteuern.

Die hohen Preise können sich viele private Bauherren nicht mehr leisten. Aber das ändert nichts an der Situation, dass wir einen enorm hohen Wohnungsbedarf haben. Und an der Stelle muss man Klara Geywitz zugutehalten, dass sie an ihrem Ziel festhält. Denn was wäre eine Politik ohne Mut und ohne konkretes Ziel? Das wäre eine Wischiwaschi-Politik, die man drehen und rechtfertigen kann, wie es gefällt. Deswegen kann man sich von jeder Politikerin oder jedem Politiker nur wünschen – so schwierig die Situation auch ist – dass an konkreten Zielen festgehalten wird. Politik braucht Mut, sonst bewegt sich nichts. Und wir als Gesellschaft müssen uns am Ende überlegen, wie wir die Politik bewerten. Wenn Ende des Jahres die 400.000 Wohnungen nicht gebaut wurden, wäre es also unfair zu sagen, die Bundesbauministerin hätte deswegen einen schlechten Job gemacht.

ABZ: Ein anders Thema, dass die Baubranche in Atem hält, ist die Knappheit von Gas und die beschlossene Förderumlage. Wie bewertet der HDB diese Umlage? Kommen da erhebliche Mehrkosten auf Unternehmen zu?

Müller: Wir als Branche sind vom Gasmangel nicht direkt betroffen, bei uns schlagen die Dieselpreise als Hauptenergiequelle für unsere Baumaschinen eher ins Kontor. Allerdings sind unsere Zulieferer, beziehungsweise die Produzenten von Baustoffen betroffen, die Gas zur Herstellung ihrer Produkte nutzen. Von der Baustoffindustrie wurde jüngst eine erwartete Mehrbelastung von 365 Millionen Euro pro Jahr angenommen, das sind eine Millionen Euro pro Tag. Dies wird die Preisspirale am Bau weiter nach oben treiben. In Bestandsverträgen werden deshalb Regelungen mit den Auftraggebern zur fairen Verteilung dieser Mehrkosten wichtiger denn je sein, damit unsere Mitgliedsunternehmen diese nicht allein schultern müssen. Im öffentlichen Bereich helfen uns die von der Bundesregierung eingeführten Erlasse zur nachträglichen Vereinbarung von Preisgleitklauseln, wobei es in der Praxis oft noch hapert, etwa bei der Hürde zur so genannten Unzumutbarkeit.

Für neue und künftige Verträge wird es darauf ankommen, verlässliche und dauerhafte Preisanpassungsmechanismen zu finden, die idealerweise auch in der Vergabe- und Vertragsordnung für das Bauwesen verankert werden sollten. Dadurch kann sichergestellt werden, dass neben dem Bund auch die Länder und Kommen von diesen Regelungen Gebrauch machen.

ABZ: Das Thema Fachkräftemangel ist trotz wachsender Ausbildungszahlen sehr wichtig in der Branche. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Müller: Ich bin überzeugt, dass die Bauindustrie in den letzten Jahren einen richtig guten Job gemacht hat, was Nachwuchskräftegewinnung angeht. Das sehen wir nicht nur an den Einstellungszahlen in den letzten zehn Jahren, sondern auch in der Steigerung der Ausbildungszahlen. Und das entgegen den Trends in anderen Industrien. Wir sind gut dabei. Das liegt vor allem daran, dass sich die Branche über die letzten Jahre ein gutes Image erarbeitet hat. Zudem sind wir eine Zukunftsbranche und das nicht nur, weil immer gebaut wird, sondern weil alle großen gesellschaftlichen Themen wie Mobilitätswende, Energiewende oder bezahlbares Wohnen nicht ohne die Baubranche funktionieren.

Allerdings befinden wir uns wie alle Branchen in einem "war for talents". Auch, weil aufgrund von vielen Renteneintritten in den kommenden Jahren ein enormer zusätzlicher Fachkräftebedarf auftreten wird. Das bedeutet, dass wir uns neben einer Fachkräfte- und Nachwuchskräfte-Gewinnung auch Gedanken um mehr Produktivität machen müssen. Und Produktivität schaffen wir nur, indem wir uns viel mehr auf die Digitalisierung der Prozesse einlassen, auf Lean Management und auf industrielle Fertigung. Indem wir gemeinsam Planungen optimieren. Alle die oben genannten Themen werden wir nur bewältigen, wenn sich Auftraggeber, Planende und die Ausführenden frühzeitig gemeinsam an einen Tisch setzen und nicht mehr über Nachträge streiten. Gemeinsam müssen wir begreifen, dass wir Klimaschutz in der Branche und eine gute, klimaneutrale Infrastruktur nur gemeinsam richtig gut hinbekommen. Das wird dann wiederum auch für junge Menschen interessant, wenn sie sich in einer Branche bewegen, die auf Kooperation, Digitalisierung und Nachhaltigkeit setzt. Infrastruktur wird leider immer noch als selbstverständlich hingenommen und es wird nicht gesehen, was dahintersteckt – welch technisches Knowhow, welcher Aufwand. Und vor allen Dingen, dass alles, was wir schaffen, Generationen überdauert.

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