Kommentar
Offenbarungseid
von: Kai-Werner FajgaJüngst traf es Verkehrsminister Wissing, dem Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer vorwarf: "Wir haben keine weitere Legislaturperiode Zeit, um sie an einen Verkehrsminister zu verschwenden, der seine Arbeit verweigert." Sie monierte das Engagement des Ministers im Klimaschutz und forderte dessen Rücktritt ein.
Auch von anderer Seite musste Wissing zuletzt mehrfach heftige Kritik einstecken. Zuletzt, als der Beauftragte der Bundesregierung für den Schienenverkehr, Staatssekretär Michael Theurer (FDP), erklärte, dass der für die Verkehrswende wichtige Deutschlandtakt erst 2070 vollständig umgesetzt werden solle. Der verkehrspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Thomas Bareiß (CDU), erklärte darauf, das Verschieben des Takts sei "das Eingestehen des Scheiterns der Ampel". Die Probleme bei der Bahn haben sich auch aus Sicht des Bundesrechnungshofs in den vergangenen Jahren vergrößert.
"Nach vier offensichtlich verlorenen Jahren ist das System Eisenbahn sogar noch unzuverlässiger geworden und die wirtschaftliche Lage der DB AG hat sich weiter verschlechtert", resümierte Rechnungshofpräsident Kay Scheller unlängst. Er sehe die Ziele der Bundesregierung in Gefahr, bis 2030 die Fahrgastzahlen im Personenverkehr zu verdoppeln und den Anteil am Güterverkehr auf der Schiene auf 25 Prozent zu erhöhen. Die Behörde forderte ein "Gesamtkonzept" und Drehbuch, "um den Handlungsstau systematisch aufzulösen", die längst überfällige Generalsanierung, bei der Hauptstrecken für Sanierungen komplett gesperrt werden sollen, sei ein Schritt in die richtige Richtung.
Mit dem Konzept der Generalsanierung komme die Bundesregierung dahin, "dass wir sagen können, wir haben die am meisten belasteten Strecken des deutschen Schienennetzes grundsaniert und modernisiert", entgegnete der Bundesverkehrsminister zuletzt. "Deutschland hat seine Eisenbahninfrastruktur seit Jahrzehnten vernachlässigt", verteidigte Wissing erneut die Vorgehensweise und deutete auf Versäumnisse der Vorgängerregierung hin. Zweifelsohne ist im Bundesverkehrsministerium die Erkenntnis gereift, dass eine "Verkehrswende" in einem der am stärksten frequentierten Länder der Welt eine Menge Geld kostet, und sich nicht übers Knie brechen lässt.
Der Umkehrschluss jedoch, dass ein über 50 Jahre vernachlässigtes Verkehrssystem nun 50 Jahre benötigen, soll, um es aktuellen Erfordernissen anzugleichen, könnte man jedoch auch schlicht als Offenbarungseid ansehen, denn es verlagert die Verantwortung für das eigene Tun auf den Sankt-Nimmerleinstag.
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