Wenn aus Gebäuden lebensgefährliche Fallen werden

Strafrechtliche Konsequenzen für Pfusch am Bau

von: Christin Keller
Bielefeld – Auf Mallorca stürzt ein Gebäude ein, Menschen verlieren ihr Leben. Dieser tragische Vorfall hinterlässt Trauer – und Zweifel. Wer ist in solchen Fällen verantwortlich? Haben neben den Club-Betreibern auch andere Personen ihre Pflichten vernachlässigt? Wer kann dafür belangt werden? Christin Keller, Anwältin bei Koenen Bauanwälte, untersucht die strafrechtliche Relevanz eines solchen Vorfalles.
Baurecht Baurecht
Rechtsanwältin Christin Keller. Foto: Koenen/Keller

Am Abend des 23.05.2024 brach die Dachterrasse des Medusa Beach Clubs zusammen und stürzte mit den Gästen durch das Erdgeschoss bis in den Keller. Dort befand sich ein Restaurant mit Bar. Die Trümmer begruben mehrere Menschen unter sich, vier von ihnen starben, 16 wurden verletzt. Nach Experten sei die Terrasse aufgrund des Gewichts des neuen Estrichs in Kombination mit einer großen Zahl von Gästen zu stark belastet gewesen. Den Behörden zufolge fehlte den Betreibern die Lizenz für die Balkonterrasse, die Nutzung war somit illegal. Tatsächlich soll dieser Bereich des Gebäudes bereits bei einer in Spanien verpflichtenden technischen Gebäudeinspektion (ITE) als nicht begehbar eingestuft worden sein. Bereits lange vor dem Einsturz habe man gegen das Lokal wegen Umbauarbeiten, die trotz eines Ablehnungsbescheids durchgeführt worden seien, ein Verfahren eröffnet.

Eingestürzte Gebäude in Deutschland

  • Veranlasser von Bauarbeiten, wie Bauherren,Eigentümer, Pächter oder Betreiber:
  • Eine Strafbarkeit kommt schon dann in Betracht, wenn der Täter die Gefahr seines Sorgfaltspflichtverstoßes nicht realisiert hat (unbewusste Fahrlässigkeit). Eine fahrlässige Tötung ist daher relativ schnell gegeben.

Solche Tragödien ereignen sich auch hierzulande: Das Dach einer Eishalle in Bad Reichenhall brach am 02.01.2006 unter einer tonnenschweren Schneelast zusammen. 15 Tote, darunter zwölf Kinder, hatte das Unglück zur Folge. Das 1970 gebaute Dach war marode. Drei Jahre zuvor war es in Augenschein genommen worden, jedoch unterliefen dabei Fehler. Auch in einer Schule im mecklenburgischen Goldberg führten Missstände bei einem Umbau 2004 zu Todesfällen. Fünf Bauarbeiter verloren ihr Leben, als bei Sanierungsarbeiten eine Mauer einstürzte.

Welche strafrechtlichen Konsequenzen würden Verantwortlichen hierzulande drohen?

Das jüngste Beispiel aus Mallorca gibt Anlass, die möglichen strafrechtlichen Konsequenzen für "Pfusch am Bau" näher zu beleuchten. Bei dieser Betrachtung bleiben außerstrafrechtliche Folgen wie Schadensersatzforderungen, Bußgelder oder Karriereende außer Acht. Nur die Darstellung der Strafbarkeit wegen Tötungsdelikten steht zur Debatte. Auf die Darstellung einer zusätzlichen möglichen Strafbarkeit wegen (gefährlicher) Körperverletzung oder Baugefährdung (Strafbarkeit besteht gegebenenfalls auch, wenn niemand zu Schaden kommt) wird hier verzichtet. Denn aus juristischer Sicht stellen sich dieselben Prüfungsprobleme.

Bei Einsturz-Unglücken kommt es meistens zu Verurteilungen wegen fahrlässiger Tötung. Bei Fällen wie auf Mallorca ist jedoch Vorsatz nicht ausgeschlossen.

Schwerer fällt die Abgrenzung zwischen (bewusster) Fahrlässigkeit und (bedingtem) Vorsatz. Diese Unterscheidung ist jedoch essentiell für das dem Täter drohende Strafmaß. Denn während bei einer fahrlässigen Tötung eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder sogar nur eine Geldstrafe drohen würde (§ 222 StGB), wäre die Folge eines Totschlags, also der vorsätzlichen Tötung, eine Freiheitsstrafe von nicht unter fünf Jahren (§ 212 StGB).

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) wird die Abgrenzung wie folgt vorgenommen: "Bedingter Tötungsvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes eines anderen Menschen abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein (Willenselement).

Bewusste Fahrlässigkeit liegt dagegen vor, wenn der Täter mit der als möglich erkannten Tatbestandsverwirklichung nicht einverstanden ist und ernsthaft und nicht nur vage darauf vertraut, der tatbestandliche Erfolg werde nicht eintreten".

Da Täter selten ihre wahren Gedankengänge mitteilen, spielen Indizien bei der Abgrenzung von Vorsatz und Fahrlässigkeit eine große Rolle: Die Gefährlichkeit der Tathandlung und der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Erfolgseintritts sind dafür zwar maßgeblich, aber nicht allein entscheidend. Es kommt auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalles an, wie etwa die Motivlage, so der BGH im Fall des Ku'damm-Rasers. Man müsste sich bei dem Mallorca-Fall, hätte sich dieser in Deutschland ereignet, die Frage stellen: Warum wurde die Terrasse trotz der Gefahr für Besucher geöffnet, obwohl die Gefahr eines Einsturzes unter dieser Last bekannt gewesen sein müsste? Vorstellbar wäre, dass für die Betreiber der wirtschaftliche Erfolg derart ins Gewicht fiel, dass der Tod von Menschen riskiert und dass sogar eine Eigengefährdung in Kauf genommen wurde.

  • Am Bau unmittelbar Beteiligte, wie Planer und Bauarbeiter: Durch ein Tun (regelwidrige Planung durch den Konstrukteur der Eishalle in Bad Reichenhall) oder durch pflichtwidriges Unterlassen (nicht erfolgte Mitteilung von festgestellten Beschädigungen am Gebäude) können sich sowohl Planer wie Architekten, Ingenieure oder Statiker als auch Bauausführende strafbar machen. Auch hier sind nach den eben genannten Grundsätzen ein vorsätzliches Tötungsdelikt und ein Berufsverbot denkbar, wenn Kenntnis darüber bestand, dass die Planung beziehungsweise das Gewerk den Belastungen für den vorgesehenen Zweck nicht standhält und somit Leben gefährdet.
  • Behördenmitarbeiter: Nicht nur die am Bau Beteiligten könnten ins Visier der Strafverfolgung geraten. Sollte den Behördenmitarbeitern die Lebensgefahr der Gäste bekannt gewesen sein, wären sie veranlasst gewesen, es nicht bei einem Verwaltungsverfahren beruhen zu lassen, sondern sofortige Maßnahmen zu ergreifen. Auch hier kommen wieder Tötungsdelikte in Betracht. Ermittlungen und Anklagen gegen Behördenmitarbeiter aufgrund von Versäumnissen gab es zum Beispiel auch bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg.
  • Eingeweihte Personen: Sofern eine vorsätzliche Tötung gegeben ist und zum Beispiel Mitarbeiter, Freunde, Familie, Gutachter oder auch Rechtsberater davon Kenntnis hatten, ist eine Strafbarkeit wegen der Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) nicht auszuschließen, wenn nicht sogar Beihilfe oder Anstiftung zum Totschlag geleistet wurden.

Statiker und wiederkehrende Bauwerksprüfungen

Die Bürokratie hierzulande hat den Sinn und Zweck, Vorfälle wie auf Mallorca zu verhindern und ist damit auch weitestgehend erfolgreich. So sind für genehmigungspflichtige Bauvorhaben Statiker hinzuzuziehen. Statiker beurteilen unter anderem im Vorfeld, ob eine Maßnahme zur Renovierung, Modernisierung oder Sanierung wie geplant umsetzbar ist. Spätestens mit der Baubeginnanzeige sind die von Statikern zu erstellenden Standsicherheitsnachweise und Bescheinigungen einzureichen. Auch während des eigentlichen Baus überwacht der Statiker noch die Umsetzung des Projekts.

In den Bauordnungen der Länder ist zudem geregelt, bei welchen Bauvorhaben die eingereichten Berechnungen zudem von einem unabhängigen Statiker überprüft werden müssen. Bei Einfamilienhäusern, kleineren Umbauten oder Garagen ist dies in der Regel nicht der Fall. Besteht diese Pflicht, wird der Bauherr vom Bauamt aufgefordert, die Prüfstatik zu beauftragen. Kommt dieser dem nicht nach, stellt dies eine Ordnungswidrigkeit dar.

Ein Gebäude kann jedoch auch ohne bauliche Veränderungen einstürzen, je nach Bauweisen sogar ohne vorherige Anzeichen. Vorsichtsmaßnahmen sind daher auch geboten, wenn kein Umbau geplant ist. Denn Gebäude haben ohne Instandhaltungen und Instandsetzungen eine begrenzte Lebensdauer, für die bloß grobe Schätzwerte existieren. Die Lebensdauer ist bedingt durch verschiedene Faktoren wie Umwelteinflüsse oder mechanische Beanspruchen. Daher wurde nach dem Dacheinsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall eine Richtlinie entwickelt, die eine wiederkehrende Bauwerksprüfung vorsieht.

Fazit: Die Investition in (Prüf-)Statiker und wiederkehrende Bauwerksprüfungen zahlen sich langfristig aus. Sie minimieren Gefahren, Schadenskosten und ein etwaiges Strafbarkeitsrisiko. Bei größeren Bauvorhaben wird dies durch die Bürokratie gesichert.

Seit November 2022 verstärkt Rechtsanwältin Keller das Koenen-Team am Standort Bielefeld und betreut dort vorwiegend Mandanten im Bereich des privaten Bau- und Architektenrechts, des Vergaberechts sowie des Baustrafrechts.

Rechtsanwältin Keller ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für Bau- und Immobilienrecht (ARGE Baurecht) und im Deutschen Anwaltverein (DAV).

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Die Autorin ist Rechtsanwältin bei Koenen Bauanwälte.

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