Oldenburger Rohrleitungsforum
Mit künstlicher Intelligenz neue Chancen nutzen
ABZ: Die Veranstaltung steht unter dem Motto künstliche Intelligenz. In welchen Bereichen sehen Sie die größten Chancen für die KI beim Rohrleitungsbau?
Wegener: Wir überlegen uns den Titel der Veranstaltung immer im März des Vorjahres, hier also im März 23. Dabei ist es nicht ganz einfach, etwas zu treffen, was die Tiefbauwelt perspektivisch im nächsten Jahr bewegt. In diesem Fall haben wir einen Volltreffer gelandet. Ich habe in diesem Jahr so viele Vorschläge für Fachbeiträge zum Thema bekommen wie nie zuvor. Das hat mich positiv überrascht, ich hatte nicht angenommen, dass die KI in der Unterirdischen Infrastruktur bereits diese Rolle spielt. Gleichzeitig ist das Themengebiet umfassender geworden. Früher haben wir uns im Institut nur auf die Planung, den Bau und Betrieb von Rohrleitungen bezogen, das heißt also im Wesentlichen Gase, Wasser und Abwasser. Heute verstehen wir unter dem Begriff Unterirdische Infrastruktur auch die Energieversorgungsleitungen und Kommunikation. Salopp gesagt: alles, was sich unterhalb der Grasnarbe oder der Straße tummelt. Die KI eröffnet uns dabei Chancen in allen genannten Bereichen. Das entnehme ich den vielen mir zugegangenen Referatsvorschlägen für das Rohrleitungsforum.
ABZ: Wo sehen Sie die größten Chancen und Bedarfe für KI?
Wegener: Wenn man die Bereiche, die ich jetzt soeben genannt habe, im Auge hat, dann ist es aktuell vielleicht Wasser, sage ich jetzt mal vorsichtig. Ich würde allerdings viel mehr auf den sogenannten Lebenszyklus der einzelnen Einrichtungen eingehen. Wenn man eine Wasserleitung oder eine Gasleitung oder auch eine Stromleitung anschaut, heißt das, erst kommt die Planung, dann der Bau, dann der Betrieb und später die Nutzung.
ABZ: Bleiben wir bei der Planungsphase, wie könnte die KI dabei unterstützen?
Wegener: In der Planungsphase lässt sich die KI umfassend einsetzen. Im Hochbaubereich nutzt man bereits vielfach das Building Information Modeling (BIM), das ist eine sehr gute Basis für den Einsatz von KI. Bekanntlich basiert BIM darauf, dass man in der Planungsphase einen sogenannten digitalen Zwilling erstellt. Wenn ich jetzt ein Gebäude oder auch eine Leitung habe, wird diese Leitung von A nach B im Computer digital erstellt und ins digitale Umfeld gelegt, mit allen Sonderbauwerken, die sich darin befinden. Mit KI sehe ich schon in dieser Planungsphase, ob die geplante Leitung mit anderen Bauwerken oder Hindernissen kollidiert. Vielleicht kann die geplante Lage der Leitung nicht realisiert werden, weil da bereits eine andere Leitung liegt. Dann lassen sich im Vorfeld Änderungen einplanen – die Leitung wird umgeplant. Stillstände und Kosten lassen sich so mit einem digitalen Zwilling vermeiden, weil nicht erst beim Bau vor Ort festgestellt wird, dass es nicht wie geplant geht.
ABZ: Sie meinen also, dass damit Überraschungen vermieden werden können?
Wegener: Genau, das ist die Theorie. Der Teufel steckt allerdings im Detail, es ist noch einiges zu tun, um diese Ziele zu erreichen. Eines davon ist erreicht, wenn jemand sagt, das Bauwerk, wie ich mir als Planer oder Auftraggeber vorstelle, kostet nach Ausschreibung zum Beispiel 500.000 Euro und ich mir sicher sein kann, dass die Abrechnungssumme am Ende ebenfalls 500.000 Euro ist, weil alles genau so passiert ist, wie ich das vorher geplant habe. Es kam nicht zur Überraschung, es kam also auch nicht zu Mehrleistungen und entsprechenden Umplanungen mit den daraus folgenden Kostenerhöhungen.
ABZ-Stellenmarkt
Weitere Artikel zum Thema
ABZ: Wo wird die KI angewendet oder wer wird in Zukunft dabei eine Vorreiterrolle spielen?
Wegener: Also, die öffentliche Hand hat sich bereits vor Jahren auf die Fahne geschrieben, eine gewisse Vorreiterrolle bei der Einführung des BIM zu spielen, weil anfänglich erhebliche Investitionen erforderlich sind. Da sind der Staat – die öffentliche Hand – und hier insbesondere die Bundesbahn und der Autobahnbau Vorreiter. Sie können die Mittel, die dann dafür nötig sind, auch in einem etwas größeren Umfang zur Verfügung stellen. Der nächste Schritt ist dann der Einsatz von KI
ABZ: Vergleichen wir Hochbau und Tiefbau – was lässt sich dabei über die Digitalisierung und den Einsatz von künstlicher Intelligenz sagen? Hat der Rohrleitungsbau einen Nachholbedarf?
Wegener: In unserem Bereich steckt die Digitalisierung bezogen auf BIM und digitaler Zwilling, sowie insbesondere der Einsatz von KI, noch in den Kinderschuhen im Vergleich zum Hochbau. Das liegt vor allem daran, dass wir die Unbekannte "Erdreich" haben. Der Tiefbauer weiß nie, was ihn genau erwartet. Für das Bodenmodell im Computer brauche ich Daten zu den im Boden vorhandenen Dingen. Im Idealfall habe ich alle Daten, also die Lagedaten der alten Leitungen oder Informationen über Hindernisse etc., Bodenverhältnisse, Wasser, Schadstoffe und so weiter. Das können Altlasten sein, auch archäologische Funde sind denkbar. Und dann haben wir ja auch noch ein großes Thema mit der Munition aus dem Zweiten Weltkrieg.
ABZ: Wo sehen Sie die Grenzen der KI?
Wegener: Zunächst einmal haben wir längst nicht alle Möglichkeiten der KI ausgeschöpft. Die Grenze der neuen Technologie kennt kein Mensch ganz genau. Die KI soll möglichst viele Informationen miteinander verknüpfen und Entscheidungen vorbereiten. Aber komplexe Entscheidungen treffen – das sollte letztendlich immer noch der Mensch. Sicher müssen wir in der Gesellschaft noch die Diskussion führen, wo der KI Grenzen zu setzen sind – wenn sie überhaupt zu setzen sind. Ich denke, dass KI Entscheidungen umfassend vorbereiten kann, jedoch letztendlich den Go-Knopf zu drücken, das sollte uns Menschen vorbehalten sein.
ABZ: Die Technik spielt eine immer größere Rolle und gleichzeitig werden wir immer empfindlicher. Wie sehen Sie das in Ihrem Bereich?
Wegener: Sicherheit, genauer gesagt: Der Schutz unserer Betriebssysteme infolge von Hackerangriffen (Cybersicherheit), ist ein wichtiger Punkt. Dazu kommen physische Angriffe auf die Infrastruktur. Wenn jemand uns Böses will, dann ist das heute einfach zu bewerkstelligen. Es bricht leicht vieles zusammen, das haben wir bei Nordstream oder auch dem Angriff auf die Kommunikationskabel der Bundesbahn gesehen. Das Interesse an Schutz vor solchen physischen Angriffen sowie der Schutz vor Cyberangriffen ist jedenfalls deutlich gewachsen. Daher ist es auch Thema auf dem kommenden Rohrleitungsforum.
ABZ: Stichwort Hochwasser: Ihre Region war besonders vom Hochwasser betroffen. Hätte man mit KI einiges verhindern können, Stichwort Frühwarnsysteme? Welche Möglichkeiten bietet KI, solche Katastrophen abzumildern?
Wegener: Wir im Norden sind in diesem Jahr besonders betroffen gewesen – in Niedersachsen. Hochwasser ist ein schönes Beispiel. Ich bin sicher, dass man mit einer funktionierenden KI eine Menge hätte verhindern können. Das Abflussverhalten unserer Flüsse und der Bäche ist bekannt. Die Auswirkungen der Tide auf das Abflussverhalten sind bekannt. Die Einflüsse drehender Windfelder über der Nordsee auf Pegelstände sind bekannt. Die Auswirkung von Niederschlägen auf Wasserstände in der Vorflut ist auch bekannt. Man weiß, wenn es hier regnet, dass sich dann zwei Stunden später an anderer Stelle ein bestimmter Wasserstand einstellt. Unsere Wettervorhersagen sind mittlerweile so genau, dass ich Tage vorher weiß, wann und wo es wie viel regnen wird. Man kann vorausschauend eine Pumpe anstellen oder Hilfsmannschaften bereitstellen, um Wasser wegzupumpen, vielleicht ein Wehr früher öffnen oder den Wasserstand in der Talsperre frühzeitig senken. Das wird übrigens zum Teil bereits getan, aber ich glaube, dass die KI neue Chancen eröffnet.
ABZ: Vor welchen großen Herausforderungen steht Ihre Branche?
Wegener: Die Gasbranche bewegt die zurzeit gerade begonnene Umstellung von fossilem Erdgas auf Wasserstoff. Wir haben ein top gepflegtes Erdgasnetz in Deutschland. Es wäre eine verpasste Chance, wenn es nicht gelingt, diese Erdgasnetze, die jetzt zum Großteil noch mit Erdgas und zunehmend mit LNG gefüllt sind, nicht auch für den Wasserstoff zu nutzen oder für Gemische aus Erdgas-Wasserstoff nutzbar zu machen. Diese umfangreichen Umwidmungen werden auf dem Forum thematisiert. Und es gibt bereits Wasserstoffleitungen, die in Betrieb sind und mit denen die ersten Erfahrungen gemacht werden. Ebenfalls diskutiert wird das Thema CCS (Carbon Capture Storage). Also es geht darum, CO2 aufzufangen, wo es entsteht, in großen Zementfabriken vielleicht, und dann dieses CO2 dauerhaft einzulagern. Möglich ist das etwa in ausgeförderten Erdgasspeichern, Onshore oder – favorisiert – Offshore, denn wo sich früher über Hunderttausende von Jahren Erdgas befand, könnte man auch für die nächsten 100.000 Jahre CO2 einschließen. Das Einlagern von CO2 ist auf lange Sicht eigentlich eine faszinierende Idee, aber man muss auch die Bedenken der Menschen in der Region verstehen und entsprechend abwägen.
ABZ: Worauf freuen Sie sich persönlich beim Rohrleitungsforum? Und was ist aus Ihrer Sicht wichtig an dem Zusammentreffen?
Wegener: Der persönliche Austausch, das Treffen mit den Menschen. In der Zeit mit Corona kam vieles zu kurz. Nach der Zeit der Videocalls können wir endlich wieder persönliche Gespräche führen. Wir können an Stände gehen und sehen, welche Neuerungen gibt es, Dinge anfassen und in Augenschein nehmen. Und man kann auch das eine oder andere Wort außerhalb der fachlichen Diskussion wechseln. Es ist enorm wichtig, sich zu sehen und zu erfahren, was es Neues gibt. Worüber spricht die Branche? Die Netzwerkbildung ist vielleicht der wichtigste Teil unserer Veranstaltung.
- Themen Newsletter Bau digital bestellen
- Themen Newsletter Digitalisierung bestellen
- Themen Newsletter Messen und Veranstaltungen bestellen
- Themen Newsletter Oldenburger Rohrleitungsforum bestellen
- Themen Newsletter Kanalbau bestellen
- Themen Newsletter Rohr- und Leitungsbau bestellen
- Themen Newsletter Verbände bestellen
- Themen Newsletter Institut für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg bestellen
- Unternehmens Presseverteiler iro GmbH bestellen