Gefahr für Wissenschaftsstandort?

Sanierungsstau bei Hochschulen

Stuttgart/Heidelberg (dpa). - Undichte Fenster, marode Labore, mangelhafter Arbeitsschutz - an den Hochschulen in Baden-Württemberg nagt der Zahn der Zeit.

Doch Modernisierung und energetische Sanierung werden mangels Geld verschoben, zugleich müssen die Universitäten erhöhte Energiepreise schultern. Studenten und Rektoren sind sich einig: modernere Gebäude für Lehre und Forschung müssen her sowie Unterstützung auf dem Weg zur Klimaneutralität der Landesliegenschaften im Jahr 2030.

„Das ist nicht nur wichtig, um qualifizierten Nachwuchs zu schaffen, sondern auch, damit das Land in der nationalen und internationalen Konkurrenz um die klügsten Köpfe nicht ins Hintertreffen gerät”, sagt Stephan Dabbert, Rektor der Uni Hohenheim mit einem Sanierungsstau von 370 Millionen Euro. Dort sind zwei Labore geschlossen, weil die Wissenschaftler wegen kaputter Abzüge nicht mehr gefahrlos arbeiten konnten. Dabbert ist überzeugt: „Bekommen wir den Sanierungsstau nicht in den Griff, schadet das dem Wissenschaftsstandort Baden-Württemberg.” Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne) sieht das genauso. „Das Thema Bauen und Sanieren stellt eine zentrale Herausforderung für die nächsten Jahre dar.” Die Bauten aus den 70er und 80er Jahren mit geringer Dämmung ohne effiziente Haustechnik müssten nun alle gleichzeitig erneuert werden.

Das Land habe in den vergangenen Jahren die Bauausgaben für alle seine Gebäude von rund 620 Million im Jahr 2013 auf rund 1 Milliarde Euro jeweils in den Jahren 2020, 2021 und 2022 erhöht. Im aktuellen Haushalt 2023/24 stehen pro Jahr rund 1,2 Milliarden Euro bereit. Im Schnitt komme davon die Hälfte den Hochschulen zugute.

Doch für manche Universität dürfte das nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Allein die Uni Heidelberg beziffert ihren Rückstand auf 800 Millionen Euro, in Tübingen sind es sogar 1,1 Milliarden Euro. Der Heidelberger Rektor Bernhard Eitel beklagt großen Platzmangel. Es müssten nicht nur neue Flächen erschlossen, sondern auch derzeit nicht nutzbarer Bestand rasch reaktiviert werden.

Als „Katastrophe” empfindet der Heidelberger Studentenvertreter Peter Abelmann die Zustände an Deutschlands ältester Universität. „Zwar wird vom Ministerium immer wieder versprochen, dass Gebäude renoviert werden, aber es passiert gar nichts oder nur mit riesigem Zeitverzug.” Als prominentes Beispiel nennt der Vorsitzende der Verfassten Studierendenschaft die lange geplante, aber nicht umgesetzte universitäre Nutzung des Ex-Gefängnisses Fauler Pelz, das nun auch das Sozialministerium für den Maßregelvollzug beansprucht. Zudem seien Fluchtwege nicht mehr auf dem neuesten Stand, Platzmangel führe zu Konflikten um Seminarräume.

Platzmangel ist auch für die Musikhochschule Mannheim ein großes Problem. Rektor Rudolf Meister: „Bestehende Gebäude müssen dringend renoviert, Neubauten vorangetrieben werden.” Bei einer Liegenschaft aus dem Jahr 2000 hätten mehrere Wasserrohrbrüche die IT beschädigt. Ein 1996 vom Ministerium genehmigter Konzert- und Theatersaal wird auf die lange Bank geschoben. Nach immer wieder verworfenen Standortprüfungen für das 50-Millionen-Euro-Projekt hat Meister resigniert. „Vor 2040 werden wir den Saal nicht bekommen.” Darunter litten die Studenten, die zwar als Individualmusiker gut ausgebildet seien, aber nicht für Orchester und Chor.

Während bei den Musikhochschulen die gestiegenen Energiekosten von Land übernommen werden, müssen die Universitäten diese nach Angaben der Landesrektorenkonferenz (LRK) zum großen Teil selbst zahlen. Für 2023 erstatte das Land 4O Prozent der Mehrkosten, sagt LRK-Chef Thomas Puhl, Leiter der Uni Mannheim. „Für 2022 gibt es keine Zusage, und wie es 2024 weitergeht, ist auch unklar.” Die Uni Tübingen rechnet für das Jahr 2023 mit Mehrkosten für Strom und Heizung von 10 Millionen Euro. Energiesparmaßnahmen seien ergriffen worden - etwa die Umstellung auf Online-Lehre und Gebäudeschließungen in der Weihnachtszeit -, hätten aber die erhöhten Preise nicht ausgleichen können, erläutert ein Sprecher. Nach Auskunft des Landes sind 2023/24 je eine Milliarde Euro für Inflations- und Energiepreisrisiken für Landesgebäude vorgesehen.

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) befürchtet wegen mehr als einem Drittel vor 1979 errichteter Gebäude ein rapide steigendes Risiko von Nutzungsausfällen. Diese seien vor allem bei spezifischen Flächen wie Sporthallen und Laboren zu vermeiden, für die sich kein Ersatz mieten lasse. Um Gebäude funktionsfähig zu halten und stets schärfere Standards beim Schutz vor Brand und Schadstoffen zu erfüllen, muss die Finanzierung laut KIT um den Faktor 3 steigen.

Kritik gibt es an den Planungsverfahren im Hochschulbau. „Oft planen bei uns Wissenschaftler neue Gebäude und sind in Rente, bevor sie fertig sind”, moniert der Heidelberger Rektor Eitel. Ein Limit für die Planungs- und Bauzeit von fünf Jahren könne Engpässe sowie Kostenexplosionen vermeiden. LRK-Chef Puhl schlägt vor, Hochschulen die Bauherreneigenschaft für einzelne Bauprojekte und damit ein eigenes Budget zu geben. Das Land wolle aber die Kompetenz der aus seiner Sicht schwerfälligen staatlichen Bauämter nicht beschneiden. Denkbar sei auch, privates Kapital hinzuzuziehen.

Der Hohenheimer Rektor Dabbert führt die Misere darauf zurück, dass es keine Konsequenzen habe, wenn Mängel an den Gebäuden nicht oder verspätet ausgebessert werden. „Wenn wir Gebäude nicht nutzen können und deshalb Gebäude anmieten müssen, ersetzt uns niemand diese Kosten.” Das Land verweigere Abhilfe und stelle somit sein eigenes Ziel der Klimaneutralität der Landesgebäude im Jahr 2030 in Frage. Dabbert bezweifelt, dass die im Jahr 2000 begonnene Sanierung des „Katastrophengebäudes” für die Biowissenschaften bis dahin fertig wird. Ein Abschluss sei nicht vor 2040 zu erwarten - aus seiner Sicht ein Unding: „Für den Bau der Cheops-Pyramide brauchte man nur 20 Jahre.”

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