Kommentar

Gewohntes

von: Kai-Werner Fajga

Ob wir Deutschen gegenüber Neuerungen aufgeschlossen sind oder nicht, lässt sich viel diskutieren – je nach Themengebiet, Altersgruppe oder geographischer Verortung werden Veränderungen mehr oder weniger gern angenommen. Eine Binsenweisheit ist da sicherlich auch, dass die Resilienz – also die Fähigkeit von Menschen, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen – schnell abnehmen kann, wenn Diskutanten persönlich betroffen sind. Es macht halt einen Unterschied, ob Mensch darüber mitdiskutiert, wie Elektromobilität in Deutschland weiter gefördert wird, oder Mensch als Anwohner den Ausbau der örtlichen E-Netz-Umbaus mitfinanzieren soll.

Insbesondere bei inzwischen alltäglichen Diskussionen über Klimamaßnahmen oder mangelhafte Infrastrukturen und deren Verbesserung fördert das manch seltsame Stilblüte zutage. So lehnten Marburger Bürger es beispielsweise kürzlich einfach ab, den Autoverkehr bis 2035 zu halbieren. Nach Angaben der Stadt werden derzeit in Marburg vier von zehn Wegen mit dem Auto zurückgelegt. Das Ziel eines ausgeklügelten Verkehrskonzepts der Stadtoberen war es, dass nur noch zwei bis drei davon künftig mit dem Auto zurückgelegt werden sollten – sprich Autofahrer ihre Wege zu Fuß, per Fahrrad oder Bus angehen sollten.

Nach dem Bürgerentscheid sei die Halbierung nun vom Tisch, es müsse über neue Zielgrößen diskutiert werden. Ähnlich erging es der Rathaus-Koalition in Regensburg, denn ein Bürgerentscheid lehnte das Konzept einer Stadtbahn ab. Das Straßenbahnprojekt sollte eine Lösung für das hohe Verkehrsaufkommen in der150.000 Einwohner zählenden bayerischen Metropole bieten.Als Grund für die Ablehnung sah Oberbürgermeisterin Maltz-Schwarzfischer in erster Linie, dass viele Menschen Angst vorVeränderungen hätten.

"Die Stadtbahn hätte Baustellen und hohe Investitionskosten mit sich gebracht – da überwiegt bei vielen die Vorsicht." Regensburg sei nach eigenen Angaben die größte Stadt im süddeutschen Raum, die im Nahverkehr allein auf Busse setzt. Hüben wie drüben überwogen aber nur auf den ersten Blick persönliche Vorbehalte, denn in beiden Städten waren die Entscheidungen sehr knapp – das Verhältnis der Pro- und Contrastimmen mit 52 zu 48 und 54 zu 46 nahezu ausgewogen. Es darf die Frage gestellt werden, ob Bürgerentscheide als finale Instanz für richtungweisende Verkehrsinfrastrukturen, die auch nachfolgende Generationen betreffen, das Mittel der Wahl sein sollten?

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Autor

Kai-Werner Fajga

Chefredakteur Allgemeine Bauzeitung

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