Motivationen und Stressfaktoren

Mit Mitarbeiterbindung gegen den Fachkräftemangel

von: Dr. Cristian Grossmann

Berlin. - Bauunternehmen leiden wie viele andere Branchen unter Fachkräftemangel, hoher Fluktuation und erschöpftem Personal. Neue oder zusätzliche qualifizierte Mitarbeitende zu finden, ist – neben unterbrochenen Lieferketten und explodierenden Rohstoffpreisen – eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Gleichzeitig haben Gesellschaft und Politik große Erwartungen an die Baubranche: Beispielsweise sollen in Rekordzeit neue Wohnungen entstehen, um den angespannten Wohnungsmarkt insbesondere in Großstädten zu entlasten.

Die Bundesregierung hat als Ziel 400.000 neu gebaute Wohnungen pro Jahr vorgegeben. Vorhandene Gebäude müssen zudem möglichst rasch energetisch saniert werden. Die Situation war wohl noch nie so angespannt wie jetzt. Den Preis zahlen hauptsächlich die Mitarbeitenden auf den Baustellen, deren Arbeitsbedingungen sich verschlechtern. Die Folge sind steigende Unzufriedenheit, Burn-out und dadurch der Verlust weiterer wertvoller Fachkräfte – ein Teufelskreis. Über zweieinhalb Millionen Menschen waren 2022 in Deutschland in der Baubranche beschäftigt (Statista, 2023). Nach Angaben des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie hat sich die Zahl der offenen Stellen für Bauingenieure von 2009 bis 2022 nahezu verfünffacht, die für Baufacharbeiter mehr als verdoppelt.

Verlust an Wissen und Erfahrung

Fluktuation kostet die Wirtschaft weltweit jedes Jahr 630 Milliarden Dollar, wie aus dem „2020 Retention Report“ des Work Institutes hervorgeht. Jede einzelne Kündigung kostet ein Unternehmen durchschnittlich 11827 Euro. Kaum in Euro zu beziffern, ist der Verlust an Wissen und Erfahrung.

Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich in absehbarer Zeit nicht verbessern, sondern eher noch verschärfen. Geschäftsleitung und Führungskräfte sind dennoch nicht machtlos: Sie sollten ihre Belegschaften unterstützen und wo immer es geht für Entlastung sorgen, damit ihre Fachkräfte gesund und dem Unternehmen erhalten bleiben. Damit die Kolleginnen und Kollegen Unterstützung und Entlastung als solche erleben, muss das Management deren Bedürfnisse, Nöte und Wünsche kennen.

Beekeeper möchte Unternehmen hierbei unterstützen und befragt daher zum Thema Mitarbeiterbindung jedes Jahr 6000 Mitarbeitende und Führungskräfte aus den wichtigsten Frontline-Branchen, also solche, deren Beschäftigte größtenteils nicht an einem festen PC-Arbeitsplatz tätig sind: Was motiviert sie? Was stresst sie? Was ist ihnen an ihrem Arbeitsplatz besonders wichtig? Vermissen sie etwas? Kann die Geschäftsleitung etwas tun, damit sie im Unternehmen bleiben? Basierend auf den Ergebnissen gibt der Bericht „Frontline 2023: Trends und Prognosen“ praktische Hinweise, wie Unternehmen die Qualität der Arbeitsplätze und das Mitarbeitererlebnis verbessern und so den Verlust weiterer Fachkräfte verhindern.

Die Antworten zeigen, dass Arbeitgeber dringend handeln müssen: 45 Prozent der Beschäftigten, die wir gefragt haben, planen, in den kommenden Monaten ihren Arbeitsplatz zu verlassen. Das Ergebnis ist alarmierend, denn weltweit sind 80 Prozent aller Arbeitnehmenden Frontline-Mitarbeitende. Hierzu gehört ein Großteil der Beschäftigten in der Baubranche. Die Art und Weise, wie Unternehmen das wichtige Thema Mitarbeiterbindung angehen, funktioniert ganz offensichtlich nicht. Studien und Befragungen zeigen, dass die Kluft zwischen den Wünschen der Mitarbeitenden und den Vorstellungen der Geschäftsführung größer wird. Wenn Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sie unverzüglich wirkungsvolle Maßnahmen ergreifen, um die Bindung der Beschäftigten an ihr Unternehmen zu verbessern.

Der aktuelle Beekeeper-Bericht zeigt Unternehmensleitungen, was ihren Mitarbeitenden besonders wichtig ist: Für etwa die Hälfte ist es entscheidend, dass die Unternehmensführung sich um die Belegschaft kümmert und ihr für ihren Einsatz dankt. Im Rahmen unserer Befragung gaben 42 Prozent der in Bauunternehmen Tätigen an, dass es sie stresst, wenn das Team personell nicht ausreichend stark besetzt ist. Neue Mitarbeitende, die sich nicht ausreichend unterstützt fühlen, kündigen innerhalb der ersten 30 Tag mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit. Betrachtet man die wichtigsten Motivatoren, die Beschäftigte in der Baubranche an ihren Arbeitsplatz binden, so sind diese nachvollziehbar und leicht umzusetzen: 54 Prozent der Beschäftigten sind motiviert, wenn sie ihre Arbeit gut und in der vorgesehenen Zeit erledigen können. Platz zwei und drei der motivierenden Faktoren belegen mit 45 Prozent ein qualifiziertes Feedback der Vorgesetzten und mit 42 Prozent positives Feedback der Kunden. 47 Prozent geben an, dass positives Feedback aus dem eigenen Team sie an ihren Arbeitsplatz bindet.

Die Befragung liefert auch eine überraschende Erkenntnis: Für Frontline-Mitarbeitende sind neben positivem Feedback vorwiegend berechenbare Schichten, bezahlter Urlaub und gute Sozialleistungen wichtig. Frontline-Manager stufen die Bedeutung dieser Faktoren dagegen weitaus niedriger ein. 55 Prozent der Führungskräfte sehen in Feedback und Anerkennung die besten Mittel, um ihr Team zu halten. Verlässliche Schichten und bezahlten Urlaub halten lediglich 16 Prozent für wichtig, attraktive Sozialleistungen liegen mit nur 14 Prozent sogar auf dem letzten Platz. Diese frappierenden Unterschiede deuten auf einen Kommunikationsbruch und ein zu geringes Verständnis zwischen den beiden Gruppen hin.

Folgenschweres Kommunikationsdefizit

Die Beekeeper-Umfrage hat somit ein erhebliches und folgenschweres Kommunikationsdefizit in Frontline-Unternehmen ans Licht gebracht. Das Phänomen könnte man als „Frontline-Disconnect“ beschreiben. Dies führt zu weiteren Problemen, wie mangelndem Verständnis für die Bedürfnisse der Beschäftigten oder fehlende Anbindung an bestehende Systeme. Unternehmensleitungen und Führungskräfte müssen schnellstmöglich herausfinden, was ihre Beschäftigten benötigen und sich für ihren Arbeitsplatz wünschen.

Ein Beispiel ist die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit bei der Ausstattung mit digitalen Tools in Bauunternehmen: 32 Prozent der Beschäftigten wünschen sich an ihrem Arbeitsplatz Werkzeuge und Technologien, die ihnen helfen, ihre Aufgaben besser und intelligenter zu erledigen, für 18 Prozent ist der Zugang zu digitalen Tools sogar der Hauptmotivator. Und das aus gutem Grund: Bei der digitalen Transformation liegt das Baugewerbe notorisch hinter anderen Branchen zurück.

Wird digitalisiert, dann in erster Linie durch hoch entwickelte Projektmanagement-Tools wie Cloud-basierte Programme und Building Information Modeling, kurz BIM. Nach digitalen Tools am Arbeitsplatz gefragt, geben in der Baubranche 91 Prozent der Beschäftigten an, dass sie mit E-Mail arbeiten. Lediglich 20 Prozent nutzen ein Intranet oder Mitarbeiterportal, und nur knapp über zehn Prozent können über eine App ihre bevorstehenden Schichten einsehen und managen oder auf Aufgaben und Checklisten zugreifen. Mitarbeitende auf dem Bau wünschen sich speziell für sie entwickelte Tools, mit denen sie an der digitalen Revolution der Branche teilhaben können. Jedoch sind bislang kaum Lösungen und Technologien für Beschäftigte auf dem Bau und andere Frontline-Mitarbeitende verfügbar.

Diese digitale Lücke stellt Führungskräfte vor große Herausforderungen, wenn es darum geht, die eigenen Teams zu erreichen und zu informieren. Oftmals sind Teamleitende dazu gezwungen, einen Mix aus analogen Kommunikationsmitteln und Messaging-Apps zu verwenden, da keine vom Unternehmen genehmigten Cloud-Tools zur Verfügung stehen. Laut des Whitepapers von Google „Power your Frontline Workforce with the cloud“ riskieren Frontline-Mitarbeitende durch die Verwendung digitaler Tools, die nicht für den betrieblichen Einsatz entwickelt wurden, die Unternehmens- und Datensicherheit sowie die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften. 53 Prozent der von Google Befragten nutzen bis zu sechsmal täglich Messaging-Apps wie WhatsApp und Facebook Messenger für berufliche Zwecke. Jedoch würden 68 Prozent von ihnen darauf verzichten, wenn genehmigte interne Kommunikationstools zur Verfügung stünden. Dieses Ergebnis wird durch unsere eigene, aktuelle Umfrage unter Frontline-Managern bestätigt: Wir haben festgestellt, dass viele Team- und Schichtleitende auf Schatten-IT-Lösungen wie WhatsApp oder persönliche E-Mail-Konten zurückgreifen müssen, um die technologische Lücke in der internen Unternehmenskommunikation zu schließen.

Fazit: Der Fachkräftemangel wird für Bauunternehmen zu einer existenziellen Frage. Doch bisher reagieren die meisten Führungskräfte und Teams nur: Sie löschen Brände, treten auf der Stelle und behandeln Symptome. Es ist an der Zeit, das zu ändern, sich auf die Ursachen zu konzentrieren und diese aktiv anzugehen.

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Der Autor ist Gründer und CEO der Beekeeper AG. Vor der Gründung von Beekeeper im Jahr 2012, arbeitete er als IT-Stratege für Accenture und betreute in diesem Rahmen mehrere große internationale Projekte. Er ist promovierter Elektroingenieur der ETH Zürich.

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