Wohnungsnot versus Klimaschutz

Wie viel Beton verträgt die Stadt?

von: Jenny Tobien
Frankfurt. – Bezahlbarer Wohnraum einerseits und der Schutz von Klima und Flächen auf der anderen Seite: Nach wie vor soll für Bauprojekte oftmals die grüne Wiese weichen. Doch wie sieht eine kluge Stadtplanung der Zukunft aus? Im Nordwesten Frankfurts an der A 5 ist ein neuer Stadtteil auf Feldern geplant. Im Stadtteil Nieder-Eschbach soll geprüft werden, ob ein Gewerbegebiet auf einem Teil des Grüngürtels errichtet werden darf. Und in Wiesbaden ist auf nahezu unbebauten 450 Hektar das Wohnquartier Ostfeld für bis zu 12.000 Menschen vorgesehen.
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Luftbild der Innenstadt von Frankfurt am Main mit der Skyline des Bankenviertels. Bezahlbarer Wohnraum einerseits und der Schutz von Klima und Flächen auf der anderen Seite: Nach wie vor soll für Bauprojekte oftmals die grüne Wiese weichen. Foto: Uli Deck/dpa

Diese drei Beispiele zeigen das Dilemma vieler hessischer Regionen und Gemeinden. Einerseits sind neue Immobilien und Gewerbeflächen dringend nötig, um zahlbaren Wohnraum zu bieten und Jobs zu schaffen. Andererseits stellt sich die Frage, wie viel Grünfläche in Zeiten der Klimakrise für Beton geopfert werden kann.

"Wir brauchen einen Paradigmenwechsel", fordert Jochen Kramer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Demnach werden in Hessen noch immer etwa 2,5 Hektar Bodenfläche versiegelt – pro Tag. Dabei zeigten Prognosen, dass die Bevölkerung mittelfristig sinken werde. "Eine Ursache für Artensterben ist die Anspruchnahme des Naturraums, da müssen wir gegenwirken", so Kramer. Erfolge erzielte der BUND mit dem Argument der Flächenschonung zuletzt bei geplanten Gewerbeprojekten im Wetter-aukreis. Laut eigenen Angaben erwirkten die Umweltschützer einen Baustopp gegen ein Supermarkt-Logistikzentrum, zudem wurde ein Antrag auf Baustopp für eine Amazon-Logistikhalle genehmigt. Derweil fordert unter anderem die Frankfurter IHK mehr Bauland.

"Wir brauchen dringend neue Bauflächen, sowohl Gewerbeflächen als auch Wohnraum für die dringend benötigten Fachkräfte", meint IHK-Präsident Ulrich Caspar. Die Stadt Frankfurt und mit ihr die Region werde attraktiver und verzeichne immer mehr Zuzüge. "Daran wird auch die Corona-Krise langfristig nichts ändern." Der größte Teil der grünen Flächen werde ohnehin landwirtschaftlich genutzt. "Doch wir haben in der Region keinen Mangel an Lebensmittelproduktion, aber einen Mangel an Wohnungen und Gewerbeflächen", so Caspar.

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Wolken ziehen vor strahlend blauem Himmel über das Enkheimer Ried, während im Hintergrund die Skyline von Frankfurt zu erkennen ist. Foto: Boris Roessler/dpa

"Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Schutz landwirtschaftlich genutzter Flächen und wertvoller Naturräume", heißt es dagegen beim BUND. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und die Tatsache, dass viele Menschen auch künftig zumindest teilweise im Homeoffice arbeiteten, schafften neue Möglichkeiten. "Der Büromarkt scheint zusammenzubrechen, diese freigewordenen Räume können in Wohnungen umgewandelt werden", sagt Kramer. Und generell lasse sich Wohnraum schneller und ökologischer durch Umwandlung und Aufstockung des Bestands im bestehenden Siedlungsraum verwirklichen: "In den Städten kann noch sehr viel verdichtet werden." Doch wie sieht eine intelligente Planung für Stadt und Region aus – unter Berücksichtigung von Natur und Klima? Nachfrage bei Stadtplaner Torsten Becker. Der Vorsitzende des Frankfurter Städtebaubeirats plant auch die Günth-ersburghöfe im Frankfurter Nordend. In der Stadt wird um das Projekt gestritten, auch weil Kleingärten weichen sollen. Besonders die Grünen üben nun, kurz vor den Kommunalwahlen, Kritik.

In Sachen Klimaschutz sei es vor allem wichtig, den Autoverkehr zu reduzieren, sagt Becker. Das spreche für eine kompakte Stadt und gegen Bauprojekte sehr weit außerhalb. Er befürwortet den geplanten Stadtteil an der A 5: "Wenn man die gesamte Region betrachtet, ist das schon der Standort, der sich am meisten für einen neuen Stadtteil eignet." Dort gäbe es beispielsweise eine optimale Anbindung an den Nahverkehr. Zudem handle es sich um landwirtschaftliche Flächen, die bebaut werden sollen, diese seien ökologisch nicht ganz so wertvoll.

Ein anderer Aspekt sei die Klimaanpassung: Also die Frage, wie es sich künftig an sehr heißen Tagen in der Stadt gut leben lässt. "Da gilt es, so wenig wie möglich zu versiegeln, Grünflächen zu schaffen und mehr in die Höhe als in die Breite zu bauen." Erkenntnisse aus den vergangnen Jahren deuten laut Becker zudem darauf hin, dass es mehr Starkregen geben wird. "Auch hier sind versiegelte Flächen ein Nachteil, weil das Wasser versickern muss." Nachverdichtung spiele natürlich auch eine wichtige Rolle: Also die Bebauung von Höfen oder die Aufstockung von Häusern, wie in der Frankfurter Platensiedlung.

Bei den Günthersburghöfen werde darauf geachtet, wenig Tiefgaragen zu bauen, weil über diesen kaum wertvolle Grünflächen entstehen und Wasser schlecht versickern könne, sagte der Planer. Der größte Teil der Wohnungen soll auf bereits versiegelten Flächen entstehen. Zudem sind Dach- und Fassadenbegrünung sowie öffentliche Grünflächen geplant. Wichtig sei auch der soziale Aspekt, so Becker. Laut den Planungen sind rund 500 geförderte Wohnungen vorgesehen.

In welchen Orten gibt es denn schon jetzt eine gelungene Stadtplanung? "Kopenhagen oder auch die Niederlande sind ein Vorreiter", sagt Becker. "Dort sind die Quartiere lebendiger, dichter, kleinteiliger und grüner. Da wird gelebt." In Deutschland seien Tübingen oder Freiburg vorbildlich, auch weil dort mehr kleine Baugruppen zum Zuge kämen. In Hessen gäbe es dagegen nicht so viele gute Beispiele. "Wir haben hier noch Überzeugungsarbeit zu leisten."

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